Schweizer Französisch

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Verbreitung des Frankoprovenzalischen (grün), Französischen (Dialectes d’oïl) (blau) und Okzitanischen (Dialectes d’oc) (rot)

Schweizer Französisch ist ein Überbegriff für verschiedene Dialekte der französischen Sprache sowie das geschriebene und gesprochene Regionalfranzösisch in der französischsprachigen Schweiz.[1] In der Deutschschweiz wird dafür auch die Bezeichnung Welsch verwendet.[2]

Historische Formen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der französischsprachigen Schweiz war der Dialekt (Patois) früher die übliche Alltagssprache, der heute aber als nahezu ausgestorben gilt. Im grössten Teil der Romandie handelte es sich dabei um frankoprovenzalische Mundarten, im nördlichen Kanton Neuenburg, im Berner Jura und im Kanton Jura hingegen um Dialekte, welche (wie Standardfranzösisch) zur Gruppe der Langues d’oïl gehörten.

Entwicklung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Sprachwandel vollzog sich zuerst in den reformierten, im 19. und 20. Jahrhundert auch in den katholischen Gebieten.[3] 1990 sprachen und verstanden noch 2 % der frankophonen Bevölkerung der Schweiz Patois, zusätzlich zum heute vorherrschenden Standardfranzösischen. Frankoprovenzalische Dialekte haben sich am besten in einigen Walliser Gemeinden wie Evolène, Savièse oder Nendaz gehalten, während das Neuenburgerfranzösisch als ausgestorben gilt. Eine gewisse Pflege erhalten die Dialekte durch Patois-Vereine, aber auch Sprachkurse[4] sowie in Lokalzeitungen wie dem Walliser «Nouvelliste».[5]

Heutiges Schweizer Französisch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Grossen und Ganzen entspricht das schweizerische Französisch dem Standardfranzösisch, so dass sich Bürger aus dem Nachbarland Frankreich und französischsprachige Schweizer (Romands) problemlos verständigen können.

Germanismen und Archaismen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Trotz der starken Normalisierung kennt das in der Romandie gesprochene Französisch einige – auch regionale – Eigenheiten in der Aussprache und im Vokabular. Neben Archaismen sind auch viele Germanismen bekannt, die insbesondere entlang der Sprachgrenzen verstärkt eingesetzt werden (vattre et mouttre statt père et mère, poutzer statt nettoyer, speck statt lard oder witz statt blague, sind z. B. im Berner und Neuenburger Jura sowie im angrenzenden Greyerzerland oft benutzte Ausdrücke). Wenn zweisprachige Freiburger miteinander Französisch sprechen, kann man oft auch deutsche Begriffe hören. Umgekehrt benutzen Deutschfreiburger manchmal französische Begriffe.

In der Schweiz wird – wie auch in Teilen Frankreichs, in Belgien und in Québec – das «Frühstück» als déjeuner (statt petit déjeuner), das «Mittagessen» als dîner (statt déjeuner) und das «Abendessen» als souper (statt dîner) bezeichnet. Es handelt sich dabei um die älteren Bezeichnungen, die in den Randgebieten des französischen Sprachraums erhalten geblieben sind.[6]

Für das Mobiltelefon verwenden Romands oft den spezifisch schweizerischen Ausdruck Natel – ein Akronym für «Nationales Autotelefon» – statt des in Frankreich gängigen portable.

Zahlwörter[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Zahlwörter «siebzig» und «neunzig» werden – wie in Belgien und Nordostfrankreich – in den Kantonen Genf, Waadt, Freiburg, Wallis, Neuenburg und Jura sowie im Berner Jura und in der zweisprachigen Stadt Biel/Bienne als septante bzw. nonante bezeichnet statt wie in Frankreich soixante-dix und quatre-vingt-dix. Statt quatre-vingts «achtzig» wird in den Kantonen Waadt, Freiburg und Wallis huitante verwendet.

Français fédéral[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Als français fédéral («Bundesfranzösisch») wird in der Romandie abwertend ein Französisch bezeichnet, das erkennbar deutschschweizerisch geprägt ist. Die Bezeichnung stammt daher, dass dies besonders häufig auf amtliche Texte der Bundesverwaltung zutrifft, von denen die meisten auf Deutsch verfasst und dann ins Französische übersetzt wurden. Der Dictionnaire suisse romand definiert das français fédéral als «das verdeutschte (oder auch nur falsche) Französisch, das Texten eigen ist, die von der Zentralverwaltung oder von Unternehmen mit Hauptsitz in der deutschsprachigen Schweiz verfasst werden; davon abgeleitet auch das verdeutschte oder falsche Französisch der Deutschschweizer (und schlussendlich der Romands)».[7]

Das français fédéral ist ein Ausdruck sprachlicher Interferenz in der mehrsprachigen Schweiz, welche ähnlich auch im Verhältnis zwischen Schweizerdeutsch und Standarddeutsch auftritt. Es ist oft die Folge einer sehr wortgetreuen oder wenig aufmerksamen Übersetzung aus dem Deutschen ins Französische, welche zur Folge hat, dass die dem Deutschen eigene Satzstruktur, Argumentationsweise oder stehenden Wendungen ins Französische übernommen werden, was Personen französischer Muttersprache unangenehm auffällt. Auch falsche Freunde gehören zu den Übersetzungsschwierigkeiten, die sich im français fédéral niederschlagen. So wird etwa «warten auf» bisweilen falsch mit «attendre sur» (statt «attendre») übersetzt, oder «Protokoll» mit «protocole» (statt «procès-verbal»).

Die Satiriker der Romandie nutzen das français fédéralpidgin-artig und stets mit starkem schweizerdeutschem Akzent vorgetragen – gerne zur Karikierung von Politikern der deutschsprachigen Schweiz. Indirekt üben sie damit auch Kritik an der Bundesbürokratie und an der Geringschätzung des Französischen durch die deutschsprachige Mehrheit.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Albert Bachmann, Louis Gauchat, Carlo Salvioni, R. P.: Sprachen und Mundarten. In: Geographisches Lexikon der Schweiz, Band V: Schweiz – Tavetsch. Attinger, Neuenburg 1908, S. 58–94 (Online; zu Französisch: S. 76–86).
  • Glossaire des patois de la Suisse romande. Attinger, Neuchâtel 1924 ff.
  • William Pierrehumbert: Dictionnaire historique du parler Neuchâtelois et Suisse Romand. Attinger, Neuchâtel 1926.
  • Edmond Pidoux: Le Langage des Romands. Ensemble, Lausanne 1983, 2. Aufl. ebd. 1984.
  • Joachim Lengert: Regionalfranzösisch in der Literatur. Studien zu lexikalischen und grammatischen Regionalismen des Französischen der Westschweiz. Francke, Bern 1994 (Romanica Helvetica 111), ISBN 3-7720-2047-X.
  • Pierre Knecht, André Thibault: Dictionnaire Suisse Romand. Particularités lexicales du français contemporain. Editions Zoé, Carouge 2004, ISBN 2-88182-508-7 (1. Aufl. 1997).

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

(alle französisch)

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Wieso die Romands Französisch sprechen In: Neue Zürcher Zeitung vom 1. August 2023
  2. Artikel wälsch, Bed. 1aα und 2aα, in: Schweizerisches Idiotikon, Bd. XV, Sp. 1584 und 1594 (Digitalisat).
  3. Wulf Müller: Zur Sprachgeschichte der Suisse romande. In: Schweizerdeutsches Wörterbuch. Schweizerisches Idiotikon. Bericht über das Jahr 2002. [Zürich] 2003, S. 11–24.
  4. Rolf Dietrich: Boomtown Bulle. In: Schweiz aktuell. SRF, 10. Oktober 2018, abgerufen am 11. Mai 2019.
  5. Beispiel: Les patois romands reconnus officiellement. Le Nouvelliste, 7. Dezember 2018, abgerufen am 11. Mai 2019.
  6. André Thibault, Pierre Knecht: Dictionnaire suisse romand. Particularités lexicales du français contemporain. Zoé, Carouge 1977, ISBN 2-88182-316-5, S. 308–310.
  7. Marinette Matthey: Le français, langue de contact en Suisse romande (Memento vom 3. März 2012 im Internet Archive) (PDF; 62 kB). In: Glottopol. Revue de sociolinguistique en ligne, N° 2 – Juillet 2003, S. 98. Übersetzung des Zitats aus dem Französischen durch den Verfasser dieses Abschnitts.