Hitzebelastung als Klimafolge in Deutschland

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Bei der Betrachtung von Klimafolgen und Klimaanpassung fällt häufig der Begriff Hitzebelastung. Er beschreibt die Bedrohung der menschlichen Gesundheit durch hohe Umgebungstemperaturen.

Auswirkung von Hitze auf die Gesundheit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Hitzewelle in Europa 2003 forderte europaweit 70.000 zusätzliche Todesfälle.[1] Allein in Deutschland muss man von 7000 Todesfällen in 2003 ausgehen, die durch die hitzebedingten Gesundheitsbelastungen verursacht wurden. Die Wirkung der Hitzebelastung für den menschlichen Körper ist bekannt. Durch Flüssigkeitsmangel kommt es zu einer Verschlechterung der Fließeigenschaft des Blutes und zu Störungen des Mineralstoffhaushalts. Um die Körpertemperatur konstant zu halten, wird der Kreislauf erhöhtem Stress ausgesetzt. Hitzebedingte Todesursachen sind Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Nierenversagen, Atemwegserkrankungen und Stoffwechselstörungen.[2] Es ist davon auszugehen, dass bei einem Anstieg der Jahresdurchschnittstemperatur von 1 °Celsius die hitzebedingte Sterblichkeit um 1–6 % zunimmt. Mit 5000 zusätzlichen Sterbefällen in Deutschland durch Hitze Mitte dieses Jahrhunderts muss gerechnet werden.[3]

Definition Hitze im gesundheitlichen Zusammenhang[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Für die Beurteilung der gesundheitlichen Belastungen durch Hitze werden die klimatologischen Kenngrößen heißer Tag und Tropennacht des Deutschen Wetterdienstes (DWD) verwendet.[4] Demnach ist ein heißer Tag durch Erreichen oder Überschreiten der Temperatur von 30° Celsius beschrieben.[5] In einer Tropennacht wird die Temperatur von 20° Celsius nicht unterschritten.[6] Der DWD definiert den Begriff Hitzewelle als mehrtägiges Extremwetterereignis mit ungewöhnlicher thermischer Belastung. Hitzewellen können die menschliche Gesundheit, die Ökosysteme und die Infrastruktur schädigen.[7] Besondere Bedeutung kommt Hitzeperioden zu, in denen heiße Tage im Zusammenhang mit Tropennächten über einen längeren Zeitraum auftreten. Im Hitzesommer 2003 wurden in Frankfurt am Main 6 mehrtägige Phasen beobachtet, bei denen an mindestens 3 heißen Tagen Tropennächte folgten.[8]

Regionale Verteilung der Hitzebelastung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Je nach Wetterlage und klimatischen Verhältnissen sind nicht alle Regionen Deutschlands in gleichem Maße betroffen. 2003 und 2015 kamen heiße Tage wesentlich häufiger in Süddeutschland vor als in Norddeutschland. Im gleichen Zeitraum waren Tropennächte im Süden und Westen häufiger. Von der Hitze der Sommer 2018 und 2019 waren jedoch nicht nur die Menschen in Süd- und Westdeutschland betroffen, sondern auch in weiten Teilen Mittel- und Ostdeutschlands.[9]

Im Auftrag der AOK wurde vom Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change zur Häufigkeit von hitzebedingten Krankenhauseinweisungen bei über 65-jährigen AOK-Versicherten geforscht. Untersucht wurde der Zeitraum 2008 – 2018. Es stellte sich heraus, dass in Berlin mit Abstand die meisten Fälle zu verzeichnen waren, gefolgt von Sachsen-Anhalt und Brandenburg. Deutschlandweit kamen an einem Tag mit Durchschnittstemperaturen > 30 °C durchschnittlich 40 Personen wegen hitzebedingter Beschwerden ins Krankenhaus.[10]

Innenstädte wirken als Wärmeinseln. Innerhalb dichter Bebauungsstrukturen treten Tropennächte bis zu dreimal häufiger auf als in Freiflächen. Die Innenstadt speichert die Wärmestrahlung am Tag und gibt sie nachts wieder ab. Die innerstädtische Minimaltemperatur kann um bis zu 10° über der des Stadtrandes liegen.[11]

Anpassung an zunehmende Hitzebelastung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Deutsche Anpassungsstrategie an den Klimawandel[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zur Orientierung der Akteure und um Rahmenbedingungen für die Beteiligten zu schaffen, beschloss das Bundeskabinett am 17. Dezember 2008 die Deutsche Anpassungsstrategie an den Klimawandel.[12] Sie soll einen mittelfristigen Prozess anstoßen, in dem die Bundesländer und andere gesellschaftliche Gruppen die Problemfelder ermitteln und Handlungsbedarfe benennen, sodass Anpassungsmaßnahmen entwickelt werden können.

Die Sommer 2003, 2018 und 2019 waren die wärmsten seit Beginn der Wetteraufzeichnung. Gesundheitspräventive, planerische und bautechnische Maßnahmen sind notwendig, um vor allem die Hitzebelastung der Menschen in den Städten zu mindern. Dies ist die Einschätzung des Zweiten Fortschrittsberichts zur Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel.[13]

Da es bislang in Deutschland keine harmonisierten Handlungsempfehlungen gab, trat 2017 auf Veranlassung des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit eine Autorengruppe zusammen, um solche Empfehlungen zu entwickeln: Die Bund/Länder Ad-hoc Arbeitsgruppe Gesundheitliche Anpassung an die Folgen des Klimawandels (GAK).

Im März 2017 wurden dann die Handlungsempfehlungen für die Erstellung von Hitzeaktionsplänen zum Schutz der menschlichen Gesundheit beschlossen.

Sie gliedern sich in acht Kernelemente

I Einrichtung zentraler Koordinierungsstellen auf Länderebene – analog dem Krisenmanagement im Katastrophenfall

II Nutzung des Hitzewarnsystems – dieses wird vom DWD betrieben

III Information und Kommunikation – hitzebezogene Informationen für die Bevölkerung

IV Reduzierung von Hitze in Innenräumen – bei Nutzung, baulicher Anpassung oder Planung

V Besondere Beachtung von Risikogruppen – Menschen mit hitzebezogenen Risikofaktoren

VI Vorbereitung der Gesundheits– und Sozialsysteme – Maßnahmepläne für Kranken– und Pflegeeinrichtungen, Schulen, Kindertagesstätten

VII Stadtplanung und Bauwesen – hitzeisolierendes Bauen, öffentliche Gebäude als Cooling–Center, Grünanlagen, Verschattungen

VIII Monitoring und Evaluierung[14]

Die Auswirkung von Hitze auf die Sterblichkeitsrate ist in den letzten Jahrzehnten geringer geworden. Dies ist vor allem auf Hitzewarnungen und Vorsorgemaßnahmen insbesondere bei der Pflege älterer Menschen zurückzuführen. Auch in Frankreich und der Schweiz sind die Auswirkungen von Hitze auf das Sterberisiko zurückgegangen. Dies wird auf die Einführung von Hitzewarnsystemen und Hitzeaktionsplänen zurückgeführt.[15] Für die kommenden Sommer soll nun auch in Deutschland ein Hitzeschutzplan Anwendung finden, so kündigte Bundesgesundheitsminister Lauterbach im Juni 2023 an. Mithilfe eines präventiven Konzepts sollen die hitzebedingte Gesundheitsbelastung als auch die Zahl hitzebedingter Tode verringert werden – unter anderem mit kostenlos verfügbarem Trinkwasser sowie Zugang zu Schutzräumen.[16]

Hitzebelastung am Arbeitsplatz[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Unter dem Eindruck der zunehmenden Hitzebelastung wurde im März 2022 die Arbeitsstättenregel ASR A3.5 Raumtemperatur entsprechend angepasst. In ihr werden technische Maßnahmen vorgeschrieben, die bei erhöhten Raumtemperaturen anzuwenden sind und Personengruppen definiert, die bei erhöhten Raumtemperaturen nicht arbeiten dürfen.[17]

In vielen beruflichen Bereichen ist das Tragen von Schutzbekleidung während der Arbeit unumgänglich. Diese behindert oft die Anpassung an erhöhte Lufttemperaturen durch ihre isolierende Wirkung und die Einschränkung der Schweißverdunstung.[18]

Stationäre Behandlungseinrichtungen, Pflegeheime, Krankenhäuser[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Klinikum der Universität München hat gemeinsam mit den führenden Münchner Pflegeeinrichtungen den Hitzemaßnahmenplan für stationäre Einrichtungen der Altenpflege – Empfehlungen aus der Praxis für die Praxis entwickelt. Er soll Betreiber und Beschäftigte von stationären Einrichtungen über die gesundheitlichen Folgen von Hitzebelastungen informieren und über die möglichen Maßnahmen um diese abzuwenden.[19][20]

Besonders problematisch in diesem Zusammenhang ist, dass Krankenhäuser für die Kühlung in der Regel sehr viel Energie verbrauchen und damit die Klimaerwärmung weiter beschleunigen. Auf Befragung des Deutschen Krankenhausinstituts 2022 gaben 90 % der Krankenhäuser an, Kälte mit Kompressionskältemaschinen zu erzeugen. Dafür werden im Schnitt 14 % des gesamten Strombezugs eines Krankenhauses verwendet. Bei 80 % der Krankenhäuser werden Maßnahmen zur Verschattung eingesetzt, 47 % haben eine Dach- oder Fassadenbegrünung eingerichtet. Bei 59 % der befragten Einrichtungen spielt die Anpassung an Klimafolgen eine wichtige Rolle. Jedoch verfügen nur 17 % über konkrete Notfallpläne zur Vermeidung von Hitzebelastungen.[21]

Physiologie und Pathophysiologie der Hitzebelastung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der menschliche Körper ist in weiten Bereichen in der Lage, sich an veränderte Klimabedingungen anzupassen. Beim Wechsel zu höheren Lufttemperaturen erhöht sich die Schweißproduktion, Körperkerntemperatur und Herzfrequenz können niedrig gehalten werden. Für solche Akklimatisationsprozesse braucht der Organismus Zeit: Etwa 7–10 Tage dauert es, bis sich die Regelkreise neu eingestellt haben. Diese Zeit fehlt, wenn in Zonen des gemäßigten Klimas plötzliche Hitzeperioden auftreten. Hitzetoleranz ist bei den Menschen unterschiedlich ausgeprägt. Kinder und alte Menschen vertragen Hitze schlechter als junge Erwachsene, Frauen schlechter als Männer, Übergewichtige schlechter als Normalgewichtige. Innerhalb dieser Gruppen variiert die Verträglichkeit gegenüber Hitze wiederum stark. Akute und chronische Erkrankungen, Flüssigkeitsmangel, Elektrolytstörungen und Medikamenteneinnahme können die Belastbarkeit erheblich reduzieren. Bei der Behandlung mit Medikamenten sind folgende Nebenwirkungen zu beachten:

Durch Hitze wird auch die Pharmakokinetik verändert, also die Art und Weise der Verteilung und Verarbeitung der Wirkstoffe im Körper. Hitze kann zu einer Steigerung der Hautdurchblutung führen. Das beeinflusst die Aufnahme, den Wirkstoffspiegel und die Wirkdauer von Medikamenten, die über die Haut aufgenommen werden. Das spielt bei Gelen, Cremes und Hautpflastern eine Rolle, ebenso wie bei Wirkstoffen, die unter die Haut gespritzt werden (Insulin) müssen. Bei Hitze ist die Durchblutung von Leber und Nieren bis zu einem Drittel verringert. Das kann einen erheblichen Einfluss auf die Verarbeitung und Ausscheidung von oral (über den Mund) eingenommenen Arzneimitteln haben.[22]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Verschiedene Institutionen haben Informationsangebote für von Hitze betroffene Menschen online zur Verfügung gestellt:

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Jean-Marie Robine et al.: Death toll exceeded 70,000 in Europe during the summer of 2003. In: C. R. Biologies 331. Elsevier, 2008, abgerufen am 15. Februar 2022 (englisch).
  2. Mathias an der Heiden et al.: Schätzung hitzebedingter Todesfälle in Deutschland zwischen 2001 und 2015 (Estimation of heat-related deaths in Germany between 2001 and 2015). In: Bundesgesundheitsbl 2019 · 62:571–579. Springer, 2019, abgerufen am 15. Februar 2022.
  3. Gesundheitsrisiken durch Hitze. Umweltbundesamt, 7. Januar 2022, abgerufen am 15. Februar 2022.
  4. Gesundheitsrisiken durch Hitze-Indikatoren. Umweltbundesamt, 7. Januar 2022, abgerufen am 15. Februar 2022.
  5. Glossar - Heißer Tag. Deutscher Wetterdienst, abgerufen am 15. Februar 2022.
  6. Glossar - Tropennacht. In: Deutscher Wetterdienst. Abgerufen am 15. Februar 2022.
  7. Glossar - Hitzewelle. Deutscher Wetterdienst, abgerufen am 16. Februar 2022.
  8. Gesundheitsrisiken durch Hitze-Hitzeperioden. Umweltbundesamt, 7. Januar 2022, abgerufen am 15. Februar 2022.
  9. Gesundheitsrisiken durch Hitze - Regionen. Umweltbundesamt, 7. Januar 2022, abgerufen am 30. Oktober 2022.
  10. Bundesweite AOK-Studie zu hitzebedingten Krankenhaus-Einweisungen. AOK-Bundesverband, 8. Juni 2021, abgerufen am 30. Oktober 2022 (deutsch).
  11. Gesundheitsrisiken durch Hitze-Wärmeinseln. Umweltbundesamt, 7. Januar 2022, abgerufen am 15. Februar 2022.
  12. Deutsche Anpassungsstrategie an den Klimawandel. Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz, 17. Dezember 2008, abgerufen am 30. Oktober 2022.
  13. Zweiter Fortschrittsbericht zur Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel. (PDF, 2,5 MB) Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV), 21. Oktober 2020, abgerufen am 8. Februar 2022.
  14. H a n d l u n g s e m p f e h l u n g e n für die Erstellung von Hitzeaktionsplänen zum Schutz der menschlichen Gesundheit. (PDF, 747 KB) Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV), 24. März 2017, abgerufen am 15. Februar 2022.
  15. an der Heiden, Matthias; Muthers, Stefan; Niemann, Hildegard; Buchholz, Udo; Grabenhenrich, Linus; Matzarakis, Andreas: Hitzebedingte Mortalität. Dtsch Arztebl Int 2020; 117: 603–9. DOI:10.3238/arztebl.2020.0603, 11. September 2020, abgerufen am 15. Februar 2022.
  16. Ankündigung von Lauterbach: Deutschland bekommt einen Hitzeschutzplan. In: Tagesschau. Abgerufen am 2. Oktober 2023.
  17. Technischer Arbeitsschutz - ASR A3.5 Raumtemperatur. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, März 2022, abgerufen am 30. Oktober 2022.
  18. Dieter Leyk: Gesundheitsgefahren und Interventionen bei anstrengungsbedingter Überhitzung. In: Dtsch Arztebl Int 2019; 116: 537-44; DOI:10.3238/arztebl.2019.0537. Deutscher Ärzteverlag GmbH, Redaktion Deutsches Ärzteblatt, 5. August 2019, abgerufen am 18. Januar 2023.
  19. Hitzemaßnahmenplan für stationäre Einrichtungen der Altenpflege - Empfehlungen aus der Praxis für die Praxis. Umweltbundesamt, Oktober 2018, abgerufen am 30. Oktober 2022.
  20. Hitzemaßnahmenplan. Institut und Poliklinik für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin Klinikum der Universität München, abgerufen am 30. Oktober 2022.
  21. Anna Levsen, Melanie Filser: Klimaschutz in deutschen Krankenhäusern: Status quo, Maßnahmen und Investitionskosten. (PDF, 7,1MB) Deutsches Krankenhausinstitut e.V., 30. Juni 2022, abgerufen am 30. Oktober 2022.
  22. Dieter Leyk: Gesundheitsgefahren bei Überhitzung. Deutscher Ärzteverlag GmbH, Redaktion Deutsches Ärzteblatt, 23. September 2019, abgerufen am 18. Januar 2023.