Institut für Kriminologische Sozialforschung

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Das Institut für Kriminologische Sozialforschung (kurz IKS) an der Universität Hamburg war das einzige sozialwissenschaftlich orientierte kriminologische Institut in der Bundesrepublik Deutschland. 2016 wurde das Institut aufgelöst und zum Fachgebiet Kriminologische Sozialforschung am Fachbereich Sozialwissenschaften der WiSo Fakultät der Universität.[1]

Zur Einordnung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In den englischsprachigen Ländern ist es üblich, dass Kriminologie von Sozialwissenschaftlern betrieben wird; in Deutschland sind jedoch ansonsten alle kriminologischen Lehrstühle und Institute an den juristischen Fakultäten angesiedelt und das Fach Kriminologie wird überwiegend von Strafrechtlern mit abgedeckt. Auch an der Universität Hamburg gibt es neben dem sozialwissenschaftlichen Fachgebiet ein Institut für Kriminalwissenschaften an der juristischen Fakultät.[2] Es muss allerdings ergänzend erwähnt werden, dass kriminologische Forschung in Deutschland immer auch außerhalb des Labels "kriminologisches Institut" oder "Lehrstuhl für Kriminologie" betrieben worden ist. Ein Beispiel hierfür ist der überwiegend von Sozialwissenschaftlern betriebene "Arbeitskreis junger Kriminologen".[3]

Geschichte des Instituts und der an ihm angebotenen Studiengänge[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Vorgeschichte des IKS begann 1984 mit einem auf Initiative der Soziologieprofessorin Lieselotte Pongratz eingerichteten „Aufbau- und Kontaktstudium Kriminologie“, das zwar vom Soziologen Fritz Sack geleitet wurde, aber noch der Rechtswissenschaftlichen Fakultät zugeordnet war. Im Jahr 2000 gingen die Studiengänge sodann an das neugegründete IKS und damit an die Sozialwissenschaftliche Fakultät. Erster Institutsdirektor des IKS war Fritz Sack, auf ihn folgte als geschäftsführender Direktor Sebastian Scheerer – beide sind habilitierte Soziologen.[4]

Am IKS – wie auch zuvor bereits an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät – wurden bis zum Sommersemester 2004 die Studiengänge „Aufbaustudium Kriminologie“[5] mit dem Abschluss „Diplom-Kriminologe/in“ sowie das weiterbildende „Kontaktstudium Kriminologie“ angeboten. Ab dem Sommersemester 2005 wurden die beiden[6] Studiengänge im Rahmen der Bologna-Reform auf die im nächsten Absatz genannten Masterstudiengänge umgestellt.[7]

Das Fachgebiet Kriminologische Sozialforschung bietet in Nachfolge des IKS zwei Studiengänge an, den Masterstudiengang Internationale Kriminologie[8] und den Weiterbildenden Masterstudiengang Kriminologie[9] Programmdirektorin und Vorsitzende des Prüfungsausschusses beider Studiengänge ist Christine Hentschel.

Ab dem Wintersemester 2022/23 gibt es für den Masterstudiengang Internationale Kriminologie einen Zulassungsstopp, um den Lehrbetrieb bis 2027 sukzessive abzubauen,[1] was zu erheblichen Protesten nicht nur aus Kreisen der Kritischen Kriminologie führte.[10] Auch in der allgemeinen Presse wurde die Schließung kritisch beleuchtet. Sowohl die TAZ, die den gefährdeten Studiengang als in Deutschland einzigartig bezeichnete als auch das Hamburger Abendblatt berichteten und kommentierten entsprechend.[11][12]

Forschung und Lehre[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Von Beginn an galt es als Ziel des IKS, die Kriminologie in Deutschland als eine autonome, von der Rechtswissenschaft unabhängige sozialwissenschaftliche Disziplin – Fritz Sack zufolge als eine Strafrechtssoziologie – zu etablieren. Aus diesem Grund stand am Institut lange Zeit der Etikettierungsansatz (Labeling Approach) mit Schwerpunkt auf die Analyse von sozialen Prozessen der Definition, der gesellschaftlichen Reaktion und Verarbeitung im Vordergrund.[13] Unter der Ägide des neuen Institutsdirektors Sebastian Scheerer wurde diese Fokussierung auf die Labeling-Perspektive sodann teilweise – aber nicht vollständig – aufgebrochen und um die zusätzliche Dimension der Terrorismusforschung erweitert.[14] Die ebenfalls am Institut tätige Susanne Krasmann – zunächst als wissenschaftliche Mitarbeiterin, später als Professorin – brachte Forschungen zu den Themenfeldern Recht und Wissen, Critical Security Studies, Sichtbarkeitsregime, Kontrolltechnologien & Gouvernementalität der Gegenwart in die Arbeit des Instituts mit ein.

In der Lehre waren das Aufbaustudium Kriminologie wie auch der Nachfolgestudiengang Internationale Kriminologie zuletzt um die beiden Themenschwerpunkte Policing und Gewalt unter der Perspektive „Governing Security“ herum konzipiert.[15]

Im Rahmen von DFG-Forschungsprojekten wurden von den Institutsdirektoren und am Institut tätigen Professoren zuletzt u. a. folgende Themenfelder erforscht:

  • Franz Exner (1881–1947) und die deutsche Kriminologie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts[16]
  • Der „überwachte“ Bürger zwischen Apathie und Protest. Zur Genese neuer staatlicher Kontrolltechnologien und ihren Effekten auf Einstellungen und Verhalten der Bevölkerung[17]
  • Punitivität – Erscheinungsformen und Genese[18]
  • Biometrie als ‚soft surveillance’. Die Akzeptanz von Fingerabdrücken im Alltag“[19]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Viorica Engelhard: Aus für Hamburger Kriminologie-Studium. Abgründe erforschen, in: taz nord, 24. Januar 2022.
  2. Christian Wickert, Christina Schlepper, Simon Egbert und Katrin Bliemeister: Kriminologie studieren in Hamburg, in: Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform (MschrKrim), 96. Jahrgang, Heft 2/3, 2013, S. 270–275, hier S. 270, Anmerkung 1 (Seite 270 online)
  3. Thomas Feltes und Michael Walter, Kriminologische Forschung und Lehre in der Bundesrepublik Deutschland, eine Übersicht
  4. Christian Wickert, Christina Schlepper, Simon Egbert und Katrin Bliemeister: Kriminologie studieren in Hamburg, in: Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform (MschrKrim), 96. Jahrgang, Heft 2/3, 2013, S. 270–275, hier S. 270 (Seite 270 online)
  5. vgl. hier: Ankündigung des Beginns des neuen Studienjahres für das Aufbaustudium Kriminologie im Sommersemester 2003
  6. Es handelte sich auch damals bereits um zwei Studiengänge. Vgl. diesen Artikel des Blogs criminologia.de, zuletzt aktualisiert im Mai 2017
  7. vgl. die erste Studien- und Prüfungsordnung des neu konzipierten Masterstudiengangs Internationale Kriminologie vom 6. Juli 2005/13. Juli 2005
  8. Universität Hamburg, Studiengänge: Internationale Kriminologie, abgerufen am 26. November 2019.
  9. Universität Hamburg, Studiengänge: M.A. Kriminologie, abgerufen am 26. November 2019.
  10. Schließung des Studienganges Internationale Kriminologie. Stellungnahme der Herausgeber*innen des Kriminologischen Journals zu geplanten Schließung des Masterstudienganges "Internationale Kriminologie" durch die Universität Hamburg, in: Kriminologisches Journal, abgerufen am 24. Juni 2022.
  11. hier die TAZ: Aus für Hamburger Kriminologie-Studium.
  12. Master Kriminologie steht auf der Kippe. Kritik an Uni-Chef
  13. Mitteilungen, in: Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 70 (1987), Heft 6, S. 378
  14. vgl. Scheerers Buch Die Zukunft des Terrorismus. Drei Szenarien, Zu Klampen, Lüneburg 2002
  15. Ankündigung, in: Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 87 (2004) Heft 5, S. 406.
  16. Beschreibung des Projektes auf den Seiten der DFG.
  17. Beschreibung des Projektes auf den Seiten der DFG.
  18. Beschreibung des Projektes auf den Seiten der DFG.
  19. Jahresbericht des IKS 2009, S. 14.