Fit for 55

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Fit for 55 ist ein Paket reformierter und neuer Richtlinien und Verordnungen der Europäischen Kommission zur Klimapolitik der Europäischen Union. Das Paket wurde am 14. Juli 2021 vorgestellt. Konzeptionelle Grundlage ist der European Green Deal, den das Gesetzespaket umsetzen soll. Mit dem Paket soll das im Europäischen Klimagesetz verankerte Ziel erreicht werden, den Ausstoß von Treibhausgasen in der EU bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Ausstoß 1990 zu reduzieren und Europa bis 2050 klimaneutral zu machen.[1]

Inhalte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Paket sieht eine Trias von verschärften Klimazielen, marktorientierten Maßnahmen und ordnungsrechtlichen Vorschriften vor.[2] Einerseits sollen bestehende Klimaschutzmaßnahmen der Europäischen Union verschärft werden; andererseits sind neue Ansätze vorgesehen. Zu den bestehenden Rechtsakten, die verschärft werden sollen, gehören

  • die Emissionshandels-Richtlinie, mit folgenden Änderungen:[3]
    • das Minderungsziel im bestehenden EU-Emissionshandel, der vor allem die Bereiche Industrie, Energie umfasst (EU-EHS I), wird von −43 % auf −61 % bis 2030 gegenüber 2005 verschärft;
    • die Seefahrt soll in ähnlicher Weise wie der Luftverkehr in das EU-EHS I integriert werden;
    • die Marktstabilitätsreserve im EU-EHS I wird angepasst: ein größerer Anteil Zertifikate wird eingestellt bzw. gelöscht;
    • für den Verkehrs- und Gebäudesektor soll ein – zunächst separater – Emissionshandel eingerichtet werden (EU-EHS II);
  • die Energieeffizienzrichtlinie;
  • die Erneuerbare-Energien-Richtlinie;
  • die sog. LULUCF-Verordnung, die die Sektoren Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (Land usage, land usage change, forestry – LULUCF) umfasst;
  • die Lastenteilungsverordnung, u. a. mit folgenden Änderungen, die im Mai 2023 in Kraft traten:[4]
    • das Minderungsziel in den Sektoren, die nicht unter das EU-EHS I fallen, wurde für 2030 von −30 % auf −40 % gegenüber 2005 angehoben,
    • die Emissionsminderungsziele für die einzelnen Mitgliedstaaten wurden entsprechend verschärft,
    • die Flexibilitätsmechanismen wurden angepasst: die Möglichkeit, Emissionszuweisungen in Folgejahre zu übertragen, eingeschränkt, dafür die Möglichkeit zur Übertragung zwischen Mitgliedstaaten ausgeweitet.
  • die Rahmenvorschriften der Union zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom (Neufassung) (→ Energiesteuerrichtlinie);[5]
  • die EU-Normen für den CO2-Ausstoß von Pkw (→ Verordnung (EU) 2019/631 Festsetzung von CO2-Emissionsnormen für neue Personenkraftwagen).

Neu sind insbesondere

  • das CO2-Grenzausgleichssystem (Carbon Border Adjustment Mechanism – CBAM), das die Gefahr der Carbon Leakage verringern soll, indem es für die grauen Emissionen von in die EU eingeführten Produkte den Kauf von CBAM-Zertifikaten verlangt;
  • die Europäische Kompetenzagenda für nachhaltige Wettbewerbsfähigkeit, soziale Gerechtigkeit und Resilienz, die die klimagerechte Aus- und Weiterbildung von Arbeitskräften fördert;
  • die Europäische Waldstrategie, die den Ausbau von CO2-Senken fördern soll;
  • die Verordnung über den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe,
  • ein Klima-Sozialfonds,[6] der u. a. mit 25 % der Einnahmen aus dem neuen Emissionshandel für Gebäude und Verkehr ausgestattet werden soll; aus dem Fonds sollen Maßnahmen finanziert werden, die von Preissteigerungen fossiler Brennstoffe besonders betroffenen Menschen, Verkehrsnutzer und Kleinstunternehmen helfen.[2]

Kritik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Umweltorganisation Greenpeace kritisierte, das Paket sei nicht dazu geeignet, die Globale Erwärmung und die damit verbundene Zerstörung wichtiger lebenserhaltender Systeme aufzuhalten, weil das anvisierte Ziel zu niedrig sei. Die Organisation kritisierte die Einstufung von Bioenergie als erneuerbare Energie und den Verkauf von nicht emissionsfreien Autos bis 2035.[7] Auch die Organisation Germanwatch meinte, das 55 %-Ziel sei nicht ausreichend und eine Anhebung auf eine Reduktion von 60 % bis 2030, wie vom Europäischen Parlament gefordert, sei notwendig.[8]

Der polnische Ministerpräsident Morawiecki hat behauptet, der Emissionshandel werde Europa in die tiefste Wirtschaftskrise „seit 100 Jahren“ treiben; außerdem mache er die Armen noch ärmer und die Reichen noch reicher.[9][10]

Eine Analyse des Kopernikus-Projektes Ariadne untersuchte 2021 die Frage, ob das bestehende, weiche Governance-System der Energie- und Klimaunion ausreicht für die klimapolitischen Maßnahmen jenseits des Emissionshandels, mit denen Fit for 55 ambitionierte Klimaziele erreichen will. Angesichts der zögerlichen Umsetzung schon bestehender Ziele wird dies als fraglich gesehen. Eine Anpassung der Governance-Verordnung ist im Fit for 55-Paket nicht vorgesehen.[11]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Sabine Schlacke, Helen Wentzien, Eva-Maria Thierjung, Miriam Köster: Implementing the EU Climate Law via the ‘Fit for 55’ package. In: Oxford Open Energy. Band 1, Januar 2022, doi:10.1093/ooenergy/oiab002 (open access).

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Fit for 55 package under the European Green Deal. Europäisches Parlament, abgerufen am 24. Juli 2021 (englisch).
  2. a b „Fit für 55“: auf dem Weg zur Klimaneutralität – Umsetzung des EU‑Klimaziels für 2030, Mitteilung der Kommission vom 14.7.2021, COM(2021) 555 final, S. 4.
  3. Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/87/EG über ein System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Union, des Beschlusses (EU)2015/1814 über die Einrichtung und Anwendung einer Marktstabilitätsreserve für das System für den Handel mit Treibhausgasemissionszertifikaten in der Union und der Verordnung (EU) 2015/757, COM(2021) 551.
  4. Revising the Effort-sharing Regulation for 2021-2030: 'Fit for 55' package. Think Tank – European Parliament, 31. Mai 2023, abgerufen am 23. Juni 2023.
  5. Vorschlag der Europäischen Kommission für eine RICHTLINIE DES RATES zur Restrukturierung der Rahmenvorschriften der Union zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom (Neufassung), COM(2021) 563 final.
  6. Vorschlag für eine VERORDNUNG DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES zur Einrichtung eines Klima-Sozialfonds
  7. EU Commission ‘Fit for 55’ package unfit to contain climate crisis. Abgerufen am 5. September 2021 (englisch).
  8. Audrey Mathieu und Anne Gläser: Das Fit-for-55-Paket: Startpunkt für die Umsetzung des EU-Klima-ziels 2030. Abgerufen am 5. September 2021.
  9. Konrad Schuller: Der Kampf ums Klima entscheidet sich in Europa (FAS 26. Dezember 2021, Kommentar)
  10. siehe auch Mateusz Morawiecki: Politisches Greenwashing der EU verhindern. 16. Dezember 2021, abgerufen am 31. Oktober 2023 (Gastbeitrag vom 16. Dezember 2021).
  11. Michèle Knodt, Rainer Müller, Marc Ringel, Sabine Schlacke: Ariadne-Analyse: (Un)Fit for 55? Lehren aus der Implementation der Governance-Verordnung. 25. Juni 2021 (ariadneprojekt.de).