Tiefenökologie

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Tiefenökologie (englisch deep ecology) ist eine spirituelle, „ganzheitliche” Umwelt- und Naturphilosophie, die ein Leben im Einklang mit der Natur anstrebt. Leitgedanke ist die Vereinigung von Denken, Gefühl, Spiritualität und Handlung. Der Mensch soll sich insbesondere seiner Rolle als „Bewahrer“ oder „Zerstörer“ seiner eigenen Welt bzw. Lebensgrundlage bewusst werden. Der eher spirituell geprägte Zugang zu einer universellen Weltsicht hat mit Ökologie als wissenschaftlicher Disziplin nichts zu tun, entleiht sich aber deren Begrifflichkeit.

Über die rein wissenschaftlichen und damit als oberflächlich kritisierten Antworten (bezüglich ökologischer und sozialer Probleme) hinaus sollen in der Tiefenökologie Fragen nach möglichen und notwendigen Veränderungen menschlicher Lebensart gestellt werden. Aus dem wissenschaftlichen Raum zeigt sich die Tiefenökologie inspiriert von Systemtheorie und Gaia-Hypothese.

Ursprung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der norwegische Philosoph Arne Næss (1912–2009) führte 1972 den Ausdruck deep ecology in dem Essay „Shallow and the Deep“ im Journal Inquiry in die philosophische Literatur ein.[1] Diese Unterscheidung von „deep“ und „shallow ecology movement“ gilt als Beginn der tiefenökologischen Bewegung. Naess wollte mit dieser Unterscheidung auf die Verschiedenartigkeit der Motive und Ziele hinweisen. Ein ‚shallow ecology movement’ (seichte/oberflächliche Ökologie bzw. ökologische Reformbewegung) richtet sich vor allem auf den Erhalt der Gesundheit des Menschen (insbesondere in den entwickelten Ländern) sowie auf den Kampf gegen die Verschmutzung und Zerstörung der Biosphäre sowie gegen den Raubbau der Ressourcen. Im Vordergrund stehen effiziente Rohstoffnutzung und die Reduktion von Schadstoffen mit technologischen Lösungen. Das ‚deep ecology movement’, die tiefenökologische Bewegung ist kein Gegensatz zur ökologischen Reformbewegung, sondern unterstützt diese. In ihrer Suche nach einer neuen Umweltethik, Erkenntnistheorie und Metaphysik reicht sie über das bisherige ökologische Denken hinaus. Sie strebt gleichermaßen einen Wertewandel wie auch einen Wandel der sozialen Organisation/Strukturen an.[2] Die Idee hatte er bereits kurz zuvor auf dem „Third World Future Research Conference“ in Bukarest vorgestellt. Die Tiefenökologie-Bewegung orientiert sich nach Næss an einer besonderen Art der ökologischen Philosophie (der Ökosophie), die auf ökologische Harmonie und ökologisches Gleichgewicht ausgerichtet sei. Philosophie ist nach dieser Konzeption eine normative Weisheit.[3] Die Tiefenökologie vertritt eine holistische Position, da sie die Natur als Lebensnetz in ihrer Gesamtheit betrachtet und ihr einen moralischen Eigenwert beimisst. Aus letzterem folgt, dass die Selbstverwirklichung des Menschen in Einklang mit der Selbstverwirklichung des Ganzen steht. Aus dem naturwissenschaftlichen Raum zeigt sich die Tiefenökologie inspiriert von der Allgemeinen Systemtheorie und Gaia-Hypothese, wonach die Erde ein lebendiger, sich selbst regulierender Organismus ist. Neuere naturwissenschaftliche biologische und kognitionswissenschaftliche Ansätze mit Bezug zur Tiefenökologie finden sich im 20. Jahrhundert bei Wissenschaftlern wie Gregory Bateson und Ervin Laszlo. Kulturhistorisch hat die Tiefenökologie starke Bezüge zu indigenen Weltanschauungen, griechischen Philosophen wie Heraklit, der christlichen Mystik wie z. B. Hildegard von Bingen, Meister Eckart, Franz von Assisi und der deutschen Romantik. Weitere namhafte Vertreter der Tiefenökologie sind u. a. Joanna R. Macy, Dolores LaChapelle, John Seed, Bill Plotkin, Jochen Kirchhoff, Geseko von Lüpke[2]

Ökopsychologie Ansätze[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Eine psychologische Variante der Tiefenökologie hat Theodore Roszak in seinem Buch Ökopsychologie – Der entwurzelte Mensch und der Ruf der Erde (1994) entwickelt. Mit der Forderung nach „biosphärischer Gleichheit“ ist der Gedanke einer Empathie für alles Lebendige verbunden. Die Vorstellung, der Mensch befinde sich lediglich in einer Umwelt, wird zurückgewiesen. Die Tiefenökologie sieht nach Roszak „die Wurzel des ökologischen Übels in unserer unausrottbaren Überzeugung, dass Menschen jenseits der Natur und über der Natur stehen, sei es als Herr oder als Wächter“. Als Teildisziplin der Psychologie und Ökologie, verbunden mit interdisziplinärem Bezug, will die tiefenökologische Psychologie die historisch entstandene Kluft zwischen psychologischer und ökologischer Betrachtungsweise schließen und einen neuen Vernunftbegriff begründen, der im Zusammenhang mit der Gaia-Hypothese den Standpunkt der nichtmenschlichen Natur einnimmt und den Anthropozentrismus überwindet.

Kritik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Ökokommunalist Murray Bookchin kritisiert am Konzept der Tiefenökologie deren tief innewohnenden Selbstwiderspruch. Sie geht davon aus, dass der Mensch unter allen Lebewesen eine Sonderstellung einnimmt, eben nicht wie andere Tiere lebt und in Zeiträumen denkt. Für die Tiefenökologie das wichtigste Unterscheidungsmerkmal ist jedoch, dass der Mensch bewusste Entscheidungen trifft. Obwohl er Entscheidungen trifft und aktiv ein höheres Ziel verfolgen soll, darf er nach Auffassung der Tiefenökologie seine Besonderheit nicht berücksichtigen und muss sich auf einer Stufe mit allem Belebtem sehen. Sein Dasein als soziales Wesen solle keine Rolle spielen. Die Fragen der sozialen Verhältnisse im Zusammenleben könnten so nicht gestellt werden und kämen deshalb in der Tiefenökologie nicht vor, kritisiert Bookchin. „Bei all ihrem Interesse an der Manipulation der Natur“ habe die Tiefenökologie „sehr wenig Interesse an der Frage, wie menschliche Wesen einander manipulieren, außer vielleicht, wenn es um die drastischen Maßnahmen geht, die angeblich ‹nötig› sind für die ‚Bevölkerungskontrolle‘.“[4]

Næss’ Betonung der Bevölkerungspolitik ist einer der Hauptkritikpunkte an seinem Konzept. Die Ideen zur Bevölkerungskontrolle legte er u. a. in seinem Acht-Punkte-Konzept der Tiefenökologie. Er spricht sich darin für einen „Rückgang“ und eine Reduzierung der Menschheit auf ein „vertretbares Mindestmaß“ aus. An der Einwanderungspolitik kritisierte er, dass „jeder Einwanderer von einem armen in ein reiches Land ökologischen Streß“ schaffe. Der Tiefenökologe Ralph Metzner vertrat die Ansicht, die im Einklang mit der Natur lebenden europäischen „Urkulturen“ seien von Nomaden aus Zentralasien und deren monotheistischen Religionen ausgelöscht worden. Diese Naturzerstörung habe „in den faschistischen, völkermörderischen, totalitären Holocausts, die die europäische Zivilisation der Welt des 20. Jahrhunderts auferlegte“, ihren Höhepunkt gefunden. Der linke Journalist Peter Bierl betrachtet solche Aussagen als Relativierung des nationalsozialistischen Holocaust.[5] Der französische Wissenschaftssoziologe Bruno Latour sieht die Tiefenökologie als „fundamentalistische Ökologie“. Sie sei einer politischen Ökologie, wie sie angesichts der Umweltbedrohungen nötig sei, genau entgegengesetzt, da sie die Möglichkeiten politischen Gestaltens letztlich leugne.[6]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Arne Næss: Shallow and the Deep. Oslo: Inquiry 1972
  2. a b Bill Devall: Die tiefenökologische Bewegung, in: Dieter Birnbacher (Hrsg.): Ökophilosophie, Stuttgart 1997, S. 17–59 (enthält 15 Grundprinzipien der Tiefenökologie)
  3. A. Drengson/Y. Inoue (Hrsg.): The Deep Ecology Movement: An Introductory Anthology. Berkeley: North Atlantic Publishers. A. Drengson/Y. Inoue, 1995, S. 8
  4. Die Ideologien der Ecopopperinnen: Wie die «unheimlichen Ökologen» denken. 11. Juni 2014 (woz.ch [abgerufen am 13. Juli 2018]).
  5. Peter Bierl: Grüne Braune. Umwelt-, Tier- und Heimatschutz von rechts. unrast transparent - rechter rand Bd. 5, Unrast Verlag, Münster 2014, S. 27
  6. Bruno Latour: Das Parlament der Dinge. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2010, S. 41f

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]