Hans Ulrich Gumbrecht

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Hans Ulrich Gumbrecht in Stanford (2015)

Hans Ulrich Gumbrecht (* 15. Juni 1948 in Würzburg) ist ein deutsch-amerikanischer Romanist, Literaturwissenschaftler, Publizist und Buchautor. Von 1989 bis 2018 hatte er einen Lehrstuhl für Komparatistik an der Stanford University inne. Gumbrecht war ständiger Gastprofessor an der Université de Montréal, am Collège de France sowie an der Zeppelin Universität Friedrichshafen.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Hans Ulrich Gumbrecht wuchs als Kind zweier promovierter Urologen in Würzburg auf. Am dortigen Siebold-Gymnasium legte er sein Abitur ab; in der Oberstufe verbrachte er ein Jahr am Lycée Henri IV in Paris. Er studierte als Stipendiat der Stiftung Maximilianeum Romanistik, Germanistik, Philosophie und Soziologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München und in Regensburg. Auslandsaufenthalte führten ihn nach Spanien an die Universität Salamanca und nach Italien an die Universität Pavia. Er war Mitglied des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes. Nach seinem Studium wurde Gumbrecht in Konstanz bei Hans Robert Jauß promoviert, dessen wissenschaftlicher Mitarbeiter er wurde.

Mit 26 Jahren wechselte er 1975 als Professor an die Universität Bochum, 1983 an die Universität-Gesamthochschule Siegen. Zwischen 1981 und 1989 organisierte Gumbrecht am Inter-University Center im jugoslawischen Dubrovnik fünf interdisziplinäre Forschungscolloquien zur erkenntnistheoretischen Neuorientierung der Geisteswissenschaften, an denen unter anderem Niklas Luhmann und Friedrich Kittler teilnahmen.[1] In Siegen begründete er 1987 das erste geisteswissenschaftliche DFG-Graduiertenkolleg mit dem Titel „Kommunikationsformen als Lebensformen“, an dem u. a. Jürgen Habermas, Niklas Luhmann, Jean-Francois Lyotard und Paul Watzlawick zu Gast waren.[2]

Gumbrecht bewarb sich vergeblich um die Konstanzer Lehrstuhlnachfolge seines akademischen Lehrers Jauß. Er wurde 1989 auf den Lehrstuhl für Komparatistik an der Stanford University berufen, wo er Albert-Guérard-Professor für romanische Literatur am Department of Comparative Literature war. Seit März 2000 besitzt Gumbrecht die amerikanische Staatsbürgerschaft.[3] Sein 1997 zuerst auf Englisch erschienenes Werk In 1926: Living at the Edge of Time prägte ein seit den 2000er Jahren populäres Genre von Sachbüchern über einzelne Jahre.[4]

2009 trat er eine Gastprofessur an der Zeppelin Universität in Friedrichshafen an, die später zu einer „ständigen Gastprofessur“ umgewandelt wurde, so dass der Literaturwissenschaftler regelmäßig für kurze Zeiträume an den Bodensee kommt, um Lehrveranstaltungen zu geben.[5] 2012 und 2013 war Gumbrecht Fellow des Kollegs Friedrich Nietzsche in Weimar, wo er unter dem Vorlesungstitel „Riskantes Denken“ seine Entwürfe einer „Genealogie des westlichen Intellektuellen“ vorstellte. 2018 wurde er in Stanford emeritiert.[6]

Gumbrecht hatte zahlreiche Gastprofessuren u. a. in[7][8]

2013 war Gumbrecht für den Ludwig-Börne-Preis sowohl Juror als auch Laudator für den Preisträger Peter Sloterdijk.

Gumbrecht ist in zweiter Ehe verheiratet und Vater von vier Kindern.

Publizistische Positionen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Regelmäßig schreibt er für die Zeitungen NZZ, FAZ, Die Zeit und Die Welt. So schrieb er 2017 einen Artikel für die NZZ mit der Überschrift: „Schöner, softer Sozialdemokratismus“ und dem Zusatz „Überlegungen eines amerikanisierten Alteuropäers“.[12] Die „Mainstream-Intellektuellen“ bezeichnete er als „gebildete Halbgebildete“.[13] Seit 2012 schrieb er auf FAZ.net einen Blog Digital/Pausen, in dem er regelmäßig zu gesellschaftspolitischen Themen Stellung bezog. Im März 2018 trennte sich FAZ.net nach 273 Blogs überraschend aufgrund einer Neuausrichtung ihrer Blogseite von Gumbrecht und anderen Autoren wie Rainer Meyer („Don Alphonso“) und Carsten Knop.[14] Thomas Ribi hat Gumbrecht in der NZZ „einen der prägenden Intellektuellen unserer Zeit“ genannt.[15] Die NZZ bezeichnete ihn in einem Artikel anlässlich der Emeritierung als „antiakademischen Akademiker“.[16] Gumbrecht kritisiert den zeitgemäßen Moralismus als Verabsolutierung einer Hochmoral in den Bereichen der Gleichheit und Nachhaltigkeit: Die einen wollen „Ergebnisgleichheit in allen gesellschaftlichen Belangen um jeden Preis“, die anderen „die Erhaltung der Natur, ebenfalls um jeden Preis“.[17]

Ehrungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Veröffentlichungen (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Monographien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Herausgeberschaften[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Aufsätze u. a.[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Rezeption: Artikel und Rezensionen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Thomas Wirtz: Schwermut war es, nicht die scharfglänzende Schminke. In: FAZ. 20. März 2001 (faz.net – Rezension zu: H. U. Gumbrecht: 1926. Ein Jahr am Rand der Zeit. Frankfurt am Main 2001).
  • Christoph von Wolzogen: Rezension zu: H. U. Gumbrecht: 1926. Ein Jahr am Rand der Zeit. Frankfurt am Main 2001. In: Die Welt. 4. April 2001.
  • Manuel J. Hartung: Das Spiel mit Sepp. Er provoziert und polarisiert: Hans Ulrich Gumbrecht ist einer der wenigen deutschen Geisteswissenschaftler, die weltweit Gehör finden. In: Die Zeit. Nr. 13/2007, 2007 (zeit.de – Porträt über Gumbrecht).
  • Elias Kreuzmair: Hans Ulrich Gumbrechts Begriff der Präsenz und die Literatur (PDF-Datei; 534 kB). In: Helikon. A Multidisciplinary Online Journal. 2, 2012, S. 233–247.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Rembert Hüser: „Etiketten aufkleben.“ In: Das Populäre der Gesellschaft: Systemtheorie und Populärkultur. Hg. v. Christian Huck und Carsten Zorn. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften 2007, 239–260. Link

Trivia[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gumbrecht beschäftigt sich in seinen Beiträgen immer wieder mit der Rolle des Sports, er ist Anhänger des Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund.[22]

Im Zuge der #metoo-Debatte berichtete er, auf eine missverständliche Signatur in seinen E-Mails hingewiesen worden zu sein: Eine Ombudsperson seiner Universität machte ihn darauf aufmerksam, dass seine Initialen HUG als „hug“ („Umarmung“) missverstanden werden könnten.[23]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. "Die 'Gebärden' der Mythographie und die Zeit-Resistenz des Mythos". Abgerufen am 9. Dezember 2020.
  2. 04.02.2019: Abendvortrag – Hans Ulrich Gumbrecht (Stanford). SFB 1187 – Medien der Kooperation. Universität Siegen, abgerufen am 13. Dezember 2020 (deutsch).
  3. Manuel J. Hartung: Das Spiel mit Sepp. In: Die Zeit, 13/2007 (Porträt über Gumbrecht).
  4. Jochen Hieber: Hans Ulrich Gumbrecht zum 70.: Die Präsenz des Distanzdeutschen. In: FAZ.NET. ISSN 0174-4909 (faz.net [abgerufen am 31. Juli 2021]).
  5. Ständige Gastprofessur für Literaturwissenschaften an der Zeppelin-Uni, Zeppelin-Universität, abgerufen am 20. Januar 2019.
  6. René Scheu: Hans Ulrich Gumbrecht: «Ich arbeite so viel, dass es mir gelingt, die wirklich Begabten aus dem Feld zu schlagen» | NZZ. In: Neue Zürcher Zeitung. 22. September 2018 (nzz.ch [abgerufen am 14. Dezember 2019]).
  7. Akademie Schloss Solitude. 28. März 2019, archiviert vom Original am 28. März 2019; abgerufen am 28. März 2019.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.akademie-solitude.de
  8. a b Vita Hans Ulrich Gumbrecht. (PDF) Stiftung zur Förderung der Hochschulrektorenkonferenz, 28. März 2019, archiviert vom Original am 28. März 2019; abgerufen am 28. März 2019.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.hrk.de
  9. Wissenschaftskolleg zu Berlin. 2012, abgerufen am 29. März 2024 (deutsch).
  10. a b Hans Ulrich Gumbrecht — IKKM Weimar. 2019, abgerufen am 29. März 2024.
  11. Hans Ulrich Gumbrecht - Universität Greifswald. 2008, abgerufen am 29. März 2024.
  12. Schöner, softer Sozialdemokratismus, NZZ vom 25. März 2017
  13. Hans Ulrich Gumbrecht: Die neue Internationale der Halbgebildeten. In: nzz.ch. 25. November 2017, abgerufen am 29. Januar 2024.
  14. FAZ trennt sich von Don Alphonso, Tagesspiegel vom 6. März 2018, abgerufen am gleichen Tag
  15. Thomas Ribi: Ist Moral moralisch? Gefährlich denken mit Hans Ulrich Gumbrecht. In: nzz.ch. 6. Juni 2019, abgerufen am 29. Januar 2024.
  16. Sarah Pines: Denken? Das ist ein Risikosport! In: nzz.ch. 14. Februar 2018, abgerufen am 29. Januar 2024.
  17. Interview: René Scheu: «Ich möchte ein Stachel im Fleisch der Gutmenschen sein». 3. Oktober 2022, abgerufen am 14. Januar 2023 (Schweizer Hochdeutsch).
  18. Kenneth M. Cuthbertson Award | Registrar's Office. 28. März 2019, archiviert vom Original am 28. März 2019; abgerufen am 28. März 2019.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/registrar.stanford.edu
  19. Hans Gumbrecht's Profile | Stanford Profiles. 28. März 2019, archiviert vom Original am 28. März 2019; abgerufen am 28. März 2019.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/profiles.stanford.edu
  20. Kulturpreisträger der Stadt Würzburg
  21. Süddeutsche Zeitung: Genialisch verzappelt. Abgerufen am 27. Dezember 2020.
  22. Gumbrecht, Philosophie des leeren Stadions. FAZ-Blog vom 22. Februar 2014.
  23. Schweizer Radio und Fernsehen: TV-Programm - srf.ch - Sendung «Sternstunde Philosophie» - 9.12.2019 3:15 Uhr. Abgerufen am 14. Dezember 2019 (Schweizer Hochdeutsch).