Matthias Kaul

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Matthias Kaul (* 29. Januar 1949 in Hamburg; † 1. Juli 2020[1]) war ein deutscher Perkussionist und Komponist.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kaul studierte nach dem Abitur Schlagzeug an der Hochschule für Musik und Theater Hamburg und war fünf Jahre lang Mitglied des Hamburger Instrumentalensembles Hinz & Kunst. Anschließend und teilweise auch schon während seines Studiums wirkte er gastweise als Schlagzeuger bei mehreren norddeutschen Symphonieorchestern mit. Zwischen 1977 und 1980 bereiste er Afrika, um die traditionelle Musik verschiedener Volksstämme (Xhosa, Samburu und Maasai) zu studieren. Im Jahre 1983 gründete er das Ensemble L’art pour l’art. Ab 1987 spielte er bei zahlreichen Radioaufnahmen und Festivals Perkussionsinstrumente und Glasharmonika und erschien auf CDs mit eigenen Werken und Kompositionen anderer Komponisten wie Alvin Lucier, John Cage, Vinko Gobokar und Christian Wolff. Als Improvisator spielte er ab 1990 im Duo mit dem amerikanischen Geiger Malcolm Goldstein. Er war der Erfinder zahlreicher Instrumente, darunter die Matthias Kaul-„Overtonedrum“ sowie die Oberton-Triangel. „Er baute dabei nicht nur eigene und oft sehr skurrile Instrumente, sondern brachte auch banale Alltagsgegenstände zum Klingen.“[2] Gemeinsam mit seiner Frau, der Flötistin Astrid Schmeling, gründete er 1999 die Kinderkompositionsklasse Winsen.[3][4][5] Im Jahr 2018 wurde er als Mitglied in die Freie Akademie der Künste in Hamburg aufgenommen.[6] Matthias Kaul starb im Alter von 71 Jahren „mitten in der Arbeit an einem fast vollendeten Werk“ für das Projekt „Sternbild: Mensch“ des „KlangForum Heidelberg“.[7]

Auszeichnungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • 2003: Aufnahme in die Bestenliste für den Preis der deutschen Schallplattenkritik mit „Bread and Roses“[8]
  • 2004: Aufnahme in die Bestenliste für den Preis der deutschen Schallplattenkritik mit „Toucher“[9]
  • 2007: Aufnahme in die Bestenliste für den Preis der deutschen Schallplattenkritik mit „Cover Versions“[10]
  • 2009: Förderpreis Musikvermittlung für die Kinderkompositionsklasse Winsen[11]
  • 2011: Junge Ohren Preis für die Kinderkompositionsklasse Winsen[12]
  • 2012: Jahrespreis der deutschen Schallplattenkritik für „Haltbar gemacht“[13]
  • 2012: Klassik-Echo für „Haltbar gemacht“ in der Kategorie „Klassik für Kinder“[14]

Werke[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Kauls kompositorisches Werk umfasst über 100 Kompositionen aus den Bereichen Kammermusik, Chor, Hörspiel und Musiktheater und ist nachhaltig geprägt von seiner Biografie als Schlagzeuger. Von Anfang an war er Improvisator und entwickelte in der Zusammenarbeit mit anderen Improvisatoren das Spektrum seiner Ausdrucksmöglichkeiten. Unabhängig von den in den Zentren der zeitgenössischen Musik vorherrschenden Strömungen hat Kaul seine Werke stets im unmittelbaren Erleben als ausübender Musiker geschaffen und eher experimentell nach neuen Ausdrucksformen gesucht. Er hat nie Komposition an einer Hochschule studiert. „Sein Kompositionsunterricht bestand daraus, dass er viele hundert Werke anderer Komponisten zur Uraufführung brachte.“[15] „Anhand von Werken von Hans Werner Henze, Vinko Globokar, André Jolivet, Mathias Spahlinger und Mauricio Kagel lernte Kaul die verschiedensten ästhetischen Ansätze, künstlerischen Sichtweisen und Kompositionspraktiken kennen.“[16] Darüber hinaus schrieben Komponisten wie Hans-Joachim Hespos eigens Werke für Kaul, was wiederum dessen Stil beeinflusste. „Experimentierfreude und striktes Ablehnen von Schubladendenken zeichnen seine Arbeit aus. Wenn er die Spieltechniken des traditionellen Instrumentariums erweitert, dann immer unabhängig von jeglichem Dogmatismus.“[17]

Kammermusik (Auswahl)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Listen this is for You, Kona – für Schlagzeug und Feedbackbottle (2004)
  • Kafkas Heidelbeeren – Imaginäres Vokal- und Instrumentaltheater (2005)
  • Silence Is my Voice – für Stimme mit Mundlautsprecherzuspielungen (2005)
  • Delikatessen – für 3 Spieler in einer Würstchenbude (2006)
  • Some Changes – für Stimme, Flöte, Gitarre, Schlagzeug (2007)
  • fremd, bestimmt – für 6 Vokalisten mit Mundlautsprechern (2008)
  • Salty – für Akkordeon Kontrabass und Zuspielband (2008)
  • Töne – für 6 Spieler mit 18 Blumentöpfen (2009)
  • Bell Air – für 6 Schlagzeuger mit 36 Glocken (2010)
  • Wheeled – für 5 Schlagzeuger mit 5 Fahrrädern (2010)
  • Stuff from Above – für 4 Schlagzeuger (2011)
  • Recycling – für 5 Schlagzeuger (2012)
  • Konzert für Panoramahorn und Ensemble (2015)

Musiktheater[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Relax
  • Kafkas Heidelbeeren
  • Electric Bath – für einen Performer

Musiktheater für Kinder[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Kuckuck im Koffer
  • Die Menschenfresserin
  • Oliver Twist (2004)

Hörspiele[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Undine geht, mit E. Bohde (1994)
  • Fuge mit einigen Freiheiten, mit E. Bohde (1996)
  • Das Buch der schönen Stimmen, mit E. Bohde (1997)
  • Electric Bath – für einen badenden Schlagzeuger (2003–2004, WDR)
  • Some Rooms in my room (2006; WDR Erstsendung 2007)
  • Audible Edibles (2009, WDR)
  • Schrammen (2011, WDR Erstsendung)
  • Umbauter Raum (2013; HR Erstsendung 2013)
  • Fake Dimensions (2013; WDR)
  • My Snare Drum gently weeps (2017)

Publikationen und Gespräche[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Amadeu Antonio Kiowa. In: MusikTexte Nr. 86/87, 2000
  • Mazza. In: Amadeus 1, Klett &Lugert, Stuttgart, 2000
  • Spannungen und Entspannungen – Matthias Kaul im Gespräch mit Bernhard Günther, in: Programmbuch zu Musikfestival „Rainy Days“, Luxemburg, 2003
  • Lesen, was für ein Vergnügen – Über das Opernprojekt Oliver Twist. In: Programmbuch der Oper Hamburg, Hamburg, 2004
  • Mozart ist eine Haltung. In: Mozart am Werk, Dokumentation über Lehrlingsprojekte der Jeunesse Österreich, 2006
  • Der Zauber des Vergänglichen. Über Low-Tech-Instrumente, Kunst als Risiko und das Scheitern in Schönheit, erfasst mit Stephan Froleyks, In: Neue Zeitschrift für Musik 01/2007, S. 20 ff
  • Fernes. In: fragmen – Beiträge, Analysen und Meinungen zur neuen Musik, Saarbrücken (Pfau), 2007, S. 11
  • Haben Sie aufgehört?. oder: Die Grenzen der Freiheit. In: Dieter A. Nanz (Hrsg.): Aspekte der Freien Improvisation in der Musik, Hofheim (Wolke) 2011, 53–59
  • Musikerfindung in Beziehung zur Welt, erfasst mit Astrid Schmeling, In: (Hrsg.)?: Komponieren mit Schülern, Regensburg (con brio), 2011

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Gordon Kampe: Some kind of way out of here – Die Musik des Hörsüchtigen Matthias Kaul. In: Seiltanz, April 2015, S. 37–41
  • Horst A. Scholz: Fremd bestimmt. In: Ingrid von Beyme, Thomas Röske (Hrsg.): ungesehen und unerhört – Künstler reagieren auf die Sammlung Prinzhorn, Band 2 mit Reaktionen aus Literatur, Theater, Performance, Musik, Heidelberg (Wunderhorn) 2014, S. 139–141
  • Ludolf Baucke Von Winsen in die Welt. Zum dreißigjährigen Bestehen des Ensembles „L’art pour l’art“, in: NZfM 174. 2013, H. 6, S. 66–67
  • Ludolf Baucke: Die Vermessung der Welt beginnt mit den Ohren. Matthias Kaul als Composer in Residence, Programmbuch Sommerliche Musiktage Hitzacker, 2010
  • Christoph Wagner: Durchsichtige Klänge. Das wiedererwachte Interesse an Glasharfe, Glasharmonika und Verrophon, in: NZfM 170.2009, H. 5, S. 42–45
  • Hanno Ehrler: Ich war so ne eigene Komponistin, irgendwie. Über die Kompositionsklasse von Schmeling / Kaul, Saarbrücken (Pfau) 2009
  • Booklet zur CD-Cover-Versions, Kleve (nurnichtnur) 2006. – Darin: Heidenreich, Achim: Die Ewigkeit des Rock – über Matthias Kauls Cover Versions
  • Schmeling / Kaul (Hrsg.): Arbeiten der Kompositionsklasse Schmeling / Kaul, Hamburg (Hildegard Junker) 2003
  • Astrid Schmeling(Hrsg.): Musik für eine Stadt. Das Ensemble „l’art pour l’art“ und die Kinderkompositionsklasse Winsen / Luhe. Eine Dokumentation, Saarbrücken (Pfau) 2003
  • Ulrike Ertle: Klänge gegen Schläge. In: Musik und Bildung 35.(94.) 2003, H. 1, 26–34
  • Astrid Schmeling, Matthias Kaul, Wolfgang Kahle (Hrsg.): Musik aus dem Mund. Arbeiten der Kompositionsklasse Schmeling / Kaul, Hamburg (Hildegard Junker) 2002
  • Stephan Froleyks: Draht, Hendrix, Fleisch, Frösche, Sauce. In: Hören machen, Köln (Thürmchen) 1996, S. 58–60

Diskographie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • John Cage – Variations II, Eight Whiskus, Music for Two Ryoanji (Matthias Kaul: Perkussion, Glasharmonika); WERGO
  • Christian Wolff – Bread and Roses (Matthias Kaul: Perkussion, Stimme, Drehleier); Wergo
  • Alvin Lucier – Nothing is Real (Matthias Kaul: Perkussion, Stimme, Piano); Wergo
  • Vinko Globokar – Toucher (Matthias Kaul: Perkussion und Stimme); Wergo
  • John Cage – Cage after Cage (Matthias Kaul: Perkussion); Wergo

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Andreas Kolb: Schlagzeuger Matthias Kaul gestorben. In: Jazzzeitung, 4. Juli 2020. Abgerufen am 4. Juli 2020.
  2. Nachruf, abgerufen am 8. Juli 2020
  3. Matthias Kaul. Ein Hang zum Abgedrehten In: Deutschlandfunk, Leonie Reineke, 8. März 2015
  4. 11 Fragen an Matthias Kaul In: nmz Neue Musik Zeitung PRINT, 65. Jahrgang, 9/2016
  5. Matthias Kaul In: Schott Music – Autoren. Aufgerufen am: 17. Februar 2018.
  6. Matthias Kaul - news. Abgerufen am 7. August 2019.
  7. klangforum-heidelberg.de, abgerufen am 8. Juli 2020
  8. Bestenliste 4/2003 der deutschen Schallplattenkritik e.V In: Musikwoche Berlin, 20. November 2003.
  9. Pressemitteilung des Preises der deutschen Schallplattenkritik e.V. 13. November 2004.
  10. Bestenliste 01/2007 In: Schallplattenkritik 15. Februar 2007.
  11. Förderpreis Musikvermittlung zum ersten Mal verliehen (Memento vom 17. Februar 2018 im Internet Archive) In: Musikland Niedersachsen 10. November 2009.
  12. Junge Ohren Preis zum 6. Mal an innovative Musikvermittlungsprojekte vergeben In: nmz Neue Musikzeitung kiz-Nachrichten 21. November 2011.
  13. Preis der deutschen Schallplattenkritik vergibt zwölf Jahrespreise 2012 In: Deutsches Musikinformationszentrum 29. November 2012.
  14. Nachwuchskünstler erhalten Echo Klassik. In: Musik Heute 10. Juli 2012.
  15. https://www.jazzzeitung.de/cms/thema/portrait/ Abgerufen am 8. Februar 2020
  16. Ludolf Baucke: Vermessung der Welt mit den Ohren – Matthias Kaul, Composer in Residence der 65. Sommerlichen Musiktage; in einer Sonderveröffentlichung der Elbe-Jeetzel-Zeitung (Juli 2010) anlässlich der Sommerlichen Musiktage Hitzacker. Abgerufen am 6. Juli 2020
  17. Leonie Reineke: Matthias Kaul – Ein Hang zum Abgedrehten; Sendung im Deutschlandfunk: https://www.deutschlandfunk.de/matthias-kaul-ein-hang-zum-abgedrehten.727.de.html?dram:article_id=313636 Abgerufen am 5. Juli 2020