Direktorium (Böhmen)

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Das nach dem Prager Fenstersturz von den oppositionellen protestantischen Ständen installierte Direktorium war vom Mai 1618 bis zum Abschluss der böhmischen Konföderation im darauffolgenden Jahr die provisorische Regierung des Königreichs Böhmen. Es stellte eines der ersten Direktorialsysteme in der modernen Politik dar.

Unmittelbar nach dem Fenstersturz wurde der Rat der Defensoren in ein Direktorium umgewandelt. Diese dreißigköpfige Ständeregierung mobilisierte die böhmischen Truppen und bereitete eine „Apologie“ vor, mit der das Vorgehen der Aufständischen vor der europäischen Öffentlichkeit gerechtfertigt werden sollte. Das Direktorium schob die Schuld an den Geschehnissen in Prag den königlichen Statthaltern zu: Sie hätten die durch den Majestätsbrief Kaiser Rudolfs II. zugesagten konfessionellen Freiheiten verletzt. Einen Monat nach Aufnahme der Tätigkeit wählte die neue Ständeregierung Wenzel Wilhelm von Roupov zu ihrem Führer, konnte sich aber nicht entschließen, die bisherigen königlichen Landesämter und die Statthalterei aufzulösen.

Gleich nach der Gründung des Direktoriums wurde Heinrich Matthias von Thurn zum Oberbefehlshaber des Ständeheeres ernannt. Aber schon bald nahm das Direktorium Verhandlungen mit Georg Friedrich von Hohenlohe wegen einer Beteiligung an der Heeresführung auf. In Anbetracht der Zweifel an Thurns Führungsqualitäten verlangte von Hohenlohe den Oberbefehl über das Ständeheer. Das Direktorium fällte keine Entscheidung und so kam es, dass sich, als im Sommer die ersten ernstzunehmenden Kampfhandlungen begannen, von Hohenlohe und von Thurn den Oberbefehl teilten und einen Wechsel im Zweimonats-Rhythmus vereinbarten.

Auch in der Innenpolitik agierte das Direktorium unentschlossen und improvisierte ohne Plan von Tag zu Tag. Es gelang noch nicht einmal, die mährischen Protestanten auf die Seite der Aufständischen zu ziehen. Auch die anderen böhmischen Kronländer versagten dem Prager Direktorium zunächst die Anerkennung. Insbesondere die Lausitzen waren nicht zu kriegerischen Handlungen gegen den Kaiser bereit.

Zusammensetzung des Direktoriums[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Direktorium ging aus den Protektoren des Protestantismus in Böhmen hervor und teilte sich in verschiedene Gruppierungen. Die bedeutendsten Trennlinie verlief zwischen denjenigen, die die Unabhängigkeit vom Kaiser aus religionspolitischen Gründen forderten und der nationalistische Fraktion, die mehr Eigenständigkeit für Böhmen anstrebte.[1] Bekannte Mitglieder waren[2]:

Name Stand Bemerkungen Weiteres Schicksal
Wenzel Wilhelm von Roupov (Führer des Direktoriums) Herrenstand floh 1620
Graf Joachim Andreas von Schlick Herrenstand hingerichtet 1620 nach der Schlacht am Weißen Berg
Václav Budovec z Budova Herrenstand hingerichtet 1620 nach der Schlacht am Weißen Berg
Wilhelm Popel von Lobkowitz Herrenstand Todesurteil nicht vollstreckt
Paul von Říčan Herrenstand Todesurteil nicht vollstreckt
Albrecht Jan Smiřický von Smiřice Herrenstand starb 1618 an einer Lungenentzündung
Zdenek von Waldstein auf Pirnitz Herrenstand Kämmerer des Winterkönigs, evtl. Nachfolger von Albrecht Jan

Smiřický

1620 erst zum Tode verurteilt,

später zu lebenslanger Haft begnadigt

Bohuchwal Berka von Duba Herrenstand floh 1620
Graf Johann Albin von Schlick Herrenstand floh 1620
Wilhelm Kinsky von Wchinitz und Tettau Herrenstand wurde später durch seinen Bruder Racek ersetzt wurde 1620 nicht verfolgt
Peter III. von Schwanberg Herrenstand starb im Mai 1620
Kaspar Cappleri de Sulewicz Ritter hingerichtet 1620 nach der Schlacht am Weißen Berg
Prokop Dwořecký von Olbramowitz Ritter hingerichtet 1620 nach der Schlacht am Weißen Berg
Friedrich von Bila Ritter hingerichtet 1620 nach der Schlacht am Weißen Berg
Heinrich Otto von Loß Ritter hingerichtet 1620 nach der Schlacht am Weißen Berg
Humprecht Czernin von Chudenitz Ritter begnadigt
Peter Milner von Milhaus[1] Ritter
Wenceslas Felix Pětipeský von Chyše und Egerberk[1] Ritter
Ulrich Gersdorf Ritter
Christoph Vitzthum Ritter
Albrecht Pfefferkorn von Ottenbach Ritter
Martin Fruwein Bürger, später Ritter Altstadt, Hofrichter der königlichen Städte Suizid nach Gefangennahme 1620
Theodor Sixt von Ottesdorf Bürger Altstadt
Daniel Skreta Bürger Altstadt
Johann Oršinovský Bürger Altstadt
Valentin Kochan von Prachow (z Prachové) Bürger Neustadt hingerichtet 1620 nach der Schlacht am Weißen Berg
Tobias Šteffek Bürger Neustadt hingerichtet 1620 nach der Schlacht am Weißen Berg
Wenzel Pisecký Bürger Neustadt
Christoph Kober Bürger Kleinseite hingerichtet 1620 nach der Schlacht am Weißen Berg
Johann Schultys Bürger Bürgermeister von Kutná Hora hingerichtet 1620 nach der Schlacht am Weißen Berg
Maximilian Hošťálek von Javořice Bürger Bürgermeister von Saaz hingerichtet 1620 nach der Schlacht am Weißen Berg
Benjamin Fruwein Bürger Sekretär des Direktoriums

Weiteres Umfeld[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nicht direkt im Direktorium selbst beteiligt gab es Unterstützer in verschiedensten Ämtern:

Name Stand Funktion Weiteres Schicksal
Heinrich Matthias von Thurn Herrenstand Erster Heerführer Diplomat und Feldherr im Dreißigjährigen Krieg
Georg Friedrich von Hohenlohe-Neuenstein-Weikersheim Herrenstand Zweiter Heerführer begnadigt
Leonhard Colonna von Fels Herrenstand Dritter Heerführer 1620 tödlich verletzt in einem Gefecht bei Sitzendorf
Christoph Harant von Polschitz und Weseritz Herrenstand Geheimer Rat, Präsident der Böhmischen Kammer hingerichtet 1620 nach der Schlacht am Weißen Berg
Georg Talmberg von Wlaschim Herrenstand Höchster Richter, Höchster Kämmerer hingerichtet 1620 nach der Schlacht am Weißen Berg
Diwisch Czernin von Chudenitz Ritter Hauptmann der Prager Burg hingerichtet 1620 nach der Schlacht am Weißen Berg
Jan Jessenius Bürger Rektor der Karls-Universität Prag hingerichtet 1620 nach der Schlacht am Weißen Berg
Andreas Kocour Bürger Rat auf der Prager Vorstadt hingerichtet 1620 nach der Schlacht am Weißen Berg
Johann Kutnauer Bürger Prager Ratsherr hingerichtet 1620 nach der Schlacht am Weißen Berg
Simon Sušický Bürger Prager Ratsherr hingerichtet 1620 nach der Schlacht am Weißen Berg
Nathanael Wodňanský Bürger Prager Ratsherr hingerichtet 1620 nach der Schlacht am Weißen Berg

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Josef Petráň: Die Anfänge des Krieges in Böhmen.

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b c J. V. Polisensky: War and Society in Europe 1618–1648, 2008
  2. Anton Gindely: Geschichte des dreißigjährigen Krieges. Prag 1869, S. 303.