Seidensänger

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Seidensänger

Seidensänger (Cettia cetti)

Systematik
Ordnung: Sperlingsvögel (Passeriformes)
Unterordnung: Singvögel (Passeri)
Überfamilie: Aegithaloidea
Familie: Seidensängerverwandte (Cettiidae)
Gattung: Cettia
Art: Seidensänger
Wissenschaftlicher Name
Cettia cetti
(Temminck, 1820)
Seidensänger im Naturpark Albufera auf Mallorca
Verbreitungsgebiet des Seidensängers.
  • Brutgebiete
  • Ganzjähriges Vorkommen
  • Überwinterungsgebiete
  • Der Seidensänger (Cettia cetti) ist ein kleiner insektenfressender Singvogel aus der Überfamilie der Grasmückenverwandten (Sylvioidea). Nach neueren Vergleichen der DNA ist die Art über die Gattung und deren Namen Typus der Familie Cettiidae mit gegenwärtig 32 Arten.[1][2][3][4]

    Beschreibung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    Seidensänger sind 13–14 cm lange unscheinbare Singvögel. Nach äußeren Merkmalen können sie mit dem Schilfrohrsänger oder dem Rohrschwirl verwechselt werden, wirken aber durch den kurzen Hals kompakter als diese. Der Schnabel ist spitz, der Schwanz ist breit, die Flügel sind stark gerundet. Die Oberseite ist rotbraun bis bräunlich, die Unterseite schmutzig grauweiß mit bräunlichen Tönen im Bereich von Flanken und Bauch, der Augenstreif ist schmal und wirkt verwaschen, ist aber länger als bei Schilfrohrsänger und Rohrschwirl.[5] Beide Geschlechter sind äußerlich gleich.

    Stimme[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    Deutlichstes Kennzeichen sind die unverwechselbaren Gesänge, die in Serien von plötzlichen metallisch lauten Ausbrüchen vorgetragen werden, die ebenso abrupt enden. Obwohl der Name Cettia cetti auf den italienischen Zoologen Francesco Cetti hinweist, ist er durchaus auch lautmalerisch zu verstehen, da die Vögel gewissermaßen rhythmisch ihr Artepitheton Cetti singen, das ‚chetty‘ gesprochen wird: „Der Hit? Wie heißt der? …Cetti, Cetti-Cetti… der ist’s.“[6] Wo sie Jahresvogel sind, singen die Männchen das ganze Jahr hindurch, wenngleich im Juli und August weniger.

    Der Komponist Olivier Messiaen, der für die Einbeziehung von Vogelstimmen in seine Werke bekannt ist, hat dem Seidensänger einen Satz (La Bouscarle) in seinem Klavierzyklus Catalogue d’oiseaux gewidmet.

    Lebensraum und Ernährung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    Seidensänger bewohnen dichtes Gebüsch in Gewässernähe mit Deckungspflanzen wie Schilf, Weiden, Bambus, Papyrus, Weißdorn, Brombeeren und Brennnessel. Sie ernähren sich vorwiegend von Insekten und deren Larven, Spinnen, kleinen Schnecken und anderen kleineren Weichtieren, fressen aber auch gelegentlich Pflanzensamen. Obwohl sie nur selten das dichte feuchte Pflanzengewirr an Wasserläufen, Kanälen oder Gräben verlassen, klettern sie doch zur Ernährung niedrig in Büschen und rennen am Boden.[6]

    Brutbiologie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    Eier des Seidensängers

    Im Sommer bringt das Männchen die überwiegende Zeit damit zu, sein Revier aus der Deckung heraus gegenüber Rivalen akustisch zu markieren und dabei bis zu drei Weibchen herbeizulocken. Dabei bewegt er sich im Gebüsch sehr lebhaft, zuckt oft mit Flügeln und Schwanz und stelzt den Schwanz ähnlich wie ein Zaunkönig es tut. Das Männchen geht gleichzeitig bis zu drei Brutehen in seinem Revier ein. Am Nestbau und Brutgeschäft beteiligt er sich nicht. In Europa gibt es zumeist eine Brut Mitte April und eine zweite im Juni. Dazu baut das Weibchen aus Halmen ein napfförmiges Nest von etwa 9 cm Außendurchmesser und 7–13 cm Höhe in weniger als einem halben Meter Höhe in das Pflanzengestrüpp. Darin brütet das Weibchen alleine drei bis fünf breitovale, dunkelorange bis braunrötliche Eier 13–17 Tage lang aus. Das Männchen beteiligt sich gelegentlich an der Aufzucht der Jungvögel, die nach 14–16 Tagen flügge werden.[7][5]

    Verbreitungsgebiete[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    Seidensänger sind Jahresvögel im Mittelmeerraum. Sie kommen in Marokko, Spanien, von Südfrankreich über Italien, Griechenland und Vorderasien bis nach Nord-Iran und Nord-Afghanistan vor und erreichen im Osten Kasachstan und Zentralasien. Im Kaukasus sind sie Brutvögel und ziehen im Winter westwärts.

    Brutvorstöße[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    Obwohl sie in Europa Standvögel sind, kommt es doch regelmäßig zu Ausweitungen der Verbreitungsgebiete nach Mitteleuropa. Ausgehend von Südfrankreich vergrößerte der Seidensänger regelmäßig sein Verbreitungsgebiet nach Norden. 1973 wurden die ersten Bruten in Großbritannien bemerkt, 1975 das erste Brutvorkommen in Deutschland und in der Schweiz. 1977 wurden in den Niederlanden 60 Brutpaare festgestellt, dann bis 1983 jährlich 10–20 Brutpaare. In all diesen Fällen erloschen die Populationen jedoch wieder. Aus Beringungsprojekten weiß man, dass diese Brutvorstöße von Jungtieren ausgehen und den Brutversuchen jeweils milde Winter vorausgehen. Insofern können diese Brutvorstöße der Seidensänger als Bioindikatoren für die klimatischen Verhältnisse in Mitteleuropa genommen werden bzw. Hinweise auf klimatische Änderungen liefern.[8]

    Seit 2003 gibt es in den Niederlanden wieder eine stark anwachsende Population mit über 2000 Revieren im Jahr 2020. In Deutschland gab es neben der ersten Brut bei Hildesheim (1975) weitere Bruten im Schwalm-Eder-Kreis (2015) sowie bei Ingelheim am Rhein (2022).[9] Seit 2018 werden Reviere in der Ruraue und am Niederrhein nachgewiesen.[10]

    Verwandtschaft / Systematik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    Die neueren Untersuchungen zur Abstammung und Klassifikation der Sperlingsvögel (Passeriformes) basieren auf dem Vergleich von DNA-Sequenzen der Gene des Myoglobin Intron II, des Zellkerns und des Cytochrom b der Mitochondrien. Für die Gattung Cettia haben diese Untersuchungen erwartungsgemäß die Zugehörigkeit zur Überfamilie Sylvioidea bestätigt, nicht dagegen die besondere Nähe zu den äußerlich so ähnlichen Rohrsängern (Acrocephalus) und den Schwirlen (Locustella). Desgleichen konnte kein unmittelbarer gemeinsamer Vorfahre mit der Gattung Bradypterus bestätigt werden, mit denen die Seidensänger bisher zu den Buschsängern zusammengefasst wurden. Vielmehr ist die Gattung Cettia nun Typus-Gattung der Familie Cettiidae mit gegenwärtig 32 Arten.[1][4]

    Unterarten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    Es werden augenblicklich drei Unterarten anerkannt:[11]

    Sylvia sericea (Temminck, 1820)[15] wird heute als Synonym zur Nominatform betrachtet.

    Etymologie und Forschungsgeschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    Die Erstbeschreibung des Seidensängers erfolgte 1820 durch Coenraad Jacob Temminck unter dem wissenschaftlichen Namen Sylvia cetti. Als Lebensraum gab er Sardinien an. Bei seiner Beschreibung bezog er sich auf die Tafel 655 La Bouscarle de Provence von Georges-Louis Leclerc, Comte de Buffon[16] und die Beschreibung von Usignuolo di Fiume[17] von Francesco Cetti hin.[12] Im Jahr 1834 führte Charles Lucien Jules Laurent Bonaparte die Gattung Cettia für den Seidensänger ein.[18] Wie der Artname bezieht sich der Gattungsname auf Francesco Cetti, der die Art zuerst ohne wissenschaftlichen Namen beschrieben hatte.[12] Orientalis ist das lateinische Wort für östlich, orientalisch von oriens, orientis für Osten, Ost.[19] Albiventris ist ein lateinisches Wortgebilde aus albus für weiß und venter, ventris für Buach.[20] Sericea bedeutet seiden von σηρικος, σηρικον, σηρες sērikos, sērikon, Sēres für seiden, Seide, die Leute von denen man Seide erhält (Chinesen).[21]

    Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    • Charles Lucien Jules Laurent Bonaparte: Iconografia della Fauna Italica per le quattro Classi degli Animali Vertebrati. 1 Mammiferi e Uccelli, Nr. 9. Dalla Tipografia Salviucci, Rom 1834 (biodiversitylibrary.org – 1832-1841).
    • Hans Bub, Harald Dorsch: Cistensänger, Seidensänger, Schwirle und Rohrsänger. A. Ziemsen Verlag, Lutherstadt Wittenberg 1988, ISBN 978-3-7403-0020-3.
    • Georges-Louis Leclerc, Comte de Buffon, Louis Jean-Marie Daubenton, Edme-Louis Daubenton, François-Nicolas Martinet: Planches enluminées d'histoire naturelle. Band 7. ??, Paris (biodiversitylibrary.org – 1765-1783).
    • Francesco Cetti: Storia naturale della Sardegna: Gli Uccelli di Sardegna. Presso Giuseppe Piattoli, Sassari 1774 (google.de).
    • Anne Puchta, Klaus Richarz: Steinbachs Großer Vogelführer. Eugen Ulmer Verlag, Stuttgart 2006, ISBN 978-3-8001-4490-7.
    • Nikolai Alekseevich Severtsov: птицы Aves. In: Izvestiya Imperatorskago Obshchestva Lyubitelei Estestvoznaniya, Antropologii i Etnografii. Band 8, Nr. 2, 1873, S. 111–157 (e-heritage.ru).
    • Lars Svensson, Peter J. Grant, Killian Mullarney, Dan Zetterström: Der neue Kosmos Vogelführer Alle Arten Europas, Nordafrikas und Vorderasiens. Franckh-Kosmos Verlag, Stuttgart 1999, ISBN 978-3-440-07720-7.
    • Coenraad Jacob Temminck: Manuel d'ornithologie, ou Tableau systematique des oiseaux qui se trouvent en Europe. 2. Auflage. H. Cousin, Paris 1820 (biodiversitylibrary.org – 1820-1840).
    • Henry Baker Tristram: On the Ornithology of Palestine Part V. In: The Ibis (= 2. Band 3). Nr. 19, 1867, S. 73–97 (biodiversitylibrary.org).

    Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    Commons: SeidensängerCettia cetti – Sammlung von Bildern und Audiodateien

    Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

    1. a b P. Alström, P.G.P. Ericson, U. Olsson, P.Sundberg: Phylogeny and classification of the avian superfamily Sylvioidea. Mol. Phylogenet. Evol. 38(2), 2006, S. 381–397. doi:10.1016/j.ympev.2005.05.015
    2. Josep del Hoyo, Andrew Elliott, Jordi Sargatal (eds.): Handbook of Birds of the World (Volume 11: Old World Flycatchers to Old World Warblers). Lynx Edicions, Barcelona 2006, ISBN 84-96553-06-X
    3. J. Fuchs, J. Fjeldså, R.C.K. Bowie, G. Voelker, E. Pasquet: The African warbler genus Hyliota as a lost lineage in the Oscine songbird tree: Molecular support for an African origin of the Passerida. Mol. Phylogenet. Evol. 39(1), 2006, S. 186–197. doi:10.1016/j.ympev.2005.07.020
    4. a b [1] bei IOC World Bird List
    5. a b birds-online.ch
    6. a b Svensson, Grant, Mullarney, Zetterström: Der neue Kosmos-Vogelführer. Franckh-Kosmos, Stuttgart 1999
    7. Hans Bub, Harald Dorsch: Cistensänger, Seidensänger, Schwirle und Rohrsänger. 1. Auflage. Neue Brehm-Bücherei Nr. 580, A. Ziemsen Verlag, Lutherstadt Wittenberg 1988.
    8. Robert A. Robinson, Stephen N. Freeman, Mark J. Grantham, Dawn E. Balmer: Cetti’s Warbler Cettia cetti: analysis of an expanding population: Capsule Productivity in the UK Cetti’s Warbler population is constant, but overwinter survival has become increasingly dependent on winter temperatures. In: Bird Study, Volume 54, Issue 2 July 2007, pages 230–235
    9. Wolfgang Henkes und Andreas Kohler: Erster Brutnachweis des Seidensängers Cettia cetti in Rheinland-Pfalz bei Ingelheim am Rhein. Flora und Fauna in Rheinland-Pfalz 14 (4), 2022: 1359-1382.
    10. Volkhard Wille, Tobias Krause, Oliver Krüger: Der Seidensänger Cettia cetti: eine neue Brutvogelart etabliert sich in Nordrhein-Westfalen und Deutschland. Charadrius 56, H. 4-4, 2020: 68–81.
    11. IOC World Bird List Cupwings, crombecs, cettiid bush warblers, Streaked Scrub Warbler, yellow flycatchers, hylias
    12. a b c Coenraad Jacob Temminck (1820), S. 194.
    13. Henry Baker Tristram (1867), S. 79.
    14. Nikolai Alekseevich Severtsov (1873), S. 131.
    15. Coenraad Jacob Temminck (1820), S. 197.
    16. Georges-Louis Leclerc, Comte de Buffon (1765-1783), Tafel 655 Abbildung 2.
    17. Francesco Cetti (1774), S. 216.
    18. Charles Lucien Jules Laurent Bonaparte, Text zu Tafel 29 Abbildung 3.
    19. orientalis The Key to Scientific Names Edited by James A. Jobling
    20. albiventris The Key to Scientific Names Edited by James A. Jobling
    21. sericea The Key to Scientific Names Edited by James A. Jobling