Aquis submersus

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Verlagseinband der ersten Buchausgabe

Aquis submersus ist eine Novelle von Theodor Storm. Sie wurde erstmals im Jahr 1876 in der Nr. 9 der Zeitschrift Deutsche Rundschau veröffentlicht und 1877 leicht korrigiert als Buch herausgegeben. Im Jahre 1886 erschien die Erzählung mit anderen erneut in Vor Zeiten.

Theodor Storm war beim Schreiben der Novelle von einem Bild in der Kirche zu Drelsdorf inspiriert. Das Bild zeigte eine dortige Predigerfamilie. Dem Sohn der Familie war noch ein weiteres Bild gewidmet mit der Inschrift: „Henricus Bonnix, aquis incuria servi submersus obyt Ao 1656, 7 May, aetatis 10“ (Heinrich Bonnix verstarb, infolge der Unachtsamkeit eines Dieners im Wasser untergegangen, im Jahre 1656 am 7. Mai mit 10 Jahren).

Die Idee zur Novelle kam Storm auf einer Reise im Herbst 1875. Als kulturhistorische Quellen verwendete er außerdem die Husumischen Nachrichten sowie die Kieler und Hamburger Nachrichten.

Die Dorfkirche in Aquis submersus steht nicht in Drelsdorf, sondern in dem unweit gelegenen Dorf Hattstedt. Storm war in seiner Jugend oft dort mit dem Pastorensohn zusammen, wie in der Novelle beschrieben. Auch die Inschrift wurde geändert, aus der Unachtsamkeit des Dieners (incuria servi) macht Storm die Schuld des Vaters (culpa patris).

Vermutlich begann Theodor Storm im November 1875 die Arbeit an dem Werk. Nach fünfmonatiger Arbeit sandte er das Manuskript im April 1876 an den Verlag. Die Erstausgabe erschien im Oktober desselben Jahres in Band 9 der Deutschen Rundschau, ein Jahr später kam Aquis submersus als Buch heraus. 1886 vereinigte der Dichter diese und vier weitere Novellen zu der Novellensammlung Vor Zeiten.

Hausinschrift am Markt in Husum, wiederkehrendes Motiv in Aquis Submersus.

Aquis submersus ist eine Liebesgeschichte mit tragischem Ausgang, erzählt vor der Kulisse eines vom gerade beendeten Dreißigjährigen Krieg zerstörten Norddeutschlands, in dem noch immer Söldner, die zu marodierenden Räubern wurden, die Lande in Angst und Schrecken versetzten. Aus dieser Zeit wird mit altertümelnder Wortwahl die Geschichte der an Bosheit und Standesdünkel gescheiterten Liebe zwischen Katharina und dem Maler Johannes erzählt, die aus einer Rahmenerzählung heraus als Aufzeichnung des Malers vorgelegt wird. Beweggrund zur Niederschrift der Novelle dürfte die Annexion Schleswig-Holsteins durch das Königreich Preußen nach dem Deutschen Krieg gewesen sein.

Der Erzähler der Rahmengeschichte denkt daran zurück, wie er sich in der Kinderzeit in einem Dorf gern mit dem Pfarrerssohn die Zeit vertrieb. Schon damals fiel ihm in der Kirche das Porträtgemälde eines ehemaligen Pfarrers auf, auf dem auch ein toter Junge zu sehen ist. Der Rahmen ist mit der Jahreszahl 1666 und den Buchstaben „C.P.A.S.“ versehen. Der Erzähler vermutet dahinter die Bedeutung „durch die Schuld des Vaters im Wasser untergegangen.“ Jahre später kehrt er in seine Heimatstadt zurück und soll dort für einen Verwandten ein Schülerquartier ausfindig machen. Er findet selbiges in einen alten Haus, in dem ihm ein Porträtgemälde aus dem 17. Jahrhundert auffällt. Gemalt wurde es seinerzeit von einem weitläufigen Verwandten des Hauseigentümers. In einem Kasten finden sich außerdem Aufzeichnungen des Künstlers names Johannes, der nun als Erzähler der Binnengeschichte auftritt.

Johannes war in Kindertagen oft auf dem junkerlichen Schloss nahe seiner Vaterstadt zu Gast, dessen Eigentümer Gerhardus zu ihm eine väterliche Freundschaft hielt. Katharina, die Tochter des Hauses, war Johannes' Spielgefährtin. Nach Jahren des Studiums in den Niederlanden kehrt er 1661 zurück und verliebt sich in die einstige Freundin. Gerhardus ist aber kurz zuvor verstorben und dessen Sohn und Erbe, der rücksichtslose und brutale Wulf, drängt nun auf die Verheiratung der Schwester mit dem benachbarten Adeligen und Trinkkumpanen Kurt. Den Plan der jungen Frau, in ein von ihrer Tante geleitetes Stift zu fliehen, konnte Wulf bereits vereiteln. Vor der Hochzeit soll Johannes die Geliebte malen. Sie nutzen die gemeinsame Zeit, um eine Flucht zu planen. Auf dem Rückweg aus Hamburg, wo er einen Rahmen für das Bild bestellte, vereinbart der Maler alles mit Katharinas Tante. Kurts Reitknecht hat ihn aber dort gesehen und so wird Wulf, der im Wirtshaus zecht, der Plan bekannt. Es kommt zum Schlagabtausch, Johannes kann sich aber in das Schloss retten, wo er mit Katahrina eine Liebesnacht verbringt. Am vereinbarten Treffpunkt trifft die junge Frau am nächsten Tag aber nicht ein und so geht Johannes erneut ins Herrenhaus, wird dort aber vom Junker niedergeschossen. Dessen Wildhüter pflegt den Verletzten, der danach zwangsweise zurück in die Niederlande geht. Dort will er soviel Geld und Ruhm erwerben, dass er trotz des Standesunterschiedes einmal um sie werben kann.

Nach der Rückkehr erfährt er aber, dass Katharina schon einige Zeit nicht mehr öffentlich gesehen wurde und man allgemein annimmt, sie sei mit dem Maler fortgelaufen. Johannes stellt sich Wulf und besiegt diesen in einem Fechtduell. Danach geht er nach Hamburg, kann aber keine Neuigkeiten über seine Geliebte in Erfahrung bringen. Einige Zeit darauf, im Jahr 1666, fährt er eines Auftrags wegen in eine Nordseestadt. Dort wohnt der Maler bei seinem Bruder, der ein öffentliches Amt bekleidet. Während dieser Zeit geht die Anfrage ein, das Konterfei des Pfarrers eines nahen Dorfes zu malen, wie es in dem Ort Tradition ist. Johannes sucht den Geistlichen auf, einen mürrischen und spröden Mann, der einst mit umherziehenden Kriegsvolk in die Gegend kam. Sympathie erweckt hingegen dessen vermeintlicher Sohn, der ebenfalls Johannes heißt und dessen Augen beim Maler eine unbestimmte Erinnerung wachrufen. Die Pfarrfrau bekommt er hingegen nicht zu Gesicht. Eines Tages soll in der Stadt eine angebliche Hexe verbrannt werden, die aber nachts zuvor stirbt. Ihr Leichnam endet dennoch auf dem Scheiterhaufen. Johannes widert bereits der Gedanke daran an und so geht er unangekündigt ins Dorf, um an dem Bild weiterzumalen. Dabei trifft er die Gattin des Pfarrers, bei der es sich um Katharina handelt. Sie gesteht ihm, dass der kleine Johannes sein Sohn ist. Der Geistliche hatte die durch das uneheliches Kind Entehrte einst geheiratet, um so die Pfarrstelle einnehmen zu dürfen. Sie will die Vergangenheit ruhen lassen, der Maler ist aber immer noch von ihr betört und beide küssen sich letztlich. Durch die Unachtsamkeit des Paares stürzt das Kind jedoch in einen nahen Teich und ertrinkt.

Der Pfarrer, dem die Identität des Malers bekannt ist, verlangt von ihm, ein Leichenbildnis anzufertigen. Johannes kombiniert das Gemälde des Geistlichen mit dem Abbild des Ertrunkenen. Katharina befindet sich, während er an der Totenbahre arbeitet, im Nebenzimmer, zeigt sich ihm aber nicht. Nach Vollendung des Gemäldes verziert er es als Eingeständnis seiner Schuld mit den Buchstaben „C.P.A.S.“ und der Jahreszahl.

Der Erzähler der Rahmengeschichte beendet seine Schilderungen mit dem Hinweis, dass sich der Maler Johannes entgegen seiner Hoffnungen keinen Ruhm erworben hat in der Gegenwart unbekannt ist.

Schon der Name des Malers „Johannes“ begibt sich, wie Gerhard Kaiser 1983 feststellt, in den neutestamentlichen Kontext, erinnert an Jesu Lieblingsjünger, der mit „Kinderchen, liebt euch“ überliefert ist. Ähnliche Anklänge bietet der Name der Geliebten, Katharina („die Reine“), das ein marianisches Motiv andeutet, wie es sich dann auch weitergehend findet. Auf der anderen Seite dann deren Bruder, der Junker Wulf, der das Hobbessche „homo homini lupus est“ („der Mensch ist dem Menschen ein Wolf“) in rauhester Weise umzusetzen scheint; dann der Junker Risch (der geschmähte Freier) der schon physiognomisch mit dem „Buhz“ (389f.), dem Raubvogel, in eins gesetzt sich findet, und „Bas Ursel“ (die Bärin) immer wachsam und zum Ende einer Ahnin, die das Übel in den Stammbaum gebracht zu haben scheint, das sich nun in Wulf wieder ausprägte, nicht unähnlich.

Johannes wird so zum Schänder der reinen Katharina, er macht sie zweimal zum Opfer seiner Lust: Der ersten dieser Begegnungen entspringt das gemeinsame Kind. Der zweiten, die wesentlich deutlicher von Lust und von dem Wunsch zu besitzen geprägt ist – „[…] ergriff ihre Hand und zog sie gleich einer Willenlosen zu mir in den Schatten der Büsche“ (446), dann: „[...] wurd ich meiner schier unmächtig, riß sie jäh an meine Brust, […] hielt sie wie mit Eisenklammern und hatte sie endlich, endlich wieder!“ (448) – wird kurz zu einer erotisch aufgeladenen Wiedervereinigung mit: „Ihre Augen sanken in die meinen, und ihre rothen Lippen duldeten die meinen [...]“, „Blicke voller Seeligkeit“, „[…] erstickt von meinen Küssen“ (ebd.), dazwischen dann, kulminierend: „ich hätte sie tödten mögen, wenn wir also miteinander hätten sterben können“ (ebd.), sodann aber schnell die Reue – die zuerst Katharina formuliert:

„Es ist ein langes, banges Leben! O, Jesu Christ, vergib mir diese Stunde“ (ebd.)

und die sodann beiden anheimgestellt ist, wenn sie wenige Minuten später ihr gemeinsames Kind, culpa parentum, verlieren.

Doch hierin erschließt sich die Frage der Schuld längst nicht, denn die vermeintlich reine Katharina erwartet den Johannes längst. Und diesem ist der Augenblick einer Erfüllung und eines Wiedersehens gleichzeitig notwendig, seine Vaterschaft erst einmal entdeckt zu bekommen. Und letztlich ist beider Widerstand so gering, da sie einander immer noch lieben, immer geliebt haben, ist nicht der Johannes der Schurke, sondern erst Junker Wulf, dann der Geistliche, der Katharinen ehelicht und so, wie Kaiser es nennt, „legalisierter Vergewaltiger“ (1983, 60) wird, ein „Vergewaltiger“, der zudem gerade zu dem Schauspiel einer Hexenverbrennung abwesend ist und in dieser Grausamkeit so erst jene in nuce möglich macht.

Es bleiben also auf dieser Ebene die gesellschaftlichen Konventionen, die der Liebe ohne Recht das Glück verbauen, denn „die Liebe überwindet alles“, „ama et fac quod vis“ (nach Augustinus).

Aber auch hierin erschöpft sich die Interpretation nicht. Denn der „Vergewaltiger“ heiratet die Sünderin ohne Not. Er ist, wiewohl ansonsten als calvinistisch gefühlsarm gekennzeichnet, dem Stiefsohn ein liebender Vater und – nach dessen Tod – der Gattin ein demütig Vergebender. Zuletzt also bleibt (und dies wird gerne übersehen) ein christliches Motiv ganz anderer Art: Johannes, der seinen toten Sohn malt, nimmt alle Schuld auf sich: Er tut dies und negiert damit den Sündenfall, der sich im casu periculoso andeutete, einem Zufall, aus Gefahr (der Hatz) entstanden, der in seiner Unausweichlichkeit auf den ersten Fall – die paradiesische Verfehlung – zurückweist, der die Erbsünde in die Welt brachte.

Die eigentliche Erlösungstat aber, „von Engeln gedeckt“, liegt im kleinen Johannes, der, als würde die Schöpfungsgeschichte zurückentwickelt, in das „Meer“ wieder eingeht, aus dem er gekommen, die Sünde seiner Existenz austilgt, der Katharina die Reinheit, dem Johannes die waschende Taufe zukommen lässt, zukünftig in den sakralen Räumen der Kirche verehrt werden wird – mit dem Unterschied jedoch, dass er auf die so Gereinigten größtmögliches Unglück herabsinken lässt; sie, die als Liebende – wenngleich getrennt und sündenvoll – lebendig sind, eine Geschichte haben, nun ebenfalls und unerbittlich versinken lässt im Dunkel des Desinteresses der Geschichte.[1]

Primärliteratur

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Sekundärliteratur

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  • Wm. L. Cunningham, Zur Rolle des Wassers in Theodor Storms „Der Schimmelreiter“. In: Schriften der Theodor-Storm-Gesellschaft. 27 (1978), S. 2f.
  • Heinrich Detering: „Aquis submersus“. Kunst, Religion und Kunstreligion bei Theodor Storm. In: Manfred Jakubowski-Tiessen (Hrsg.): Religion zwischen Kunst und Politik. Aspekte der Säkularisierung im 19. Jahrhundert. Göttingen 2004, S. 48–67.
  • Günther Ebersold: Politik und Gesellschaftskritik in den Novellen Theodor Storms. Frankfurt a. M./Bern 1981.
  • Rüdiger Frommholz: Theodor Storm. Zum Selbstverständnis eines Dichters im Realismus. In: Gunter E. Grimm (Hrsg.): Metamorphosen des Dichters. Das Selbstverständnis deutscher Schriftsteller von der Aufklärung bis zur Gegenwart. Frankfurt a. M. 1992, S. 167–183.
  • Gerhard Kaiser: Bilder lesen. Studien zu Literatur und bildender Kunst. München 1981.
  • Johannes Klein: Geschichte der deutschen Novelle – von Goethe bis zur Gegenwart. 3., verbess. u. erweit. Aufl. Wiesbaden 1956.
  • Franz Koch: Idee und Wirklichkeit. Deutsche Dichtung zwischen Naturalismus und Romantik. 2 Bde. Düsseldorf 1956.
  • Josef Kunz (Hrsg.): Novelle (= WdF, 60). Darmstadt 1968.
  • Karl Ernst Laage: Theodor Storms Chroniknovellen – ein unromantischer Rückgriff in die Vergangenheit. In: Klaus-Detlef Müller (Hrsg.): Studien zur deutschen Literatur seit der Romantik. (Festschrift Hans-Joachim Mähl). Tübingen 1988, S. 336–343.
  • Gerd Eversberg: Erläuterungen zu Theodor Storms Aquis submersus. ISBN 3-8044-0311-5.
  • Hildegard Lorenz: Varianz und Invarianz. Theodor Storms Erzählungen: Figurenkonstellationen und Handlungsmuster (= Abh. z. Kunst, Musik u. Literaturwissensch. 363). Bonn 1985.
  • Fritz Martini: Die deutsche Novelle im ›bürgerlichen Realismus‹. Überlegungen zur geschichtlichen Bestimmung des Formtypus. In: Kunz. 1968, S. 346–384.
  • Norbert Mecklenburg (Hrsg.): Naturlyrik und Gesellschaft. Stuttgart 1977.
  • Christian Neumann: „Mir schien’s, als sei es kaum mein eigenes Werk“ – Die Sprache des Unbewussten in Storms Chroniknovelle „Aquis submersus“. In: ders.: Das Opfer der Lebendigkeit. Devitalisierung und Melancholie im Erzählwerk Theodor Storms, Thomas Manns und Franz Kafkas. Königshausen und Neumann, Würzburg 2023, ISBN 978-3-8260-7790-6, S. 101–133.
  • Birgit Reimann: Zwischen Harmoniebedürfnis und Trennungserfahrung: Das menschliche Naturverhältnis in Theodor Storms Werk. Zur dichterischen Gestaltung von Natur und Landschaft in Lyrik und Novellistik. Diss. Freiburg i. Br. 1995.
  • Wilhelm Steffen: Mächte der Vererbung und Umwelt in Storms Leben und Dichtung. In: Euphorion. 41 (1941), S. 460–485.
  • Wiebke Strehl: Vererbung und Umwelt: Das Kindererzählmotiv im Erzählwerk Theodor Storms (= Stuttgarter Arbeiten zur Germanistik. Hg. v. Ulrich Müller u. a., 332). Stuttgart 1996.
  • Benno von Wiese: Die deutsche Novelle von Goethe bis Kafka. Interpretationen. 2 Bde. Düsseldorf 1965.

Die Novelle ist zweimal unter anderen Titeln verfilmt worden, zuerst als Spielfilm, später als Fernsehspiel.

Wikisource: Aquis Submersus – Quellen und Volltexte

Einzelnachweise

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  1. Theodor Storm, Sämtliche Werke; 4 Bde., hg. v. Karl Ernst Laage u. Dieter Lohmeier, Frankfurt a. M. 1987
  2. Aquis submersus, staedelmuseum.de, abgerufen am 10. Juni 2012