Levalloistechnik

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Kernstein und Abschlag aus Silex, Haute-Saone
Levalloistechnik aus der Tabun Cave

Die Levalloistechnik (Levallois-Technik oder Schildkern-Technik) war in Europa die typische Abschlagtechnik des Neandertalers bei der Bearbeitung von Feuerstein (Silex). Im nördlichen Mitteleuropa ist die Levalloistechnik erstmals während des Acheuléen im Vorfeld der Saaleeiszeit vor etwa 200.000 Jahren belegt, wo sie innerhalb von Acheuléen-Fundinventaren meist als Teilmenge vorkommt. Seit Mitte der 1960er Jahre wird von Prähistorikern der Beginn des Mittelpaläolithikums (= Mittlere Altsteinzeit) mit dem ersten Auftreten von Levallois-Grundformen definiert,[1][2][3] da diese in einem fünfstufigen Entwicklungsmodell der Steinbearbeitungstechniken als „Mode-III-Technik“ gilt, das Acheuléen als „Mode-II-Technik“.[4]

Die Bearbeitungstechnik beschrieb erstmals Victor Commont im Jahre 1909.[5] Henri Breuil bezeichnete das Levalloisien 1931 als eigenständige Kulturstufe.[6] Als Typuslokalität dienten Funde aus Levallois-Perret, einer Stadt nordwestlich von Paris. Heute wird das Levalloisien als Chronostufe nicht mehr verwendet. Stattdessen wird die Levalloistechnik als Bearbeitungstechnik im europäischen Acheuléen, Moustérien und Châtelperronien angesehen. Ähnliche oder identische Techniken sind seit mindestens 300.000 Jahren in Afrika[7] und Asien belegt.[8]

Technologische Kennzeichen

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Levalloiskern und bevorzugter Zielabschlag

Gekennzeichnet ist diese Technologie durch eine aufwendige Präparation des Kernsteins, bevor ein Abschlag durch einen einzelnen gezielten Schlag gewonnen werden kann (auch „Schildkern-Technik“ genannt).[9] Die so erzielten Abschläge sind häufig sehr groß und dünn und weisen umlaufend scharfe Kanten auf. Diese Abschlagtechnik rationalisierte den Einsatz des gesuchten Rohstoffes Stein und führte zur Verfeinerung der damit hergestellten Werkzeuge. Hergestellt wurden neben den Levallois-Zielabschlägen auch Klingen, Spitzen und Schaber.

In jüngerer Zeit wird diskutiert, dass Levallois-Typen des frühen Middle Stone Age in Afrika den Ausgangspunkt für eine getrennte Entwicklung gebildet haben: Während solche Werkzeuge im subsaharischen Afrika mit Homo sapiens assoziiert sind, entwickelten in Europa Neandertaler das Levallois-Konzept eigenständig weiter.[4] Erst vor einigen Jahren wurden in Nordafrika (Djebel Irhoud) und in der Levante (Misliya-Höhle) Levallois-Typen mit frühen Vertretern des Homo sapiens gefunden. Anzeichen für die Assoziation von Levallois-Werkzeugen mit Homo sapiens gab es seit längerer Zeit vom israelischen Fundplatz Es Skhul, die jedoch aus einer vergleichsweise flachen stratigraphischen Abfolge kamen und daher als schlecht archäologisch dokumentiert galten.

Victoria-West-Technik

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Diese Technik, benannt nach einer Fundstelle in Südafrika, ist lange als Proto-Levalloistechnik angesehen worden.[10] Der Kern, von dem die Abschläge erfolgten, ist hier eher breit als lang. Eine neuere Untersuchung zeigt keine genealogischen Zusammenhänge zu Inventaren mit Levalloistechnik in Europa und bezeichnet sie treffender als Para-Levalloistechnik.[11] Daher besteht kein Anlass, die Genese der Levalloistechnik in Südafrika zu verorten.

Levallois-Spitzen

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Herstellung einer Levallois-Spitze

Einige Bearbeiter sind der Ansicht, dass Levalloisspitzen die eigentlichen Zielprodukte der gesamten Levalloistechnik seien. Dabei wird auf der Abbauseite des Kerns durch gegenläufige oder gleichgerichtete Abschlagnegative ein Leitgrat angelegt, der die spitz zulaufende Form der Levalloisspitze ermöglicht.

Die Nutzung von Levallois-Spitzen für Jagdspeere kann mit einem Befund aus Syrien bewiesen werden, wo eine solche Projektilspitze noch im Wirbelknochen eines Afrikanischen Esels steckte. Der Fund wurde in Moustérien-Schichten gemacht.[12]

Zeitgleich gibt es ebenfalls in Syrien einen Nachweis von Schäftungsklebstoff an einer Levallois-Spitze. Das im Gebiet der Levante und Syrien natürlich vorkommende Bitumen bot hier einen frei verfügbaren Klebstoff, der schon vor ca. 50.000 Jahren genutzt wurde.[13]

Kritik des Levallois-Konzeptes

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Da in den vergangenen Jahrzehnten unter Levallois-Technik, der Technik des „Präparierten Kerns“, einerseits zum Teil bereits das Vorhandensein zentripetaler Abschlagnegative, andererseits lediglich der präformierte Schildkern verstanden wurde,[14] bestand bis vor wenigen Jahrzehnten große Subjektivität in der Ansprache von Levallois-Grundformen.[15] In einem Experiment wurde 1986 ein Inventar von Ault (Nordfrankreich) von drei erfahrenen Archäologen unabhängig auf seinen Levallois-Anteil untersucht, wobei nur zu 69 % Übereinstimmung in der Ansprache erzielt wurde.[16] Es bestand also ein subjektiver Faktor bei der Klassifikation von Levallois-Grundformen gegenüber anderen Abschlagtechniken.

Fundstellen in Deutschland

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Levalloiskern mit Abfall

Einzelnachweise

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  1. Gerhard Bosinski: Abschläge mit facettierter Schlagfläche in mittelpaläolithischen Funden. In: Fundberichte aus Schwaben. Neue Folge, Band 17, 1965, ISSN 0016-2752, S. 5–10.
  2. Gerhard Bosinski: Die mittelpaläolithischen Funde im westlichen Mitteleuropa (= Fundamenta. Reihe A: Archäologische Beiträge. 4, ZDB-ID 518965-2). Böhlau, Köln u. a. 1967, (Zugleich: Köln, Universität, Dissertation, 1963).
  3. Gerhard Bosinski: The Transition Lower/Middle Paleolithic in Northwestern Germany. In: Avraham Ronen (Hrsg.): The transition from lower to middle Palaeolithic and the origin of modern man (= British Archaeological Reports. International Series. 151). B. A. R., Oxford 1982, ISBN 0-86054-190-8, S. 165–175.
  4. a b Robert Foley, Marta Mirazón Lahr: Mode 3 Technologies and the Evolution of Modern Humans. In: Cambridge Archaeological Journal. Band 7, Nummer 1, 2008, S. 3–36, doi:10.1017/S0959774300001451.
  5. Ausführlich zur Entwicklung der Begrifflichkeit s. Abschnitt 1.1 History of the term ‘Levallois’ and the problem with blades. In: Dorota Wojtzak: The Early Middle Palaeolithic Blade Industry from Hummal, Central Syria. Basel 2012, S. 15–26, (Basel, Universität, Dissertation, 2012, Digitalisat).
  6. François Bordes: Levalloisien et Moustérien. In: Bulletin de la Société préhistorique de France. Band 50, Nummer 4, 1953, S. 226–235, doi:10.3406/bspf.1953.3035.
  7. Naomi Porat, Michael Chazan, Rainer Grün, Maxime Aubert, Vera Eisenmann, Liora Kolska Horwitz: New radiometric ages for the Fauresmith industry from Kathu Pan, southern Africa: Implications for the Earlier to Middle Stone Age transition. In: Journal of Archaeological Science. Band 37, Nummer 2, 2010, ISSN 0305-4403, S. 269–283, doi:10.1016/j.jas.2009.09.038.
  8. Kumar Akhilesh, Shanti Pappu, Haresh M. Rajapara, Yanni Gunnell, Anil D. Shukla, Ashok K. Singhvi: Early Middle Palaeolithic culture in India around 385–172 ka reframes Out of Africa models. In: Nature. Band 554, Nummer 7690, 2018, S. 97–101, doi:10.1038/nature25444.
  9. Metin Eren (Anthropologe) in ZDFinfo. Synchronfassung ZDF 2014. Der Neandertaler-Code. Rätselhafte Urzeitjäger. Ein Film von Nick Clarke Powell. Eine Produktion von NOVA/Arrow Int. Medis für WGBH/Off the Fence 2013. Deutsche Bearbeitung k22 Film & Entertainment.
  10. Astley J. H. Goodwin: South African stone implement industries. In: South African Journal of Science. Band 23, Nummer 12, 1926, S. 784–788.
  11. Stephen J. Lycett: Are Victoria West cores “proto-Levallois”? A phylogenetic assessment. In: Journal of Human Evolution. Band 56, Nummer 2, Februar 2009, S. 175–191. doi:10.1016/j.jhevol.2008.10.001.
  12. Eric Boëda, Jean-Michel Geneste, Christophe Griggo, Norbert Mercier, Sultan Muhesen, Jean L. Reyss, A. Taha, Hélène Valladas: A Levallois Point embedded in the vertebra of a wild ass (Equus africanus): hafting, projectiles and Mousterian hunting weapons. In: Antiquity. Band 73, Nummer 280, 1999, S. 394–402, doi:10.1017/S0003598X00088335.
  13. Eric Boëda, Jacques Connan, Daniel Dessort, Sultan Muhesen, Norbert Mercier, Hélène Valladas, Nadine Tisnérat: Bitumen as a Hafting Material on Middle Palaeolithic Artefacts. In: Nature. Band 380, Nummer 6572, 1996, S. 336–338, doi:10.1038/380336a0.
  14. vgl. François Bordes: Le débitage Levallois et ses variantes. In: Bulletin de la Société préhistorique de France. Band 77, Nummer 2, 1980, S. 45–49, doi:10.3406/bspf.1980.5242.
  15. Dieter Schäfer: Grundzüge der technologischen Entwicklung und Klassifikation vor- jungpaläolithischer Steinartefakte in Mitteleuropa. In: Bericht der Römisch-Germanischen Kommission. Band 74, 1993 (1994), S. 49–193.
  16. Marie Perpère: Apport de la typométrie à la définition des éclats Levallois. L’exemple d’Ault. In: Búlletin de la Société préhistorique francaise. Band 83, Nummer 4, 1986, S. 115–118, doi:10.3406/bspf.1986.8743.
  • Eric Boëda: Le concept Levallois. Variabilité des méthodes (= Monographie du CRA. 9). Éditions du CNRS, Paris 1994, ISBN 2-222-04772-2.
  • Gerhard Bosinski: Das Mittelpaläolithikum: Steinbearbeitung – Steinwerkzeugformen und Formengruppen – Bearbeitung von Holz, Knochen und Geweih – Schmuck. In: Elmar-Björn Krause (Hrsg.): Die Neandertaler. Feuer im Eis. 250.000 Jahre europäische Geschichte. Edition Archaea, Gelsenkirchen 1999, ISBN 3-929439-76-X, S. 74–104.
  • Michael Chazan: Levallois. In: Oxford Research Encyclopedias. Oxford University Press, Oxford 2021, doi:10.1093/acrefore/9780190854584.013.28, (Artikel aus dem Jahr 2020).
  • Jürgen Richter: Mittelpaläolithische Migrationen? Das Levallois-Konzept verbindet Afrika und Europa. In: Jürgen Richter: Altsteinzeit. Der Weg der frühen Menschen von Afrika bis in die Mitte Europas. Kohlhammer, Stuttgart 2018, ISBN 978-3-17-033676-6, S. 107–119.
  • Jürgen Richter: Das Levallois-Konzept. In: Harald Floss (Hrsg.): Steinartefakte vom Altpaläolithikum bis in die Neuzeit. Kerns, Tübingen 2012, ISBN 978-3-935751-12-4, S. 227–236.
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