Orbis sensualium pictus

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Einleitung des Orbis pictus
(Ausgabe 1658)

Der Orbis sensualium pictus (Die sichtbare Welt), oft auch als Orbis pictus bezeichnet, war ein in Europa vom 17. bis zum 19. Jahrhundert weit verbreitetes Jugend- und Schulbuch. Der aus Mähren (damals unter der Böhmischen Krone) stammende Theologe Johann Amos Comenius verfasste das Werk in seiner Zeit in Patak am Bodrog (heute Sárospatak in Ungarn), wo er als Lehrer tätig war.[1] Die erste Spur des „kleinen Büchleins“, wie er es nannte, ist ein Probeabdruck von 1653 mit lateinischen Texten unter dem Titel Lucidarium. Die erste zweisprachige Ausgabe erschien 1658 in Nürnberg.

Editions- und Rezeptionsgeschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die erste zweisprachige Ausgabe[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Anlauttabelle mit Tierlauten
(Ausgabe 1658)

Im Jahr 1658 erschien im Verlagshaus von Michael Endter[1] in Nürnberg eine zweisprachige lateinisch-deutsche Ausgabe, illustriert mit Holzschnitten.[2] Auf 309 Seiten im Format 10 × 16,5 cm zuzüglich Vortrag (Vorwort) und Titel-Register (Stichwortverzeichnis) beschreibt Comenius die Welt, – von Gott bis zu den Insekten. Die meist doppelseitigen Artikel sind links mit je einer nummerierten Abbildung und rechts mit bilingualen Erläuterungen versehen: In zwei Spalten wird der lateinische Text der Übersetzung in die Sprache des Erscheinungslandes gegenübergestellt.

Die einzelnen Artikel bewegen sich in einem Zyklus über den gesamten Kosmos, von Gott und der Welt, Himmel und Erde, über die Elemente, Pflanzen und Tiere hin zu den Menschen. Deren Handwerke und Berufe, Künste und Wissenschaften, Tugenden und Laster werden ebenso thematisiert wie Spiele, Politik, Kriege, Religionen und Strafen bis hin zum Jüngsten Gericht. Die Darstellung des Werkes endet im Beschluss mit der gleichen Illustration wie in der Einleitung.

Die deutsche Bearbeitung geht auf den Nürnberger Dichter und Schriftsteller Sigmund von Birken aus dem Umfeld des Pegnesischen Blumenordens zurück, der damit den damaligen Wortschatz maßgeblich geprägt hat. In diesem Zusammenhang werden auch Georg Philipp Harsdörffer (Begründer des Blumenordens) und Samuel Hartlib genannt (Fijałkowski, S. 21[1]).

Der Anteil von Comenius an der Illustration erscheint heute als unsicher; der Holzschneider (identifiziert als Paul Kreutzberger) soll diese angefertigt haben, während Comenius sich in Lissa (heute Leszno) bzw. Amsterdam aufgehalten haben soll (Fijałkowski, S. 18; wobei dieser von der ersten lateinisch-deutschen Ausgabe 1658 als Erstausgabe ausgeht, S. 17[1]).

Weitere Ausgaben, Verbreitung und Einsatz in Schulen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Durch die Zweisprachigkeit der Texte war es „bei etwas Aufmerksamkeit“ möglich, „auf angenehme Weise auch Latein [zu] lernen“.[3] So wurde das Bilderbuch zugleich eine Lateinfibel und ein Lehrbuch für die deutsche Sprache.[4]

Da es im 17. und 18. Jahrhundert an gleichwertigen Alternativen fehlte und wegen seiner ebenso einfachen wie „genialen Grundkonzeption“ verbreitete sich der Orbis pictus sehr rasch in ganz Europa.[4] Über einen Zeitraum von mehr als 200 Jahren wurde das Werk in beinahe 20 Sprachen übersetzt und bearbeitet. Es wurden an die 200 Auflagen herausgegeben.[1]

Es wurden nicht nur zweisprachige Ausgaben mit der Landessprache des jeweiligen Erscheinungslandes aufgelegt, es gab auch polyglotte Ausgaben, so schon 1666 (Latein – Deutsch – Italienisch – Französisch) und erstmals mit Comenius’ Muttersprache im Jahr 1685 (Latein – Deutsch – Tschechisch – Ungarisch). Spätere Ausgaben verzichteten auf Überarbeitungen, „da der Inhalt und die Aufmachung des Werkes […] zeitlos im Sinne einer von Gott gewollten Weltenordnung [erschien]“.

Der Orbis pictus wurde im 18. Jahrhundert mangels gleichwertiger Alternativen zum Inbegriff des Schulbuchs.[4] Die folgenden Zitate veranschaulichen beispielhaft die Bedeutung für den Schulunterricht im 18. Jahrhundert:

„Aber billig muss ich nicht des guten ehrlichen Orbis pictus vergessen, den die Mode (denn gewiß giebts auch im Erziehen eine) längst so gerne abgesetzt hätte, nur daß sie bis dahin kein beßres Buch an seine Stelle zu setzen gewußt hat. Auch seinen Unterricht habe ich nicht verschmäht, und ich bin sicher, daß ihre Kleinen ebenfalls Unterricht und Vergnügen darinn finden werden, vorausgesetzt, daß die punktirte Seele, und was dem ähnlich sieht, aus dem Wege geräumt wird.“

Philanthropinum Dessau (Hrsg.): Schreiben eines Frauenzimmers an ihre Freundin, den Unterricht überhaupt betreffend. (Aufsatz) In: Philanthropisches Journal für die Erzieher und das Publicum. Nebenteil von: Pädagogische Unterhandlungen. 1778, S. 805.[5]

„Des Comenius Bücher liebe ich sehr, besonders den Orbis pictus, nicht weil sie die besten sind, sondern weil wir keine bessere haben“

Johann Matthias Gesner: Primæ lineæ isagoges in eruditionem universalem. (1756) Zitiert in: Ernst Christian Trapp: Ueber den Unterricht in Sprachen. In: Allgemeine Revision des gesammten Schul- und Erziehungswesens. 11. Theil, 1788.[5]

Johann Wolfgang von Goethe bezeichnete in Dichtung und Wahrheit den Orbis pictus als das beste Kinderbuch, das bis dahin erschienen sei.[1] Das Werk wurde von Lehrern wie von Schülern gleichermaßen geschätzt[3] und fand mindestens bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Schulen Verwendung.

Moderne Betrachtung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Werk kann als eines der ersten multimedialen Unterrichtsmaterialien und als Vorläufer des modernen Bildlexikons und des Comics angesehen werden. Die Idee Comenius’ wurde 1995 in der interaktiven Installation Orbis Pictus Revised wieder aufgenommen.

Digitalisierte Faksimile-Ausgaben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Lateinisch – Deutsch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Latein – Deutsch – Tschechisch – Polnisch – Französisch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Englisch – Lateinisch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Latein – Schwedisch – Französisch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Latein – Tschechisch – Deutsch – Französisch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Latein – Ungarisch – Deutsch – Tschechisch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Die Welt in Bildern (Latein – Ungarisch – Deutsch – „Slawisch“), Ausgabe Preßburg (Pozsony) 1798

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Robert Alt: Herkunft und Bedeutung des Orbis Pictus, ein Beitrag zur Geschichte des Lehrbuchs. Akademie-Verlag, Berlin (Ost) 1970.
  • Adam Fijałkowski: Orbis Pictus. Świat malowany Jana Amosa Komeńskiego. Orbis Pictus. Die Welt in Bildern des Johann Amos Comenius. Universität Warschau, Warschau 2008, ISBN 978-83-924821-9-2 (zweisprachig: Polnisch und Deutsch).
  • Gerhard Michel: Die Bedeutung des Orbis Sensualium Pictus für Schulbücher im Kontext der Geschichte der Schule. In Paedagogica Historica 28 (1992), H. 2. S. 235–251. doi:10.1080/0030923920280205.
  • Kurt Pilz: Die Ausgaben des Orbis sensualium pictus. Johann Amos Comenius. Eine Bibliographie (Beiträge zur Geschichte und Kultur der Stadt Nürnberg, Band 14), Nürnberg 1967.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Orbis pictus – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: Orbis sensualium pictus – Quellen und Volltexte

: Als Beispiel ist hier die lateinisch/deutsche Fassung von 1658 vorgestellt.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c d e f Adam Fijałkowski: Vortrag zur Eröffnung der Ausstellung „Orbis Pictus. Die Welt in Bildern des Johann Amos Comenius“ am 6. Mai 2010 in der BBF. In: Christian Ritzi (Red.): Mitteilungsblatt des Förderkreises Bibliothek für Bildungsgeschichtliche Forschung e.V. (Hrsg.), Mai 2010, ISSN 1860-3084, S. 15–21 (PDF; 5,3 MB; S. 17–23, abgerufen am 16. Februar 2015).
  2. Johann Amos Comenius: Orbis sensualium pictus [...] Die sichtbare Welt. Das ist Aller vornemsten Welt-Dinge und Lebens-Verrichtungen Vorbildung und Benahmung. Nürnberg 1658; Neudruck Dortmund 1978 (= Die bibliophilen Taschenbücher, 30).
  3. a b Ilse Ziehensack: Kinder- und Jugendliteratur der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus historischer Sicht (mit Schwerpunkt deutschsprachige österreichisch-ungarische Monarchie). Diplomarbeit an der Universität Wien, Wien 2008, S. 25 (PDF; 13,31 MB; S. 26, abgerufen am 16. Februar 2015).
  4. a b c Stadt- und Landesbibliothek Potsdam (Hrsg.): Buchpatenschaften. XVII. Auswahlkatalog. Das 18. Jahrhundert – Aufklärung in Preußen. Potsdam 2010, S. 22 (Erläuterung zur Restaurierung eines Exemplars der Ausgabe Leutschau 1728)
  5. a b Vgl. Ludwig Keller (Hrsg.): Monatshefte der Comenius-Gesellschaft. XV. Jahrgang, Heft I., Weidmannsche Buchhandlung, Berlin 1906, S. 174 (Digitalisat im Internet Archive, Herkunft: Harvard College Library.)