Nâzım Bey

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Nâzım Bey
Nâzım Bey

Mehmed Nâzım Bey, auch bekannt als Doktor Nazim (* 1870 in Thessaloniki; † 26. August 1926 in Ankara), war ein osmanischer Arzt und Politiker. Er gehörte zu den Führungsfiguren des Komitees für Einheit und Fortschritt. Kurzfristig war Nâzım Bildungsminister der Jungtürken und zwischen 1916 und 1918 der achte Vorsitzende des Fenerbahçe-Sportklubs.[1] Er spielte eine maßgebliche Rolle beim Völkermord an den Armeniern und den Griechenverfolgungen im Osmanischen Reich 1914–1923.[2][3][4]

Frühe Jahre und Balkankriege[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nâzım entstammte einer wohlhabenden Familie jüdischer Dönme-Herkunft.[5] Er beendete die Mittelschule in Thessaloniki im Jahr 1887. Anschließend besuchte er das militärmedizinische Fachgymnasium und studierte danach Medizin in Istanbul. Noch während des Studiums trat Nâzım der Vorgängerorganisation des Komitees für Einheit und Fortschritt bei, der İttihâd-ı Osmanî Cemiyeti. Im Auftrag der Cemiyet wurde er 1893 nach Paris entsandt und vollendete sein Medizinstudium dort im Jahr 1895 und arbeitete dort nach dem Studium im Krankenhaus. Noch während des Studiums hatte Nâzım Ahmed Rızâ kennengelernt und mit ihm die Zeitung Meşveret herausgebracht. Aufgrund seiner politischen aktivitäten wurde Mehmed Nâzım zum Landesverräter erklärt und zum Tode verurteilt. Nâzım reiste 1907 heimlich in das Osmanische Reich nach Thessaloniki und anschließend nach Izmir, um dort den Aufstand gegen Sultan Abdülhamid II. zu organisieren.

Von 1908 an war er Mitglied des Zentralkomitees der Unionisten. Mehmed Nâzım gehörte zum panislamischen und turkistischen Flügel der Organisation.[6] In Izmir lernte er Beria Hanım kennen und heiratete sie im Jahr 1909. Während der Balkankriege wurde Nâzım Direktor des Hilaliahmer-Krankenhauses in Thessaloniki. Als die Griechen im Oktober 1912 Thessaloniki eroberten, wurde er als türkischer Nationalist gefangen genommen und ohne Prozess für elf Monate in Athen inhaftiert. Die Wachen quälten ihn und berichteten ihm, dass seine Familie ausgelöscht und „Konstantinopel“ erobert worden sei. Es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis ganz Anatolien falle. Auf Betreiben des „Komitees für Einheit und Fortschritt“ wurde er freigelassen und nach Izmir verschifft. Getrennt von seiner Heimatstadt, seiner Familie und seiner kleinen Tochter wandelte er sich von einem patriotischen Arzt zu einem rachsüchtigen und fanatischen Nationalisten. Von nun an schrieb er in Zeitungen über bulgarische Gräuel gegen Muslime und rief zur Rache gegen die verbliebenen osmanischen Christen auf.[7]

Rolle im Völkermord an den Armeniern[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach den schweren Übergriffen auf Armenier im Jahr 1909 in Adana soll Nâzım geäußert haben, dass das Osmanische Reich ausschließlich türkisch sein müsse. Die fremden Minderheiten seien Anlass für Interventionen der Europäer. Daher müsse man die Turkisierung mit Waffengewalt durchsetzen.[8]

Er war Mitglied der „Spezialorganisation“ Teşkilât-ı Mahsusa.[9] Gemäß einer Darstellung des kurdischen Politikers Mevlânzade Rıfat aus dem Jahr 1929 soll sich Nâzım bei einer Sitzung des Zentralkomitees der Jungtürken im Februar 1915 dafür ausgesprochen haben, das armenische Volk vollständig auszurotten. Diese Aussage wird verschiedentlich als Beweis für die genozidalen Absichten der Jungtürken bewertet. Da Rıfat aber, anders als er behauptet, kein Mitglied im Zentralkomitee der Jungtürken war, sondern im Gegenteil wegen eines gegen diese gerichteten Putschversuchs 1909 aus Konstantinopel verbannt, wird sein Bericht heute für unglaubwürdig gehalten.[10]

Nach dem Krieg[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach dem Krieg floh er mit einem deutschen Kriegsschiff nach Sewastopol. Von dort aus ging er nach Berlin. Aufgrund seiner Rolle im Völkermord wurde Nâzım von den türkischen Militärgerichten 1919 in Abwesenheit zum Tode verurteilt.[11] Nâzım reiste nach Moskau und Buchara und wieder nach Berlin. Nach der Ermordung Bahattin Şakirs fürchtete er um sein Leben und forderte Personenschutz von den deutschen Behörden. Nach der Eroberung Izmirs kehrte er 1922 in die Türkei zurück.

Wegen seiner angeblichen Beteiligung an einem Attentat gegen den türkischen Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk in Izmir wurde er 1926 von dem Unabhängigkeitsgericht in Ankara zum Tode verurteilt und hingerichtet.[12]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Ehemalige Präsidenten
  2. Fuat Dündar: Crime of Numbers. Transaction Publishers, New Brunswick, NJ 2010, ISBN 978-1-4128-4341-6, S. 62 (englisch): “Dr. Nazım Selanikli (1870–1926), one of the oldest members of the Committee (İstanbul 1899), was one of the responsible for the expulsion of the Ottoman Greeks from Western Anatolia.”
  3. Samuel Totten mit Bartrop, Paul R.: Dictionary of genocide. 1. publ. Auflage. Greenwood Press, Westport, Conn. [u. a.] 2008, ISBN 978-0-313-34644-6, S. 303–304 (englisch, eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  4. Donald E. Miller, Lorna Touryan Miller: Survivors an oral history of the Armenian genocide. University of California Press, Berkeley 1993, ISBN 0-520-92327-8, S. 44 (englisch, eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche): “In addition to Drs. Nazim and Shakir, other physicians were involved in the genocide.”
  5. Marc David Baer: The Dönme: Jewish Converts, Muslim Revolutionaries, and Secular Turks. 1. Auflage. Stanford University Press, Stanford 2010, ISBN 978-0-8047-6867-2, S. 91 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  6. Taner Akçam: A Shameful Act. The Armenian Genocide and the Question of Turkish Responsibility. New York 2007, S. 42.
  7. Uğur Ümit Üngör: The Making of Modern Turkey: Nation and State in Eastern Anatolia, 1913–1950. 1st pbk.ed. Oxford University Press, Oxford 2012, ISBN 978-0-19-965522-9, S. 45–49 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [abgerufen am 16. Februar 2013]).
  8. Taner Akçam: A Shameful Act. The Armenian Genocide and the Question of Turkish Responsibility. New York 2007, S. 64.
  9. Robert Melson: Revolution and genocide : on the origins of the Armenian genocide and the Holocaust. Mit einem Vorwort von Leo Kuper. 1. veröffentlichte Auflage. University of Chicago Press, Chicago 1996, ISBN 0-226-51990-2 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche [abgerufen am 16. Februar 2013]).
  10. Guenter Lewy: Der armenische Fall. Die Politisierung der Geschichte. Was geschah, wie es geschah und warum es geschah. Edition Diwan. Klagenfurt/Celovec 2009, S. 70 f.
  11. Translated into English by Haigazn Kazarian: Verdict („Kararname“) of the Turkish Military Tribunal. Published in the Official Gazette of Turkey (Takvimi Vekayi), no. 3604 (supplement), 22. Juli 1919, abgerufen am 12. Januar 2013 (osmanisch): „In accordance therefore with the above mentioned paragraphs in the law code, Talaat, Enver, Djemal and Dr. Nazim are sentenced to death“
  12. Dr. Nazım’s political life (Memento des Originals vom 23. März 2012 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.belgeler.com türkisch.