Udo Steinbach

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Udo Steinbach

Udo Steinbach (* 30. Mai 1943 in Pethau, Landkreis Zittau) ist ein deutscher Islamwissenschaftler. Er leitete von 1976 bis 2007 das Deutsche Orient-Institut.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Steinbach ist 1949 in Cunewalde bei Bautzen eingeschult worden und übersiedelte 1954 mit seiner Familie nach Westdeutschland. Dort machte er am humanistischen Görres-Gymnasium in Düsseldorf sein Abitur. Von 1963 bis 1965 absolvierte er eine Ausbildung zum Reserveoffizier und war in der Attaché-Reserve zuletzt als Oberst d. R. an der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Almaty (Kasachstan) eingesetzt. Von 1965 bis 1970 absolvierte er ein Studium der Orientalistik (d. h. Sprachen, Geschichte, Religion sowie Kultur- und Literaturgeschichte des arabisch-, persisch- und türkischsprachigen Raumes) sowie der Klassischen Philologie an den Universitäten Freiburg im Breisgau und Basel. Mit einer Arbeit über den arabischen Volksroman Dhat al-Himma promovierte er 1970 bei Hans Robert Roemer in Freiburg zum Dr. phil.

Von 1971 bis 1975 war er Leiter des Nahostreferats bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Schäftlarn-Ebenhausen bei München, einem der Bundesregierung nahestehenden Forschungsinstitut. 1975 leitete Steinbach die türkische Redaktion der Deutschen Welle. Von 1976 bis Februar 2007 war er Direktor des Deutschen Orient-Instituts (DOI). Seit 1991 war er außerdem Honorarprofessor an der Universität Hamburg. Er war 1993 Mitbegründer der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Vorderer Orient für gegenwartsbezogene Forschung und Dokumentation (DAVO) und war viele Jahre ihr Vorsitzender.

Die Leibniz-Gemeinschaft empfahl 2004, die vier Übersee-Institute in Hamburg, einschließlich des DOI, zum German Institute of Global and Area Studies (GIGA) zu fusionieren. Der Trägerverein des DOI (Nah- und Mittelost-Verein, NUMOV) stimmte dem jedoch nicht zu. Steinbach schied daraufhin beim DOI aus und wurde im Februar 2007 Gründungsdirektor des GIGA-Instituts für Nahoststudien. Auf Betreiben der Deutschen Orient-Stiftung als Eigentümerin wurden das Orient-Institut und die zugehörige Forschungsbibliothek anschließend von Hamburg nach Berlin verlegt, während die Mitarbeiter des Instituts vom GIGA übernommen wurden.[1][2] Zum Jahresende 2007 wurde Steinbach auf eigenen Wunsch fünf Monate vor Erreichen der Altersgrenze pensioniert.

Von 2008 bis 2010 lehrte Steinbach am Zentrum für Nah- und Mitteloststudien der Philipps-Universität Marburg. Im Jahr 2009 wurde das Governance Center Middle East/North Africa an der Humboldt-Viadrina School of Governance in Berlin unter Leitung von Steinbach gegründet.[3] Nach der Insolvenz der Humboldt-Viadrina School of Governance 2014 wurde Udo Steinbach Mitgründer und Gesellschafter[4] des Nachfolgeprojekts Humboldt-Viadrina Governance Platform gGmbH.[5][6][7] Seit 2019 ist er der Leiter des von der Maecenata Stiftung verantworteten MENA Study Centre.[8]

Des Weiteren wirkt er als Berater und Gutachter für zahlreiche öffentliche und private Einrichtungen.[9] Er ist Vorstandsmitglied des Deutsch-Aserbaidschanischen Forums, Mitglied des Stiftungskuratoriums der Fridtjof-Nansen-Akademie für politische Bildung im Weiterbildungszentrum Ingelheim und Mitglied des Beirats der Deutsch-Palästinensischen Gesellschaft.

Der Rechtswissenschaftler Armin Steinbach ist sein Sohn.

Positionen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Neben seiner Tätigkeit als Wissenschaftler widmet er sich vor allem dem „Dialog der Kulturen“ und Konfessionen. Steinbach bezeichnet sich als nicht konfessionell gebunden, sieht aber „in der Begegnung mit Frommen – Muslimen, Christen und anderen – eine Bereicherung und eine Chance, aus der Sackgasse des Völlig-ohne-Gott-Lebens herauszukommen“.[10]

Die Wahrnehmung des Islam in der westlichen Welt wird laut Steinbach durch eine unausgewogene Darstellung verzerrt:

„Die Bilder, die kämpfende und aufgewiegelte Muslime zeigen, sind insbesondere für das Fernsehen besonders ergiebig. Sie schaffen auf unserer Seite das Gefühl der Bedrohung durch den Islam und der Abwehr der Muslime. Demgegenüber sind friedliche Muslime kein Thema der Medien. Gleichwohl sind diese in der Welt zwischen Nordafrika und Indonesien weitaus in der Mehrheit.“[11]

Die dänischen Mohammed-Karikaturen bezeichnete er als „primitiv“ und als „eine gezielte Provokation“.[12]

Im April 2012 stellte er sich hinter das umstrittene israelkritische Gedicht Was gesagt werden muss von Günter Grass:

„Günter Grass’ Gedicht ist ein großartiger Beitrag dazu, um einen Krieg herumzukommen, der schon programmiert erscheint. […] Diese Argumente wurden von vielen Seiten vorgetragen, aber bisher hatte niemand von uns den Einfluss, um die zwingend notwendige Diskussion auszulösen. Günter Grass ist mit seiner Autorität besser dazu geeignet.“[13]

Kritik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Simon-Wiesenthal-Center forderte nach der Veröffentlichung eines Artikels auf Juedische.at, in dem Steinbach vorgeworfen wurde, Selbstmordattentäter mit Kämpfern im Warschauer Ghetto gleichgesetzt zu haben, 2004 Steinbachs Rücktritt als Institutsleiter.[14] Er selbst äußerte sich in der Stellungnahme zum offenen Brief, hagalil.com vom 14. Mai 2004 an das Kuratorium des Deutschen Orient-Instituts mit der Aufforderung zum Rücktritt wie folgt dazu:

„Ich verwahre mich ausdrücklich gegen die in der obigen Erklärung wie in anderen früheren Pressemitteilungen geäußerten Unterstellungen, ich hätte bei einem Vortrag in Salzgitter im Januar 2003 ‚palästinensische Selbstmordattentäter mit Kämpfern im Warschauer Ghetto‘ gleichgesetzt. Sätze wie ‚Wenn die einen Terroristen sind, dann müssen auch die anderen Terroristen gewesen sein‘ u.a. sind von mir weder gesagt noch in der Intention ähnlich geäußert worden.
Die in der obigen Erklärung zitierten Sätze sind aus dem Zusammenhang gerissen und geben nicht die Logik und den Duktus meines Vortrages wieder. Die Intention meines Vortrages wird damit grob verfälscht.“[15]

Zum Ende von Steinbachs Amtszeit beim Deutschen Orient-Institut kam es zu einer Kontroverse um mehr als 3000 Gerichtsgutachten, die ein von Steinbach beauftragter Rechtsanwalt seit 1994 für Asylverfahren erstellt hatte. Zum einen wurde die Qualifikation des auf Medizinrecht spezialisierten Juristen anhand mehrerer nachgewiesener sachlicher Fehler zum Beispiel vom Verein „Pro Asyl“ in Frage gestellt. Außerdem bemängelte die Leiterin des Trägervereins des Orient-Instituts (Nah- und Mittelost-Verein), dass Steinbach sie pflichtwidrig nicht über die Gutachter-Tätigkeit im Auftrag des Instituts informiert hatte.[16]

Veröffentlichungen (Auszug)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Die arabische Welt im 20. Aufbruch – Umbruch – Perspektiven. Kohlhammer, Stuttgart 2016, ISBN 978-3-17-032541-8.
  • Die Türkei im 20. Jahrhundert. Schwieriger Partner Europas. Bergisch Gladbach 1996, ISBN 3-7857-0828-9.
  • Zusammen mit Nils Feindt-Riggers: Islamische Organisationen in Deutschland. Eine aktuelle Bestandsaufnahme und Analyse. Deutsches Orient-Institut, Hamburg 1997.
  • Zusammen mit Rémy Leveau und Franck Mermier: Le Yémen contemporain. Paris 1999.
  • Die Türkei. – Informationen zur Politischen Bildung (Bonn) Nr. 277 (2002) 4, S. 3–53.
  • German Foreign Policy and the Middle East: In Quest of a Concept. In: Goren, Haim (Hrsg.): Germany and the Middle East. Past, Present and Future, Jerusalem 2003, S. 85–113.
  • Eine neue Ordnung im Nahen Osten – Chance oder Chimäre? In: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 24-25/2003, S. 3–7.
  • Die islamische Welt und der internationale Terrorismus. In: Vorländer, Hans (Hrsg.): Gewalt und die Suche nach weltpolitischer Ordnung, Baden-Baden 2004, S. 42–59.
  • Amerikas Scheitern im Irak. Demokratisierung als historischer Prozess. In: Internationale Politik 59 (Mai 2004) 5, S. 113–118.
  • Die Türkei und die EU – Die Geschichte richtig lesen. In: Aus Politik und Zeitgeschichte B 33-34/2004, S. 3–5.
  • mit Werner Ende (Hrsg.): Der Islam in der Gegenwart. Fünfte Auflage. München 2005.
  • Zusammen mit Marie-Carin v. Gumppenberg (Hrsg.): Zentralasien – Geschichte, Politik, Wirtschaft. Ein Lexikon. München 2005.
  • Autochthone Christen. Zwischen Verfolgungsdruck und Auswanderung. Deutsches Orient-Institut Hamburg, Mitteilungen, Band 75/2006.
  • Geschichte der Türkei C.H. Beck, München 2007, 4. durchgesehene und aktualisierte Auflage, ISBN 3-406-44743-0
  • Länderbericht Türkei, BpB, Bonn 2012, ISBN 978-3-8389-0282-1
  • Tradition und Erneuerung im Ringen um die Zukunft – Der Nahe Osten seit 1906. Kohlhammer, Stuttgart 2021, ISBN 978-3-17-031338-5.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Daniel Gerlach: Hamburger Orient-Institut – Hofintrigen mit Krummdolchen. In: Spiegel Online, 28. August 2007
  2. Daniel Gerlach: Deutsches Orient-Institut – Hanseatische Scharaden. In: Zeit Online, 35/2007.
  3. Governance Center an der HUMBOLDT-VIADRINA (Memento vom 31. März 2014 im Internet Archive)
  4. http://www.governance-platform.org/ueberuns/gesellschafter/
  5. http://www.governance-platform.org/
  6. http://www.humboldt-viadrina.org/
  7. http://www.maecenata.eu/allekategorien-stiftung/item/1395-humboldt-viadrina-governance-platform-ggmbh
  8. MENA Study Centre – Maecenata Stiftung. Abgerufen am 4. April 2021 (deutsch).
  9. https://web.archive.org/web/20091226080834/http://www.udosteinbach.eu:80/cms/content/view/12/26/lang,
  10. Christ in der Gegenwart Aktion "Was sagt mir 'Gott'?" – In sha'a Allah (Memento vom 10. Mai 2006 im Internet Archive) Abgerufen: 3. Januar 2009
  11. politik-digital.de „Der islamische Fundamentalismus hat mit dem Islam wenig zu tun“ vom 19. September 2001 (Memento vom 29. November 2010 im Internet Archive) Steinbach im Chat, abgerufen: 3. Januar 2009
  12. Deutsche Welle „Udo Steinbach: Mohammed-Karikaturen sind "eine gezielte Provokation"“ vom 2. Februar 2006 Interview, abgerufen: 3. Januar 2009
  13. Nahost-Experte stellt sich auf Grass’ Seite. Archiviert vom Original am 19. April 2012; abgerufen am 16. April 2012.
  14. Ralf Balke: „Blauäugig oder Einäugig?“, Die Jüdische, 14. Mai 2004
  15. Aus: „Stellungnahme zum offenen Brief, hagalil.com vom 14. Mai 2004 an das Kuratorium des Deutschen Orient-Instituts mit der Aufforderung zum Rücktritt“, Hamburg 24. Mai 2004, Prof. Dr. Udo Steinbach (online)
  16. Angela Grosse: Islamwissenschaft: Ex-Chef des deutschen Orient-Instituts in der Kritik – Geschichten wie aus „1001 Nacht“, in: Hamburger Abendblatt vom 2. Oktober 2007, abgerufen am 27. November 2012