Lexikon der indogermanischen Verben

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Das Lexikon der indogermanischen Verben (LIV) ist ein etymologisches Wörterbuch des protoindogermanischen Verbs. Es entstand unter der Leitung von Helmut Rix. Die erste Auflage erschien 1998 im Dr.-Ludwig-Reichert-Verlag Wiesbaden, die zweite (ISBN 3-89500-219-4) erschien 2001.

Das Buch basiert zum Großteil auf dem Indogermanischen etymologischen Wörterbuch von Julius Pokorny, rekonstruiert die Wurzeln jedoch als erstes indogermanisches Wörterbuch ausschließlich auf Grundlage der Laryngaltheorie.

Aufnahme und Kritik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Die Beleglage für manche Wurzelansätze wird von Seebold[1] als ungenügend angesehen, da zum Teil nur eine einzige Tochtersprache angegeben wird. Das LIV begegnet dieser Kritik mit dem Einwand, die Einschätzung der Ansätze aufgrund der Beleglage solle dem Leser überlassen bleiben.[2]
  • Die Kritik an angesetzten Wortbedeutungen[1] wird im LIV als „grundsätzlich berechtigt“ bezeichnet.[3]
  • Meier-Brügger[4] bezeichnet das Verbalsystem des LIV vorsichtig als „adäquat und konsensfähig“, ohne allen Analysen von H. Rix im Einzelnen zustimmen zu wollen.
  • Fortson[5] nennt das LIV sehr nützlich und aktuell. Er erwähnt aber auch, dass einige Stellen strittig seien, ohne dies aber näher zu spezifizieren.

Das Verbalsystem im LIV[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der grammatische Abriss des LIV vertritt die Hypothese, dass im Urindogermanischen zuerst eine Unterscheidung zwischen zwei Aktionsarten, nämlich telischen Verben (abgeschlossen: zum Beispiel *leh₂p- ‘aufleuchten’) und atelischen (unvollendet, kontinuierlich: *bʰeh₂- ‘glänzen, leuchten, scheinen’), bestanden habe.

Es habe dann ein Übergang zu einem Aspektsystem mit den Hauptkategorien Aorist (perfektiv) und Präsens (imperfektiv) stattgefunden. Die telischen Verben wurden als Aorist interpretiert, und das fehlende Präsens wurde durch ein n-Infix (zu *leh₂p-: *l̥h₂--p-) und verschiedene Suffixe (*l̥h₂p-sḱé-) gekennzeichnet, die von alten Aktionsartkategorien stammten. Die atelischen Verben wurden als Präsens interpretiert, und der Aorist durch das neu gebildete Suffix -s- bezeichnet.

Dieser Ansatz soll folgende Phänomene erklären:

  • Einige Verben bilden Wurzelpräsentien (lat. dūcō ‚ich ziehe, führe‘ aus *deu̯k-) mit davon abgeleitetem s-Aorist (im Lateinischen Perfekt: dūxī ‚ich habe gezogen, geführt‘, gesprochen dūksī, aus *deu̯k-s-).
  • Andere dagegen bilden einen Wurzelaorist (lat. vici ‚ich habe gesiegt‘ aus *u̯ei̯k-) mit abgeleitetem Präsens (vinco ‚ich siege‘ aus *u̯i-n-k-).
  • Abgeleitete Präsensformen werden unterschiedlich gebildet (zum Teil sogar bei ein und demselben Verb wie in *l̥h₂--p- / *l̥h₂p-sḱé-). Dies erklärt das LIV mit der Existenz unterschiedlicher alter Aktionsartkategorien, die alle im neu gebildeten Präsens aufgegangen seien.

Neben dem Präsens und dem Aorist setzt das LIV noch weitere Kategorien an, nämlich das Perfekt, den Kausativ-Iterativ, den Desiderativ, das Intensivum (wiederholte Realisierung), den Fientiv (Eintritt des Subjekts in einen neuen Zustand) und den Essiv (Zustand des Subjekts).

Lemmata[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Wörterbuchteil enthält zu jedem Lemma (jeder Verbalwurzel)

  • die vermutete Bedeutung
  • die rekonstruierten Stämme mit ihren Reflexen in den Tochtersprachen
  • umfangreiche Fußnoten (Quellenangaben, Hinweise auf zweifelhafte und alternative Herleitungen etc.)
  • Querverweise zur entsprechenden Seite im Indogermanischen etymologischen Wörterbuch.

Anhang[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Anhang finden sich ein rückläufiger Wurzelindex, ein Index der rekonstruierten Stammbildungen und ein Index der einzelsprachlichen Wortformen.

Quellen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Elmar Seebold: ‚LIV‘, Lexicon of Indo-European verbs. Roots and their primary stems. In: Indogermanische Forschungen Nr. 104, 1999, S. 287–295.
  2. Rix et al.: LIV2, S. 34.
  3. Rix et al.: LIV2, S. 35.
  4. M. Meier-Brügger: Indogermanische Sprachwissenschaft, 72000. S. F103.
  5. Benjamin W. Fortson IV: Indo-European Language and Culture. Blackwell, Malden 12004. S. 99.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Helmut Rix: Lexikon der indogermanischen Verben. Die Wurzeln und ihre Primärstammbildungen (LIV). Bearbeitet von M. Kümmel, Th. Zehnder, R. Lipp und B. Schirmer. Dr. Ludwig Reichert Verlag, Wiesbaden 1998, 2001. ISBN 3-89500-219-4.
    • Addenda und Corrigenda zu LIV². Html-Version. Letzte Änderung: 3. Februar 2015.
  • Julius Pokorny: Indogermanisches etymologisches Wörterbuch. 2 Bde. Francke, Bern/München 1947–66 (1. Aufl.), 2005 (5. Aufl.). ISBN 3772009476

ähnliche Lexika

  • George E. Dunkel (Hrsg.): Lexikon der indogermanischen Partikeln und Pronominalstämme (LIPP). Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2014.
  • Dagmar S. Wodtko, Britta Irslinger und Carolin Schneider (Hrsgg.): Nomina im Indogermanischen Lexikon (NIL). Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2008.