Wahlen in Myanmar 2010
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Die Wahlen in Myanmar (Birma) fanden am 7. November 2010 statt und waren die ersten Wahlen seit 20 Jahren.[1] Die Wahlen waren der fünfte Schritt des Sieben-Punkte-Programms der Regierung zur „disziplinierten Demokratie“[2] vom 30. August 2003.[3]
Gewählt wurden Vertreter für das Unterhaus (Pyithu Hluttaw), das Oberhaus (Amyotha Hluttaw) sowie die Parlamente der Provinzen und Unionsstaaten.[3] Im Vorfeld der Wahlen beklagt die Opposition Behinderungen und Manipulationen. Nach Ansicht der Vereinten Nationen und verschiedener Menschenrechtsorganisationen war die Wahl nicht frei oder fair.[4] Internationale Wahlbeobachter waren nicht zugelassen.[5]
Voraussetzungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Am 14. September 2010 wurde die Nationale Liga für Demokratie von der myanmarischen Wahlkommission aufgelöst, nachdem erstere auf eine erneute Registrierung für die Wahlen verzichtete.[6] Die neue Partei Nationale Demokratische Kraft wurde von einigen ehemaligen Mitgliedern der Nationalen Liga für Demokratie gegründet, die sich weigerten, den Boykott zu befolgen, und aus der Nationalen Liga für Demokratie ausgetreten waren. Die offiziellen Medien warnten die Leute, dass die Regierung des Militärs fortgesetzt würde, sollten sie der Wahl fernbleiben, damit sie scheitert.[7] Die Leiter der NDK hoben hervor, dass durch die Wahl ein Schritt vorwärts zur Demokratie gemacht wird und haben den Boykott als nicht praktisches Mittel bezeichnet.[7] Die Partei der nationalen Einheit (National Unity Party) wurde auf der Grundlage der ehemaligen Partei des sozialistischen Programms Myanmars von U Ne Win durch viele ihrer jeweiligen Mitglieder neu organisiert.[8]
Jeder Kandidat musste für seine Registrierung 500.000 Kyat (etwa 390 Euro) bezahlen, eine sehr hohe Summe, der monatliche Mindestlohn liegt bei unter 25 Euro.[9] Die im März 2010 veröffentlichten Wahlgesetze bestimmten, dass niemand, der in Haft oder Arrest ist, an der Wahl teilnehmen darf. Damit konnten etliche Oppositionelle nicht an der Wahl teilnehmen, darunter die Vorsitzende der Nationalen Liga für Demokratie, Aung San Suu Kyi.[10] Teile der Opposition riefen zum Boykott der Wahl auf.[5]
Wahlen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]29 Millionen Wahlberechtigte wurden registriert, um 440 Parlamentssitze im Unterhaus (Pyithu Hluttaw) des Parlaments zu wählen. Davon wurden 110 Sitze für Vertreter des Militärs reserviert.[1] Insgesamt standen 3.071 Kandidaten aus 37 Parteien zur Wahl,[1] davon 82 Unabhängige,[11] wobei viele Parteien vom Militär selbst gegründet wurden.[9] Während der Wahlen wurden 60 000 Wahllokale geöffnet.[8][11] Die von der Militärjunta gestützte Union Solidarity and Development Party stellte 1.100 Kandidaten, die militärnahe Partei der nationalen Einheit 990 und die oppositionelle Nationale Demokratische Kraft 163.[10]
In einigen Bezirken Myanmars, in denen die Rebellen eine starke Position haben, wurde nicht gewählt,[10] womit etwa zwei Prozent der Wahlberechtigten von der Wahl ausgeschlossen wurden.[3] Die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums, Hong Lei, sagte, dass das erfolgreiche Durchführen der Wahlen nicht nur den Interessen des myanmarischen Volkes entspreche, sondern auch den Frieden und Aufschwung in der Region fördern werde.[12]
Die Wahlen verliefen ohne größere Zwischenfälle. Die Polizei zeigte in Rangun deutliche Präsenz. Als Wahlbeobachter nahmen ausschließlich asiatische Diplomaten teil, zum Beispiel der Botschafter der Demokratischen Volksrepublik Korea. Es wurde zudem ein neunzigtägiger Ausnahmezustand ausgerufen.[13] Der amtierende Außenminister U Nyan Win wurde in einem der Parlamente der Provinzen und Unionsstaaten gewählt.[11]
Einige Wahllokale durften von unabhängigen Aktivisten beobachtet werden. Einige Staatsangestellte und Militärangehörige berichteten, dass sie zur Stimmabgabe für die USDP gezwungen wurden und dass Wahlurnen schon am frühen Morgen gefüllt waren.[14]
Ergebnisse
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Militärjunta gab am 9. November 2010 erste Ergebnisse bekannt. Danach erhielt die Partei Union Solidaritäts- und Entwicklungspartei 80 Prozent der Sitze.[15] Die beiden Oppositionsparteien Nationale Demokratische Kraft sowie Demokratische Partei räumten ihre Niederlage ein und kritisierten Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen.[16] Die Wahlbeteiligung wird auf etwa 60 Prozent geschätzt.[17]
Xinhua berichtete am 17. November 2010 folgende endgültige Ergebnisse[18]:
Name der Liste | Abgeordnete, Unterhaus | Abgeordnete, Oberhaus | Abgeordnete, Parlamente der Provinzen und Unionsstaaten |
---|---|---|---|
Union Solidarity and Development Party | 259 | 129 | 495 |
Partei der nationalen Einheit | 12 | 5 | 46 |
Shan Nationalities Democratic Party | 18 | 3 | 36 |
Rakhine Nationalities Development Party | 9 | 7 | 19 |
andere Parteien | 27 | 24 | 65 |
Gesamt | 325 | 168 | 661 |
Die National Democratic Force und die All Mon Region Democracy Party haben jeweils insgesamt 16 ausgewählte Abgeordnete in den drei Häusern[18].
Nachwirkungen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Am Tag nach den Wahlen kam es in Ostbirma zu heftigen Gefechten des Militärs mit Aufständischen der Karen-Minorität. Es gab Kämpfe in der Grenzstadt zu Thailand, Myawaddy, bei der mehrere Menschen verletzt und getötet wurden. Über 10.000 flüchteten über die Grenze.[19] Bereits am Wahltag haben 300 Rebellen in Myawaddy gegen die Wahlen protestiert sowie die Post und eine Polizeistation besetzt. Organisationen der ethnischen Minderheiten, die rund 40 Prozent der Bevölkerung ausmachen, hatten vor den Wahlen vor einem Bürgerkrieg gewarnt. In 3.400 Ortschaften in überwiegend von ethnischen Minderheiten bewohnten Gegenden konnten nach Schätzungen 1,5 Millionen Menschen nicht von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen, nachdem die Wahlen dort abgesagt wurden.[20]
Am 4. Februar 2011 wurde der ehemalige General und Ministerpräsident Thein Sein vom Parlament zum neuen Staatspräsidenten gewählt.[21] Mit ihm stand erstmals seit 1962 wieder ein Zivilist dem Staat vor. Unter Thein Sein beschleunigte die myanmarische Regierung ihren Reformkurs, politische Gefangenen wurden freigelassen und die Staatsführung suchte den Dialog mit der Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi.[22]
Am 1. April 2012 fanden Nachwahlen zu beiden Parlamentskammern statt, in denen 45 vakante Parlamentssitze neu besetzt wurden.[23] Zu diesen Nachwahlen wurde die Nationale Liga für Demokratie wieder zugelassen, Aung San Suu Kyi kandidierte erfolgreich für ein Mandat. Diese Nachwahlen bildeten einen symbolischen Höhepunkt des durch die Parlamentswahlen von 2010 eingeleiteten Demokratisierungsprozess, von dem sich die Staatsführung Myanmars eine Normalisierung ihrer Beziehungen mit den westlichen Industrienationen verspricht.[24]
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Henning Heffner/Friedrich-Ebert-Stiftung, Parlamentswahlen in Burma/Myanmar - Zementierung der Militärherrschaft oder Chance auf Veränderung?, Oktober 2010 (PDF-Datei; 248 kB)
- Burma Election 2010 – The Irrawaddy (englisch)
- Burma Election 2010 – Burma News International (englisch)
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Marco Bünte: Wahlen in Myanmar. Die Konsolidierung autoritärer Herrschaft GIGA Focus Asien Nr. 10/2010.
- Richard Horsey: Myanmar's Political Landscape Following the 2010 Elections. Starting with a Glass Nine-Tenths Empty? In: Myanmar's Transition: Openings, Obstacles and Opportunities. Institute of Southeast Asian Studies, Singapur 2012, S. 39–51.
- Henning Effner: Parlamentswahlen in Burma/Myanmar. Zementierung der Militärherrschaft oder Chance auf Veränderung? Friedrich-Ebert-Stiftung, Oktober 2010.
- Renaud Egreteau: Legislators in Myanmar’s First “Post-Junta” National Parliament (2010–2015). A Sociological Analysis. In: Journal of Current Southeast Asian Affairs, Band 33, Nr. 2, 2014, S. 91–124.
- Marie Lall: Ethnic Conflict and the 2010 Elections in Burma. Asia Programme Paper 2009/04, Chatham House, 23. November 2009.
Fußnoten
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ a b c Aljazeera, Fraud charges cloud Myanmar vote, 6. November 2010
- ↑ Deutsche Welle, Birma - Eine Diktatur lässt wählen, 3. November 201
- ↑ a b c Uta Gärtner, Junge Welt, 3. November 2010, Online: AG Friedensforschung an der Universität Kassel, Stagnation oder Aufbruch? - Analyse. Myanmar vor den Wahlen
- ↑ n-tv.de, Milde vor der Wahl in Birma: Junta will Gefangene freilassen, 10. Oktober 2010
- ↑ a b Henning Heffner/Friedrich-Ebert-Stiftung, Parlamentswahlen in Burma/Myanmar - Zementierung der Militärherrschaft oder Chance auf Veränderung?, Oktober 2010 (PDF; 248 kB)
- ↑ La Birmanie dissout cinq vieux partis politiques ( vom 8. Dezember 2015 im Internet Archive), Xinhua (französisch)
- ↑ a b Myanmar election shows trend of people's aspiration
- ↑ a b Election in Myanmar ends as polling booths close, Xinhua
- ↑ a b n-tv, Wahl in Birma: Opposition stellt 100 Kandidaten, 18. August 2010
- ↑ a b c Deutschlandradio, Hintergrund - Wahlen in Myanmar, 5. November 2010
- ↑ a b c Myanmar announces some elected parliamentary representatives, Xinhua
- ↑ China hopes Myanmar election runs smoothly, Xinhua
- ↑ Geordnete Stimmabgabe in Burma. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 7. November 2010, abgerufen am 8. November 2010.
- ↑ Die Junta sichert sich ihre Mandate Die Zeit vom 8. November 2010
- ↑ Aljazeera, Myanmar parties concede poll defeat, 6. November 2010
- ↑ Opposition in Burma spricht von Niederlage und Betrug NZZ Online vom 9. November 2010
- ↑ Kämpfe zwischen Burmas Armee und den Karen-Rebellen NZZ Online vom 9. November 2010
- ↑ a b Myanmar election commission publishes election final results, Xinhua
- ↑ Gefechte zwischen Armee und Rebellen. In: die tageszeitung. 8. November 2010, abgerufen am 9. November 2010.
- ↑ Tausende fliehen vor Kämpfen zwischen Militär und Rebellen, Spiegel Online vom 9. November 2010
- ↑ Parlament wählt neuen Präsidenten. Frankfurter Rundschau, 4. Februar 2011.
- ↑ Karl-Ludwig Günsche: Burmas Junta hofiert Regimegegnerin Suu Kyi. Spiegel Online, 28. August 2011.
- ↑ Oppositionsführerin Suu Kyi will ins Parlament von Birma einziehen ( vom 4. August 2012 im Webarchiv archive.today). Freie Presse, 1. April 2012.
- ↑ Karl-Ludwig Günsche: Ein bisschen Perestroika. Spiegel Online, 3. Oktober 2011.