Martin Karplus

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Martin Karplus 2013

Martin Karplus (* 15. März 1930 in Wien) ist ein US-amerikanischer theoretischer Chemiker österreichischer Herkunft. Am 9. Oktober 2013 wurde ihm gemeinsam mit Michael Levitt und Arieh Warshel „für die Entwicklung von Multiskalenmodellen für komplexe chemische Systeme“ der Nobelpreis für Chemie zuerkannt.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In Wien geboren – Familie Karplus gehörte zum jüdischen Großbürgertum – verbrachte Martin Karplus seine Kindheit mit seinem Vater, dem Kaufmann Hans Karplus (3. September 1898–1. September 1971), seiner Mutter Lucie Isabella Karplus, geb. Goldstern (12. März 1900–19. März 1967) und seinem 1927 geborenen Bruder Robert (später theoretischer Physiker und Physiklehrer an der Universität Berkeley) im 19. Wiener Gemeindebezirk, in der zwischen den alten Weinhauerorten Sievering und Unterdöbling gelegenen Paradisgasse, wo man auf Nr. 57 wohnte.[1]

Zunächst schien in der Familie seine Laufbahn als Mediziner vorgezeichnet: Sein Großvater väterlicherseits war der Neurophysiologe und Professor an der Universität Wien Johann Paul Karplus, verheiratet mit Valerie von Lieben, Tochter von Anna von Lieben und Schwester Robert von Liebens, des Erfinders der Elektronenröhre als Verstärker; das Ehepaar Karplus wohnte im Palais Lieben-Auspitz gegenüber der Universität Wien. Martin Karplus' Großvater mütterlicherseits, Samuel Goldstern, betrieb die sogenannte Fango­heilanstalt, eines der bekanntesten Wiener Sanatorien.[2] An der Grenze zwischen dem 12. Wiener Gemeindebezirk, Meidling, und dem 10. Bezirk ist seit 1956 die Karplusgasse zwischen dem Unfallkrankenhaus Meidling und dem Kaiser-Franz-Josef-Spital nach Johann Paul Karplus benannt.

Nach dem „Anschluss Österreichs“ an den NS-Staat 1938 wurde sein Vater einige Monate inhaftiert, um der Familie das Vermögen abpressen zu können. Seine Mutter floh mit Martin und seinem Bruder Robert Karplus über die Schweiz in die Vereinigten Staaten, wo die Familie (mit dem Vater) am 8. Oktober 1938 eintraf.[3] Karplus ist seit seiner Geburt österreichischer und durch Einbürgerung US-amerikanischer Staatsbürger.[4]

In den USA studierte Martin Karplus ab 1947 an der Harvard University Chemie und erwarb im Jahr 1950 den Grad B.A. Nach dem Wechsel an das California Institute of Technology promovierte er in der Arbeitsgruppe um den späteren zweifachen Nobelpreisträger Linus Pauling 1953 mit der Arbeit A quantum-mechanical discussion of the bifluoride ion zum Ph. D.[5] Von 1953 bis 1955 arbeitete er im Rahmen eines Postdoc-Aufenthalts bei Charles Coulson an der Oxford University. 1955 wurde er Instructor und später Associate Professor für Physikalische Chemie an der University of Illinois. Ab 1959 war er Sloan Research Fellow. 1960 wechselte er wiederum als Associate Professor an die Columbia University, an der er später Professor wurde.

Seit 1966 ist Karplus Professor an der Harvard University und übernahm dort 1979 den Theodore-William-Richards-Lehrstuhl für Chemie. Seit 1995 ist er auch Professor am Institut de Science et d'Ingénierie Supramoléculaires (I.S.I.S) der Universität Louis Pasteur (Universität Straßburg I) in Frankreich.[6][7]

1972/73, 1974/75 und 1980/81 war er Gastprofessor an der Universität Paris, 1980/81 und 1987/88 am Collège de France.

Kurz vor seiner Promotion bekam Karplus von seinen Eltern eine Leica-Kamera, mit der er neben seiner wissenschaftlichen Tätigkeit zu einem passionierten Fotografen wurde.[8] Schon während seiner Studienzeit und später während Vortragsreisen in Lateinamerika, China und Japan fotografierte er Landschaften und Straßenszenen. Im Sommer 2013 wurde eine Auswahl daraus unter dem Titel „Martin Karplus, la couleur des années 50“ in der Bibliothèque nationale de France präsentiert.[3][9] 2015 wurden einige seiner Farbfotos aus den 50er Jahren an der Universität Wien gezeigt;[10] der Anlass für die Ausstellung war die Verleihung eines Ehrendoktorats der Universität Wien an Karplus.[11]

Er ist seit 1981 verheiratet und hat drei Kinder.

Arbeiten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Arbeiten von Karplus sind wichtige Beiträge auf dem Gebiet der physikalischen Chemie. Besonders wichtig sind die Arbeiten im Bereich der NMR-Spektroskopie, der chemischen Dynamik, der Quantenmechanik und der Moleküldynamik-Simulation von biologischen Makromolekülen, siehe QM/MM.

Seine bekannteste Arbeit ist die Karplus-Beziehung, welche in der NMR-Spektroskopie die Abhängigkeit der Kopplungskonstante vom Diederwinkel zwischen den koppelnden Kernen beschreibt.

Zusammen mit Andrew McCammon und Bruce Gelin publizierte er die erste Moleküldynamik-Simulation eines Proteins, des Bovine Pancreatic Trypsin Inhibitors (BPTI). Seine aktuellen Forschungsinteressen gelten der Simulation biologisch interessanter Moleküle und der Weiterentwicklung des CHARMM-Computerprogramms.

Auszeichnungen (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nobelpreisträger Martin Karplus vor der Ehrenbürgertafel im Wiener Rathaus

Er ist Mitglied der National Academy of Sciences, der American Academy of Arts and Sciences (seit 1966) und der Königlich Niederländischen Akademie der Wissenschaften (seit 1991).

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • M. Karplus: Spinach on the Ceiling. A Theoretical Chemist’s Return to Biology. In: Annual Review of Biophysics and Biomolecular Structure. Band 35, 2006, S. 1–47

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Martin Karplus – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Lehmann's allgemeiner Wiener Wohnungs-Anzeiger, Ausgabe 1938, Band 1, S. 567 (= S. 583 der digitalen Darstellung)
  2. Georg Gaugusch: Wer einmal war – Das jüdische Großbürgertum Wiens 1800–1938, Amalthea, Wien 2011, ISBN 978-3-85002-750-2, S. 1358–1367
  3. a b Klaus Taschwer: Gemischte Gefühle für die Geburtsstadt Wien, Der Standard, 9. Oktober 2013
  4. Höchste Ehrung: US-Forscher Warshel, Karplus und Levitt erhalten Chemie-Nobelpreis 2013 Spiegel Online, Website des Nachrichtenmagazins Der Spiegel, Hamburg, 9. Oktober 2013
  5. Informationen zu und akademischer Stammbaum von Martin Karplus bei academictree.org, abgerufen am 15. Februar 2018.
  6. Universität Straßburg/I.S.I.S: Laboratoire de Chimie Biophysique: Martin Karplus (Memento vom 18. Oktober 2014 im Internet Archive) (abgerufen am 9. Oktober 2013)
  7. Alain Beretz, président de l'université de Strasbourg et Alain Fuchs, président du CNRS félicitent Martin Karplus, prix Nobel de chimie 2013 (abgerufen am 10. Oktober 2013)
  8. Die Presse
  9. Bibliothèque nationale de France: Exposition: Martin Karplus, la couleur des années 50, 2013
  10. "La Couleur des années 1950" - Fotografien von Martin Karplus (Memento vom 30. Mai 2015 im Internet Archive). Abgerufen am 30. Mai 2015.
  11. a b Universität Wien: Dies Honorum 2015: Ehrendoktorate und Promotion "sub auspiciis" (Memento vom 22. April 2015 im Internet Archive). Abgerufen am 22. April 2015.
  12. 11 ForscherInnen der Universität Wien sind neue Mitglieder der ÖAW, uni:view, 23. April 2015
  13. Ehrenbürgerwürde für Nobelpreisträger Martin Karplus. Rathauskorrespondenz vom 20. Mai 2015, abgerufen am 21. Mai 2015.