Deadlock (Eisenbahn)

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Ein Deadlock (englisch für „ausweglose Situation“) ist bei der Eisenbahn eine Situation, in der sich Züge gegenseitig blockieren, so dass keine Zugfahrt im Regelbetrieb mehr möglich ist.

Bedeutung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Beispiel eines Deadlocks bei einer eingleisigen Strecke zwischen zwei Bahnhöfen mit jeweils zwei Gleisen

Der einfachste Fall eines Deadlocks ist eine eingleisige Strecke, auf der sich zwei Züge gegenüberstehen. Solange sich jeder der Züge in einem eigenen Zugfolgeabschnitt befindet, droht in dieser Situation zwar kein Zusammenstoß, trotzdem wird diese Behinderung vom sogenannten Gegenfahrschutz zur Sicherung von Zugfahrten verhindert.[1] Ein auch mit Zugsicherung möglicher Deadlock ist, wenn bei eingleisigem Zugbetrieb ein Bahnhof mit zwei Gleisen mit zwei in dieselbe Richtung fahrenden Zügen belegt ist (beispielsweise zum Überholen), aber zugleich ein Zug auf dem eingleisigen Abschnitt entgegenkommt. Da alle Gleise im Bahnhof belegt sind, ist keine Zugkreuzung möglich und die Züge blockieren sich gegenseitig.[2][3]

Deadlock im Gleiswechselbetrieb: Für keinen der Züge ist in Fahrtrichtung einer der rot markierten Zugfolgeabschnitte frei.

Ein Deadlock kann auch auf zweigleisigen Strecken auftreten, die im Gleiswechselbetrieb befahren werden, wenn sich auf beiden Gleisen jeweils zwei Züge entgegenkommen und es durch keinen Gleiswechsel mehr möglich ist, das Gegengleis zu verlassen. In größeren Bahnhöfen ist die Bedingung für einen Deadlock, dass die Strecken durch Züge blockiert werden, die einfahren wollen, aber wegen überfüllter Bahnhofsgleise nicht mehr einfahren können. Eine große Sicherheit bieten hingegen zweigleisige Strecken, bei denen in jede Richtung nur das Regelgleis befahren wird.[3]

Der Aufwand, eine solche Situation durch Rangieren zu beseitigen, ist im Eisenbahnbetrieb sehr hoch. Es ist jedoch unmöglich, die Bahninfrastruktur eines komplexen Streckennetzes so zu bauen, dass Deadlocks grundsätzlich ausgeschlossen sind. Erstens muss daher vor der Einführung eines neuen Fahrplans, die in Europa durch das Forum Train Europe koordiniert seit 2002 immer am zweiten Samstag im Dezember an Mitternacht stattfindet, sichergestellt sein, dass er keine Deadlocks enthält. Zweitens ist es bei Verspätungen oder Umleitungen Aufgabe der Fahrdienstleiter, teilweise unterstützt durch Algorithmen in der Steuerungssoftware von digitalen Stellwerken, potentielle Deadlocks zu erkennen und zu verhindern.[4][5][6] Die Software enthält dann einen Algorithmus als sogenannte „Überfüllverhinderung“, die das automatische Stellen von Fahrstraßen nur dann zulässt, wenn dadurch die Gleisanlage nicht überfüllt wird: Beispielsweise wird im Gleiswechselbetrieb das Einstellen einer vierten Fahrstraße auf die Überleitstelle verhindert und so eine davon wegführende Fahrstraße freigehalten.

Derartige Systeme sind im Lötschberg-Basistunnel sowie im Gotthard-Basistunnel auf Basis des European Train Control Systems umgesetzt.[7][8][9] Allerdings ist dies technisch nur dann möglich, wenn die Anlagen auf beiden Seiten zum selben Stellwerksbereich gehören. In den übrigen Fällen dient das Zugmeldeverfahren, bei dem das Ablassen einer Fahrt in einen Abschnitt mit Zweirichtungsbetrieb vorher durch Anbieten und Annehmen zwischen den beteiligten Fahrdienstleitern zu vereinbaren ist, als Schutz vor dem Festfahren.

Theoretische Beschreibung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Jeder Abschnitt (rot hinterlegt) kann nur mit einem Zug belegt sein, der gemäß dem blauen Pfeil auf die Einfahrt in den nächsten Blockabschnitt wartet. Man kann den Deadlock daran erkennen, dass der gerichtete Graph dieser Pfeile einen Zyklus aufweist.

Für die Entstehung eines Deadlocks in der Eisenbahn gelten dieselben vier Bedingungen wie beim Deadlock in der Informatik. Die ersten drei Kriterien sind dabei aufgrund der Struktur der Eisenbahn bzw. Zugsicherung immer erfüllt.[3][4][5]

  1. Jeder Zugfolgeabschnitt (Blockabschnitt) kann von nur einem Zug belegt werden und ist dann für andere blockiert („Mutual Exclusion“).
  2. Jeder Zug wartet, bis er in den nächsten Blockabschnitt einfahren kann, und gibt erst danach das bisherige Gleis frei („Hold and Wait“).
  3. Es können keine Züge aus dem System entfernt werden („No Preemption“).
  4. Es besteht eine „Wartekette“, dass ein Zug in einen Blockabschnitt einfahren muss, der wegen eines Zirkelbezugs aber erst dann frei werden kann, nachdem der Zug seinen eigenen Blockabschnitt verlassen hat.
Eine mit einem Zug belegte Schleife mit mehreren Zugfolgeabschnitten wäre eine hypothetische Bahninfrastruktur, in der keine Deadlocks vorkommen können.

Das entscheidende, vierte Kriterium hängt von der Betriebssituation und den baulichen Bedingungen ab, also der Mehrgleisigkeit, der Verfügbarkeit von Ausweichgleisen und der Größe der Bahnhöfe. In einem etwas komplexeren Bahnsystem mit eingleisigen Strecken oder Gleiswechselbetrieb ist es unmöglich, Deadlocks prinzipiell zu verhindern. Anders als bei Softwareprozessen, die grundsätzlich abgebrochen und neu gestartet werden können, ist es bei der Bahn im Normalfall unmöglich, Züge kurzfristig vom Gleis zu nehmen und „neu zu starten“. Daher bleibt als Ausweg nur, Deadlocks durch Vorausschau und geeignete Steuerung zu verhindern. Für den automatisierten Fahrbetrieb sowie für die Simulation und Bestimmung der maximalen Kapazität von Eisenbahnsystemen sind daher spezielle Algorithmen nötig, die Deadlocks ausschließen und einen effizienten Bahnbetrieb ermöglichen.[5][10] Mittels Komplexitätstheorie lässt sich berechnen, dass bei steigender Anzahl von Zügen und Blockabschnitten die nötige Rechenleistung stark zunimmt: der von Dessouky u. a. untersuchte Algorithmus ist NP-schwer.[11]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Ulrich Maschek: Eisenbahnsicherungstechnik, Abschnitt 13.4.4.3 Gegenfahrschutz. In: Lothar Fendrich (Hrsg.): Handbuch Eisenbahninfrastruktur, 2007, S. 599–648, hier S. 630, doi:10.1007/978-3-540-31707-4.
  2. Jacob Kohlruss: Untersuchung von Methoden zur Vermeidung von Deadlocks in synchronen Eisenbahnsimulationsprogrammen. Diplomarbeit, Institut für Verkehrsmanagement, Fachhochschule Braunschweig/Wolfenbüttel, 2007, S. 5, 27–31.
  3. a b c Jörn Pachl: Systemtechnik des Schienenverkehrs: Bahnbetrieb planen, steuern und sichern. 6. Auflage, Vieweg + Teubner 2011, S. 214. ISBN 978-3-8348-1428-9, doi:10.1007/978-3-8348-8307-0.
  4. a b Yong Cui: Simulation-Based Hybrid Model for a Partially-Automatic Dispatching of Railway Operation. Dissertation, Universität Stuttgart, 2009, S. 55 ff.
  5. a b c Jörn Pachl: Avoiding Deadlocks in Synchronous Railway Simulations. In: 2nd International Seminar on Railway Operations Modelling and Analysis, Hannover 2007, urn:nbn:de:gbv:084-12898.
  6. Jacob Kohlruss: Untersuchung von Methoden zur Vermeidung von Deadlocks in synchronen Eisenbahnsimulationsprogrammen. Diplomarbeit, Institut für Verkehrsmanagement, Fachhochschule Braunschweig/Wolfenbüttel, 2007, S. 7.
  7. Christian Hellwig, Dagmar Wander: Mit Hochgeschwindigkeit durch den Berg – ETCS-Level 2 im Lötschberg-Basistunnel. In: Signal und Draht 96(10), 2004, S. 14–17.
  8. Generationen- und Jahrhundertprojekt. Artikel über den Gotthard-Basistunnel auf siemens.ch. Abgerufen am 15. Dezember 2019.
  9. Sue Morant: Novel traffic safety systems keep Gotthard trains moving. In: International Railway Journal, 16. Juni 2016.
  10. P. Cazenave, M. Khlif-Bouassida, A. Toguyéni: Collisions avoidance and deadlocks prevention, for dynamic routing of trains in a railway node. IEEE (Hrsg.): 2019 6th International Conference on Control, Decision and Information Technologies (CoDIT), doi:10.1109/CoDIT.2019.8820580.
  11. Maged M. Dessouky, Quan Lu, Jiamin Zhao, Robert C. Leachman: An exact solution procedure to determine the optimal dispatching times for complex rail networks. In: IIE Transactions 38(2), 2006, S. 141–152, doi:10.1080/074081791008988.