Acte gratuit

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Ein acte gratuit (frz. „willkürliche Handlung“) ist eine absurde, meist gewalttätige und zerstörerische spontane Handlung ohne Sinn oder nachvollziehbare Motivation. In der modernen französischen Literatur steht der Begriff für eine symbolische Auflehnung gegen jede Art von Determinismus und Kausalität. Wilpert betont die Spontaneität: er ist „eine plötzliche, impulsive (...) Handlung aus spontaner Eingebung“.[1]

In seinem Roman Les caves du Vatican (1914) gibt André Gide ein prägnantes Beispiel für das, was er in Le Prométhée mal enchaîné (1899) auch „l′acte autochtone“ nannte: Aus spielerischer Lust an einer Handlung, welche die Unmittelbarkeit und Zweckfreiheit des Traums erreicht, stößt der Held Lafcadio den ihm unbekannten Händler Fleurissoire aus einem fahrenden Zug.

Der Terminus acte gratuit ist für die neue ethische Bindungslosigkeit und die Hochschätzung einer totalen individuellen Disponibilität am Anfang des vergangenen Jahrhunderts – unter Nietzsches und Bergsons Einfluss – kennzeichnend. Die hinter dem acte gratuit stehende Auflehnung gegen jede Art von Determinismus und Kausalität und letzten Endes gegen die menschliche Existenz überhaupt wurde in weiteren Werken thematisiert, z. B. bei Sartre (La nausée) oder Camus (L′étranger), wobei der dem acte gratuit innewohnende metaphysische Humor noch spürbar ist.

  • Alain Goulet: Les caves du Vatican. Étude méthodologique. Paris, Larousse 1972
  • Martin Raether: Der acte gratuit. Revolte und Literatur. Hegel, Dostojewskij, Nietzsche, Gide, Sartre, Camus, Beckett (= Studia Romanica. 37). Winter, Heidelberg 1980, ISBN 3-533-02921-2
  • Elisabeth Lenk: Ethik des Ästhetischen. Am Beispiel des „acte gratuit“. Vortrag im Kunstmuseum Bern am 26. November 1989. Benteli, Bern 1991, ISBN 3-7165-0663-X
  • Marcel Arland & Bernard Groethuysen & Jacques de Lacretelle & Jacques Maritain: L'Acte gratuit. Hrsg. v. André Berge (1902–1995); Nachwort Michel Carassou. o. O. (Saint-Nazaire) 1985 (Reihe: Arcane 17) ISSN 0297-3979 Recueil de lettres adressées en 1926 aux Cahiers du mois ISBN 2-903945-18-9 (frz.)
  • Hans Blumenberg: Arbeit am Mythos. Frankfurt a. M., Suhrkamp 1979 (Blumenberg analysiert die Endstufe des Prometheus-Mythos bei Gide: Der acte gratuit mache „aus dem Wesen, das nichts ‚umsonst‘ zu tun gesonnen ist, das menschliche Wesen“ - S. 682).
  • Till R. Kuhnle: Vom „acte gratuit“ zum Absurdismus. In: ders.: Chronos und Thanatos. Zum Existentialismus des „nouveau romancier“ Claude Simon. Niemeyer, Tübingen 1995, ISBN 3-484-55022-8 (= Mimesis; 22),103-110.
  • René Habachi: Une philosophie ensoleillée. Essais sur la relation. Cariscript, Paris 1991, ISBN 2-87601-167-0 (frz. - Hier geht es allerdings um eine rein theologische Diskussion, ein altes Thema, nämlich wie weit der Mensch aus „freiem Willen“ in Beziehung zu „Gott“ treten kann, oder auch andersherum, in welcher Weise von „Gottes Willen“ die Rede sein kann, der ja per se als unbedingt, gnadenvoll vorgestellt wird.)
  • Hélène Baeyens: L'acte gratuit. Le paradoxe de la liberté absolue et du déterminisme. Saint-Martin-d'Hères, IEP 1994 (frz.)
  1. Gero von Wilpert: Sachwörterbuch der Literatur (= Kröners Taschenausgabe. Band 231). 8., verbesserte und erweiterte Auflage. Kröner, Stuttgart 2001, ISBN 3-520-23108-5, S. 5.