Gottfried Fritzsche

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Gottfried Fritzsche (eigentlich: Frietzsch) (* 1578 in Meißen; † 1638 in Ottensen, heute zu Hamburg) war ein deutscher Orgelbauer.

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gottfried Frietzsch schrieb sich selbst mit gedehntem IE. Die Forschung im 20. Jahrhundert bezeichnete ihn aber durchgehend als „Fritzsche“.[1] Er wurde als Sohn des Goldschmieds Jobst Fritzsche († 1585) geboren. Sein Großvater Johannes Fritzsche (1508–1586) war Domsyndikus in Meißen. Vor 1603 erlernte er den Orgelbau wahrscheinlich bei Johann Lange in Kamenz.[2] Gottfried Frietzsch war bis 1612 Orgelbauer in Meißen, dann in Dresden. Hier wird er um 1614 zum kurfürstlich-sächsischen Hoforgelbauer ernannt.[3] Von 1619 bis 1627 war er in Wolfenbüttel tätig und von 1628 bis 1629 in Celle, bevor er 1629 nach Ottensen kam. Er wurde Nachfolger von Hans Scherer dem Jüngeren und blieb dort bis zu seinem Tod.

Aus seiner ersten Ehe mit einer heute nicht mehr namentlich bekannten Frau entsprossen drei Söhne und drei Töchter, darunter der Orgelbauer Hans Christoph Fritzsche. Durch seine zweite Ehe 1629 mit Margarete geb. Ringemuth, verw. Rist, wurde er Stiefvater des Dichters Johann Rist. Seine Schüler (und späteren Schwiegersöhne) waren Friedrich Stellwagen und Tobias Brunner.

Werk[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Frietzsch stand an der Schwelle von der Renaissance zum Frühbarock. Er entwickelte den brabantischen Orgelbau weiter und führte zahlreiche Neuerungen ein,[1] beispielsweise an Zungenregistern die Rankettregale wie Dulzian, Regal, Sordun und das langbechrige Krummhorn. Frietzsch stellte nicht selten Register derselben Registerfamilie, aber mit kontrastierender Mensur (weit und eng) in einem Werk einander gegenüber oder wählte ungewöhnliche Fußtonlagen (Tonhöhen). Im Brustwerk und Pedal setzte er regelmäßig einfüßige Stimmen ein, die bei Scherer noch unbekannt waren.[4] Kennzeichnend ist auch seine zweifache Zimbel, die den Platz von Scherers hochliegendem Scharff einnimmt, sowie die Verwendung verschiedener Aliquotregister als Einzelstimmen. So war die 1635 durch Frietzsch in die Orgel von St. Jacobi (Hamburg) eingebaute Sesquialtera die erste im norddeutschen Raum überhaupt. Auch verwendete er gerne Nebenregister wie Tremulant und „Trommel“, die bei Scherer noch nicht begegnen, und Effektregister wie „Kuckuck“, „Vogelsang“ und „Nachtigall“.[5] Während in Norddeutschland bisher gehämmerte Bleipfeifen die Regel waren, hobelte Frietzsch die Pfeifen und verwendete eine Legierung mit einem höheren Zinnanteil, für die Becher der Posaunen und Trompeten setzte er Markasit zu. Gegenüber Scherer war schließlich der Einsatz von Subsemitonien (doppelte Obertasten) neu. In seiner Hamburger Zeit führte er an den Orgeln aller vier Hauptkirchen Umbauten durch. Durch Frietzsch’ Erweiterungen gehörten die Orgel in St. Jacobi und St. Katharinen zu den ersten Orgeln überhaupt, die über vier Manuale verfügten.[6]

Werkliste[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Jahr Ort Kirche Bild Manuale Register Bemerkungen
1603 Meißen Meißner Dom II/P 17 als Schwalbennestorgel; am 27. April 1647 durch Blitzschlag zerstört[7]
1609–1610 Meißen Frauenkirche Renovierung einer Orgel von Anton Lehmann (1544), Einweihung durch Hans Leo Haßler; nicht erhalten
1612–1614 Dresden Schlosskapelle II/P 33 in Zusammenwirken mit Hans Leo Hassler; 1737 in die Matthäuskirche überführt; nicht erhalten; Disposition bei Michael Praetorius: Syntagma musicum. Band 2: De Organographia[8]
1615–1617 Sondershausen Trinitatiskirche II/P 33 1621 verbrannt
1617 Wolfenbüttel Trinitatiskirche II/P 21 ursprünglich für Schlosskapelle Schöningen gebaut; 1722/23 überführt und umgebaut; Prospekt stark verändert erhalten
1618–1619 Bayreuth Stadtkirche Heilig Dreifaltigkeit II/P 35 nicht erhalten
1621–1622 Harbke St. Levin
I/P 18 1728 Ergänzung um ein Rückpositiv durch Christoph Treutmann; Prospekt und Pfeifenmaterial erhalten[9]
1619–1623 Wolfenbüttel Marienkirche III/P 39 rekonstruierter Prospekt und 6 Register erhalten
1621–1623 Braunschweig St. Katharinen III/P 6 Register erhalten und im Neubau von Rudolf von Beckerath Orgelbau (1980) integriert
1622–1625 Clauen Kirche Clauen
I/p ursprünglich für Schlosskirche Wolfenbüttel gebaut; 1725/26 Umbau durch Johann Andreas Graff; 1796 nach Clauen überführt; barockisierter Prospekt und Teile von Pfeifenwerk und Windladen erhalten; 1995 durch Bernhardt Edskes restauriert
1620er Coswig Alte Kirche I 9 Erbauer unbekannt, möglicherweise Frietzsch oder Tobias Weller; um 1735 nach Coswig umgesetzt, 1760 neu bemalt; erhalten[10]Orgel
1626–1627 Braunschweig St.-Ulrici-Kirche III/P 26 nicht erhalten
1627 Dresden? I 1 Zuschreibung; Positiv mit Pergamentpfeifen; heute im Victoria and Albert Museum erhalten[11]
1629–1630 Hamburg Marien-Magdalenen-Kloster, Klosterkirche II/P 23 nicht erhalten
1630 Hamburg-Ottensen Christianskirche Erweiterungsumbau einer älteren Orgel; einige Register 1744/1745 in Neubau von Johann Dietrich Busch übernommen
1630 Hamburg Ehemalige Hauptkirche Sankt Nikolai Umsetzung von dem Platz über der Nordertür auf eine neue Empore „unterm Turm im Westen“; Erweiterung und Umbau unbekannten Ausmaßes[12]
1624–1631 Torgau Torgauer Schlosskapelle nicht erhalten
1630–1631 Braunschweig St. Martini II/P 24 Entwurf für eine Disposition, die Jonas Weigel in veränderter Form ausführte
1632 Hamburg Hauptkirche Sankt Katharinen
IV/P 56 Erweiterungsumbau; Frietzsch-Pfeifen in vier Brustwerkregistern erhalten; 2013 Rekonstruktion des Zustands von 1720 (Foto)
1633–1634 Hamburg St.-Petri-Kirche IV/P (drei Manuale) Renovierung, Erweiterung und Umbau.[13] Neu: Brustwerk (angehängt an Oberwerk), sämtliche Rückpositiv-Register, einzelne Register in Hauptwerk und Pedal. Neue Klaviaturen bzw. Erweiterung der Manualumfänge bis c3, mit geteilten Obertasten, Subsemitonien, in allen (koppelbaren) Manualklaviaturen für die zusätzlichen Töne dis, as und ais. Nicht erhalten.
1634 Neuengamme St. Johannis I/P 1803 von Johann Paul Geycke und später mehrfach umgebaut; 5 Register vollständig und 6 in Teilen erhalten[14]
1634 Altengamme St. Nicolai Neubau; 1751 durch Johann Dietrich Busch ersetzt
1635–1636 Hamburg St.-Jacobi-Kirche IV/P 56 Erweiterung auf vier Manuale mit 4 Oktaven Umfang (im Rückpositiv von dis° bis einschließlich dis2 sieben geteilte Obertasten, Subsemitonien, für die zusätzlichen Töne dis, as und ais); beim Neubau 1693 übernahm Schnitger 20 Register von Frietzsch in unterschiedlichem Umfang[15]
1637 Hamburg-Allermöhe Dreieinigkeitskirche
Neubau; später mehrfach umgebaut, Prospekt 1900 verbrannt[16]
1636–1638 Trittau 12 blieb unvollendet[17]
1637–1638 Borstel (Jork) St. Nikolai II/P etwa 20 Reparatur der Orgel eines unbekannten Erbauers (2. Hälfte des 16. Jahrhunderts); Orgel mehrfach umgebaut, 1770–1772 eingreifend durch Johann Paul Geycke, der auch neues Gehäuse schuf; Kehlen zweier Zungenregister von Frietzsch erhalten

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Ibo Ortgies: Gottfried Frietzschs Orgelbau in Hamburg: St. Katharinen und die Subsemitonien. In: Ars Organi. 68, Nr. 3, 2020, S. 146–156. (Dieser Artikel ist eine umfassende Aktualisierung, Änderung und Erweiterung des Artikels Gottfried Frietzsch and the Subsemitones in the Large Organ of Hamburg, St. Catherine’s. In: Johann Norrback, Joel Speerstra und Ralph Locke (Hrsg.): Festschrift for Prof. Kerala J. Snyder (= GOArt Publications. Bd. 4). Göteborgs universitet, Göteborg 2019, 13 S. online (PDF: 1,8 MB)).
  • Gisela Jaacks: Fritzsche, Gottfried. In: Franklin Kopitzsch, Dirk Brietzke (Hrsg.): Hamburgische Biografie. Band 5. Wallstein, Göttingen 2010, ISBN 978-3-8353-0640-0, S. 120–120.
  • Uwe Pape (Hrsg.): Lexikon norddeutscher Orgelbauer. Bd. 1: Thüringen und Umgebung. Pape, Berlin 2009, ISBN 978-3-921140-86-4, S. 81 f.
  • Dorothea Schröder: Gloria in excelsis Deo. Eine Geschichte der Orgeln in der Hauptkirche St. Petri, Hamburg. Wachholtz, Neumünster 2006, ISBN 978-3-529-02848-9, S. 30–34.
  • Wolfram Steude: Beobachtungen zur Funktion der Dresdner Fritzsche-Orgel im 17. Jahrhundert. In: Matthias Herrmann (Hrsg.): Wolfram Steude, Annäherung durch Distanz. Texte zur älteren mitteldeutschen Musik und Musikgeschichte. Klaus-Jürgen Kamprad, Altenburg 2001, S. 97–102.
  • Frank-Harald Greß: Die Gottfried-Fritzsche-Orgel der Dresdner Schloßkapelle. Untersuchungen zur Rekonstruktion ihres Klangbildes. In: Acta Organologica. Bd. 23, 1993, S. 67–112.
  • Gustav Fock: Arp Schnitger und seine Schule. Ein Beitrag zur Geschichte des Orgelbaues im Nord- und Ostseeküstengebiet. Bärenreiter, Kassel 1974, ISBN 3-7618-0261-7.
  • Gustav Fock: Hamburgs Anteil am Orgelbau im niederdeutschen Kulturgebiet. In: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte. Nr. 38, 1939, S. 347 (online).
  • Hans KlotzFritzsche, Gottfried. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 5, Duncker & Humblot, Berlin 1961, ISBN 3-428-00186-9, S. 636 (Digitalisat).
  • Wilibald Gurlitt: Der Kursächsische Hoforgelmacher Gottfried Fritzsche. In: Helmuth Osthoff, Walter Serauky, Adam Adrio (Hrsg.): Festschrift Arnold Schering zum 60. Geburtstag. Reprint Georg Olms Verlag, Berlin 1937, S. 106–124 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  • Hans Klotz: Fritzsche, Gottfried. In: Friedrich Blume (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart. Band 4, Bärenreiter, Kassel [u. a.] 1955, Sp. 978–982.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. a b Günter Seggermann, Alexander Steinhilber, Hans-Jürgen Wulf: Die Orgeln in Hamburg. Ludwig, Kiel 2019, ISBN 978-3-86935-366-1, S. XVII.
  2. Dorothea Schröder: Orgeln und Orgelbau im Herzogtum Wolfenbüttel 1580–1650. Abgerufen am 22. Oktober 2022.
  3. Pape: Lexikon norddeutscher Orgelbauer. Bd. 1. 2009, S. 81.
  4. Fock: Hamburgs Anteil am Orgelbau. 1939, S. 345 (online, abgerufen am 22. Oktober 2022).
  5. Fock: Hamburgs Anteil am Orgelbau. 1939, S. 346 (online, abgerufen am 22. Oktober 2022).
  6. Fock: Arp Schnitger und seine Schule. 1974, S. 43.
  7. Gurlitt: Der Kursächsische Hoforgelmacher Gottfried Fritzsche. 1937, S. 109 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  8. Praetorius: Syntagma musicum. Band 2, S. 187 (online), abgerufen am 22. Oktober 2022.
  9. Orgel in Harbke, abgerufen am 22. Oktober 2022.
  10. Webseite der Alten Kirche Coswig (Memento des Originals vom 7. August 2020 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.ev-kirche-coswig.de
  11. Fritzsche-Positiv, abgerufen am 22. Oktober 2022.
  12. Fock: Hamburgs Anteil am Orgelbau im niederdeutschen Kulturgebiet. 1939, S. 347 (online); Fock: Arp Schnitger und seine Schule. 1974, S. 46.
  13. Schröder: Gloria in excelsis Deo. Eine Geschichte der Orgeln in der Hauptkirche St. Petri, Hamburg. 2006, S. 32–33.
  14. Orgel in Neuengamme, Organ database.
  15. Gustav Fock: Hamburgs Anteil am Orgelbau im niederdeutschen Kulturgebiet. In: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte. Nr. 38, 1939, S. 351–352 (online).
  16. Orgel in der Dreieinigkeitskirche Allermöhe. Abgerufen am 22. Oktober 2022.
  17. Gurlitt: Der Kursächsische Hoforgelmacher Gottfried Fritzsche. 1937, S. 120 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).