I.G.-Farben-Prozess

Van Wikipedia, de gratis encyclopedie

Die Angeklagten am Tag der Prozesseröffnung, 27. August 1947

Im I.G.-Farben-Prozess (auch IG-Farben-Prozess) mussten sich 23 leitende Angestellte der I.G. Farbenindustrie AG vor einem US-amerikanischen Militärgericht verantworten. Der Prozess „Vereinigte Staaten vs. Carl Krauch et al.“ begann am 27. August 1947 und endete am 30. Juli 1948 mit dem Urteil. Es war der sechste der zwölf Nürnberger Nachfolgeprozesse, die gegen Verantwortliche im NS-Staat geführt wurden.

13 der Angeklagten wurden zu Gefängnisstrafen verurteilt, während die restlichen zehn aufgrund fehlender Beweise freigesprochen wurden. Mit den Urteilen wurden „Plünderungen“ ausländischer Betriebe in den ehemaligen deutschen Feindländern Polen, Norwegen, Frankreich und der Sowjetunion geahndet. Ein weiterer Straftatbestand war „Versklavung“, der planmäßige Einsatz von Zwangsarbeitern aus dem eigens für den Bau der Buna-Werke errichteten KZ Auschwitz III Monowitz. Auch die Herstellung von Giftgas (Zyklon B) und dessen Lieferung an die SS zum Zwecke der massenhaften Tötung von Menschen in Konzentrationslagern wurde im Prozess behandelt.

Während des Zweiten Weltkriegs hatten die Alliierten USA und UdSSR als einen der Kriegsgründe gemeinsam den wirtschaftlichen Imperialismus Nazideutschlands angesehen. Für die Planung und Durchführung dieses verbrecherischen Krieges wurde den Großindustriellen eine Schlüsselrolle zugerechnet. Die amerikanische Sicht war dabei vom I.G.-Farben-Bericht der Kilgore-Kommission und der Deutschlandbeschreibung Behemoth des Politikwissenschaftler Franz Neumann beeinflusst und man wollte die Großindustriellen dafür strafrechtlich zur Verantwortung ziehen und deren Kartelle zerschlagen.[1]

Luftaufnahme KZ Monowitz (Auschwitz III), Januar 1945

Die I.G. Farben war von den Nationalsozialisten zum Führen eines Angriffskrieges benötigt worden, hatte sich durch die Plünderung und Aneignung fremden Eigentums in Deutschland und den besetzten Gebieten bereichert, Zyklon B an die Konzentrations- und Vernichtungslager geliefert, von Menschenversuchen in Konzentrationslagern profitiert und zum Kriegsende zahlreiche Zwangsarbeiter beschäftigt sowie das KZ Monowitz (Auschwitz III) errichtet, um Arbeitskräfte für die neu errichteten Buna-Werke verfügbar zu haben. Dabei hatten die Konzernführer, die ganz überwiegend keine überzeugten Nationalsozialisten waren, die Gewinne seit 1933 um das fünffache gesteigert.[2]

Schon im April 1945 bezogen Ermittler der Finance Division General Eisenhowers das I.G.-Farben-Gebäude in Frankfurt, um belastendes Material zu sammeln, das die Verstrickung der I.G. Farben in den nationalsozialistischen Unrechtsstaat in einem öffentlichen Strafverfahren sichtbar machen sollte. Mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 9 wurde das gesamte Vermögen der I.G. Farben beschlagnahmt.[3]

Nach dem Potsdamer Abkommen vom August 1945 sollte Deutschland demokratisiert, denazifiziert, demilitarisiert und dekartelliert werden, um den moralischen und ökonomischen Neuaufbau durch einen Elitenwechsel zu fundieren. Im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher waren wichtige juristische Richtlinienentscheidungen zum Zwangsarbeitereinsatz (als verbrecherischem „Sklavenarbeits“-Programm) und zur SS als verbrecherischer Organisation gefällt worden. Es war aber kein Industrieller verurteilt worden, da der einzige angeklagte Privatindustrielle durch einen Fehler der verhandlungsunfähige schwerkranke Gustav Krupp war. Ein zweiter internationaler Hauptkriegsverbrecherprozess konzentriert auf die Wirtschaft wurde aus finanziellen Gründen und weil man den Sowjets keine Möglichkeit für ein Tribunal gegen das kapitalistische System bieten wollte, verworfen. Durch die Hinwendung zur Reintegration Deutschlands als Bollwerk gegen den Kommunismus im Rahmen des Marshallplans, wurden die Mittel für die Industriellen-Prozesse gekürzt und es wurden nur noch die Prozesse gegen Mitglieder von Flick, I.G. Farben und Krupp vor einem Nationalen Militär Tribunal (NMT) der Amerikaner sowie im Fall des Röchling-Konzerns vor einem französischen Tribunal durchgeführt.[4]

Der Prozess Vereinigte Staaten gegen Carl Krauch et al. fand vom 14. August 1947 bis zum 30. Juli 1948 vor dem nationalen amerikanischen Nürnberger Militärtribunal VI nach Kontrollratsgesetz Nr. 10 im Nürnberger Justizpalast statt.

Die Anklagepunkte

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Angeklagte bei der Verlesung der Anklageschrift, 5. Mai 1947

Aufgrund der Anklageschrift vom 3. Mai 1947 wurde eine Anklage in den folgenden Punkten erhoben:

  1. Verbrechen gegen den Frieden durch Planung, Vorbereitung, Einleitung und Führung von Angriffskriegen und Invasionen anderer Länder
  2. Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch Plünderung und Raub öffentlichen und privaten Eigentums in kriegerisch besetzten Ländern
  3. Versklavung der Zivilbevölkerung in von Deutschland besetzten oder kontrollierten Gebieten, Einziehung dieser Zivilisten zur Zwangsarbeit, Teilnahme an der Versklavung von Konzentrationslagerinsassen innerhalb Deutschlands, an der völkerrechtswidrigen Verwendung von Kriegsgefangenen bei Kriegshandlungen, Misshandlung, Einschüchterung, Folterung und Ermordung versklavter Menschen
  4. Mitgliedschaft von drei Vorstandsmitgliedern (Christian Schneider, Heinrich Bütefisch, Erich von der Heyde) in der SS, die vom Internationalen Militärtribunal im vorangegangenen Hauptprozess als verbrecherische Organisation eingestuft worden war
  5. Verschwörung zur Begehung von Verbrechen gegen den Frieden

Die Jury bestand aus den folgenden Persönlichkeiten:

Die Angeklagten

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Gegen 23 Personen wurde Anklage erhoben. Die Tabelle stellt die wichtigsten Daten zusammen, darunter die Urteile zu den einzelnen Anklagepunkten (S – schuldig, U – unschuldig), Strafmaß und Jahr der Entlassung.[5]

Übersicht der Angeklagten
Bild Angeklagter
Funktion
Verteidiger Assistent des Verteidigers Anklagepunkte Strafmaß
Entlassung
Nachfolgende Tätigkeiten
I II III IV V
Carl Krauch
* 1887; † 1968
Aufsichtsratsvorsitzender der I.G. Farben
Conrad Böttcher Eduard Wahl (bis 3. September 1947)[6],
Heinrich von Rospatt (ab 11. September 1947)
U U S - U 6 Jahre
1950 entlassen 
1955 Aufsichtsratsmitglied der Hüls GmbH
Otto Ambros
* 1901; † 1990
Vorstandsmitglied der I.G. Farben, Planung IG Auschwitz
Friedrich Drischel (bis 15. Dezember 1947),
Karl Hoffmann (ab 15. Dezember 1947)
Gernot Gather (bis 9. September 1947),
Wolfgang Alter (ab 9. September 1947),
Hermann Münzel (vom 2. April 1948 bis 15. Juni 1948)
U U S - U 8 Jahre
1952 entlassen
ab 1954 diverse Vorstandsfunktionen in der Pharmaindustrie und anderen Bereichen, z. B. Grünenthal GmbH, oder als Berater für F. K. Flick
Ernst Bürgin
* 1885; † 1966
Vorstandsmitglied der I.G. Farben
Werner Schubert Wolfgang Theobald U S U - U 2 Jahre
1949 entlassen
?
Heinrich Bütefisch
* 1894; † 1969
Vorstandsmitglied der I.G. Farben, Benzin-Synthese IG Auschwitz
Hans Flächsner Heinz Reintges (bis 8. Januar 1948),
Werner Bross (ab 8. Januar 1948)
U U S U U 6 Jahre
1951 entlassen
1952 Aufsichtsratsmitglied u. a. von Ruhrchemie und Deutsche Gasolin AG
Walter Dürrfeld
* 1899; † 1967
Betriebsführer Buna-Werk im KZ Auschwitz III - Monowitz
Alfred Seidl Heinz Trabandt U U S - U 8 Jahre
1951 entlassen
mehrere Aufsichtsratsmandate
Fritz Gajewski
* 1885; † 1965
Vorstandsmitglied I.G. Farben, Kontakt zu Dynamit Nobel AG
Ernst Achenbach (bis 1. Februar 1948),

Wolfram von Metzler (ab 1. Februar 1948)

Carl Weyer U U U - U Freispruch 1949 Geschäftsführer und 1952 Vorstandsvorsitzender Dynamit Nobel AG
Heinrich Gattineau
* 1905; † 1985
SA-Führer, Direktor der I.G. Farben
Rudolf Aschenauer Helmut Dürr U U U - U Freispruch u. a. im Vorstand der WASAG-Chemie AG (Krupp-Konzern)
Paul Häfliger
* 1886; † 1950
Vorstandsmitglied der I.G. Farben
Walter Vinassa (bis 28. Januar 1948), Wolfram von Metzler (ab 28. Januar 1948) Wolfram von Metzler (bis 28. Januar 1948), Walter Vinassa (ab 28. Januar 1948) U S U - U 2 Jahre
1948 entlassen
Erich von der Heyde
* 1900; † 1984
SS-Hauptscharführer, Agrarwissenschaftler bei den I.G. Farben
Karl Hoffmann Walter Bachem (ab 22. August 1947),
Josef Kössl (ab 2. April 1948)
U U U U U Freispruch
Heinrich Hörlein
* 1882; † 1954
Vorstandsmitglied der I.G. Farben, Aufsichtsratsvorsitzender der Behringwerke und der DeGeSch
Fritz Sauter (bis 26. Mai 1947), Otto Nelte (ab 26. Mai 1947)
Heinrich Hendus (vom 2. April 1948 bis 5. Mai 1948),
Ernst Braune (vom 5. Mai 1948 bis 12. Juni 1948)
U U U - U Freispruch 1952 Aufsichtsratsvorsitzender der Bayer AG, Senator bei der Max-Planck-Gesellschaft
Max Ilgner
* 1899; † 1966
Vorstandsmitglied der I.G. Farben
Hans Laternser (bis 13. August 1947),
Herbert Nath (ab 13. August 1947)
Walter Bachem (bis 22. August 1947),
Joachim Lingenberg (ab 22. August 1947),
Agnes Nath-Schreiber (ab 13. Januar 1948)
U S U - U 3 Jahre
1948 entlassen
im Auftrag der Evangelischen Kirche Deutschlands tätig, u. a Planung und Oberaufsicht der Flüchtlingsstadt Espelkamp
Friedrich Jähne
* 1879; † 1965
Vorstandsmitglied I.G. Farben, Chefingenieur
Oskar Krauss (bis 3. Dezember 1947),
Hans Pribilla (bis 3. Dezember 1947)
Adolf P. Eisemannn (ab 21. November 1947),

Oskar Krauss (vom 3. Dezember 1947 bis 31. Mai 1948)

U S U - U 1½ Jahre
1948 entlassen
1955 Aufsichtsratsmitglied der „neuen“ Farbwerke Hoechst
August von Knieriem
* 1887; † 1978
Jurist und Wirtschaftsführer
Horst Pelckmann Friedrich Silcher U U U - U Freispruch 1950 Berater beim Wiederaufbau der BASF, ab 1955 Aufsichtsratsvorsitzender der I.G. Farbenindustrie i. L.[7]
Hans Kugler
* 1900; † 1968
Leitender Angestellter I.G. Farben; Beirat für Exportfragen der Prüfungsstelle Chemie
Helmut Henze Heinrich von Rospatt (bis 11. September 1947),
Leopold Krafft von Dellmensingen (ab 13. Oktober 1947)
U S U - U 1½ Jahre
1948 entlassen
u. a. im Vorstand der Cassella Farbwerke Mainkur AG
Hans Kühne
* 1880; † 1969
Vorstandsmitglied I.G. Farben
Günther Lummert (bis 5. Mai 1948)
Herbert Nath (ab 5. Mai 1948)
Günther Hindemith,
Erna Kroen (ab 22. Juli 1947)
U U U - U Freispruch Beschäftigung bei Bayer in Elberfeld
Carl Lautenschläger
* 1888; † 1962
Wehrwirtschaftsführer
Fritz Sauter (bis 26. Mai 1947)
Hans Pribilla (ab 26. Mai 1947)
Helmut Eisenblätter U U U - U Freispruch übernahm die Leitung der Entnazifizierung des Werkes,
Wilhelm Rudolf Mann
* 1894; † 1992
Manager der I.G. Farben
Erich Berndt Rolf W. Müller (vom 22. August 1947 bis 17. Oktober 1947) U U U - U Freispruch 1949 Leiter des Verkaufs von Pharmazeutika bei Bayer AG
Fritz ter Meer
* 1884; † 1967
Vorstandsmitglied, Verwalter IG Auschwitz
Erich Berndt,

Martin Cremer (vom 13. Oktober 1947 bis 15. Dezember 1947),
Karl Bornemann (ab 15. Dezember 1947)

Christian Tuerck,
Karl Bornemann (vom 13. Oktober 1947 bis 15. Dezember 1947),
Hermann Münzel (vom 15. Dezember 1947 bis 1. April 1948),
Ernst Braune (vom 28. April 1948 bis 5. Mai 1948)
U S S - U 7 Jahre
1950 entlassen
1955 Aufsichtsratsmitglied der Bayer AG
Heinrich Oster
* 1878; † 1954
Vorstandsmitglied der I.G. Farben
Helmut Henze Wolfgang Heintzeler,
Gernot Gather (ab 9. September 1947)
U S U - U 2 Jahre
1949 entlassen
1949 Mitglied des Aufsichtsrats der Gelsenberg AG
Hermann Schmitz
* 1881; † 1960
Vorstandsvorsitzender I.G. Farben, Finanzchef
Otto Kranzbühler (bis 3. Oktober 1947),
Rudolf Dix (ab 3. Oktober 1947)
Hanns Gierlichs,
Günther Lummert (ab 4. Mai 1948)
U S U - U 4 Jahre
1949 entlassen
1952 Aufsichtsratsmitglied der Deutschen Bank Berlin West, 1956 Aufsichtsrats-Ehrenvorsitzender der Rheinischen Stahlwerke
Christian Schneider
* 1887; † 1972
Hauptbetriebsführer I.G. Farben
Hellmuth Dix Rupprecht Storkebaum U U U U U Freispruch Aufsichtsratsmitglied der Süddeutschen Kalkstickstoff-Werke AG in Trostberg und der Rheinauer Holzhydrolyse-GmbH, Mannheim[8]
Georg von Schnitzler
* 1884; † 1962
Vorstandsmitglied der I.G. Farben
Walter Siemers Rupprecht von Keller U S U - U 5 Jahre
1949 entlassen
Präsident der Deutsch-Ibero-Amerikanischen Gesellschaft
Carl Wurster
* 1900; † 1974
Vorstandsmitglied der I.G. Farben, Verwaltungsrat der DeGeSch
Friedrich Wagner Wolfgang Heintzeler (ab 8. September 1947) U U U - U Freispruch 1952 Vorstandsvorsitzender der „neuen“ BASF u. v. m.[9]

Strategie der Verteidigung

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Verteidigung stellte das Gericht in Frage, da es sich um Siegerjustiz handle, die gegen den Rechtsgrundsatz nullum crimen sine lege, nulla poena sine lege verstoße und auf einem unzulässigen nachträglichen Gesetz (ex post facto) beruhe. Das Verfahren benachteilige die Verteidigung gegenüber der Anklagevertretung und letztendlich gehe es nur darum, einen ganzen Berufsstand unter einem Kollektivvorwurf anzuklagen.[10]

Die Verteidigung bemühte sich, die individuelle Schuld an den zur Last gelegten Verbrechen zu leugnen und die Rolle der einzelnen Angeklagten als unbedeutend darzustellen. Bei belegten Straftaten wurde behauptet, unter Befehlsnotstand gehandelt zu haben, wobei die den Befehl erteilende Person mittlerweile jeweils verstorben sei.[11]

Verteidigung und Angeklagte scheuten sich offenbar unter der Anleitung von Fritz ter Meer nicht, Mitangeklagte und Zeugen massiv unter Druck zu setzen, gezielt zu lügen und Gefälligkeitsaussagen in Form von Affidavits vorzulegen.[12]

Einzelne Anklagepunkte und Urteil

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In den Anklagepunkten 1, 4 und 5 wurden alle Beschuldigten freigesprochen. Beim Freispruch in Punkt 1 – Mithilfe zur Aufrüstung und Unterstützung von Angriffskriegen – begründete das Gericht, dass die Teilnahme an der Wiederaufrüstung nicht strafbar sei. Den Angeklagten sei nicht nachgewiesen worden, dass sie von der Planung der Angriffskriege Kenntnis gehabt hätten. Damit entfiel auch die Anklage in Punkt 5, der Verschwörung zum Angriffskrieg.

Auch der Vorwurf der Anklage, die I.G. habe Hitlers Machtergreifung durch eine Spende gefördert, wurde vom Gericht nicht akzeptiert. Bei Hitlers Rede vor dem Industrie-Club Düsseldorf war keiner der führenden Männer der I.G. Farben anwesend, an einer Spendensammlung für die NSDAP habe sie sich zu einem Zeitpunkt beteiligt, als Hitler bereits Reichskanzler war.

Anklagepunkte 1 und 5: Planung, Vorbereitung und Durchführung von Angriffskriegen

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Anklage verwandte viel Zeit und Mühe darauf, die I.G.-Farben-Manager zu belangen, die die Angriffskriege erst ermöglicht hätten und denen es nach Eroberungen gelüstet hätte. Die Hürden für eine Verurteilung lagen durch die vorausgegangenen Freisprüche von Albert Speer und Hjalmar Schacht zu diesen Anklagepunkten im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess sehr hoch.[13]

Das Gericht sprach alle Angeklagten in den Punkten 1 und 5 frei. Sie hätten erstens keine Kenntnis von den Angriffsplänen der Reichsführung gehabt, zweitens seien solche Vorwürfe tatbeständlich auf die engste Führungsriege beschränkt und eine Massenbestrafung sei nicht aufgrund eines Kollektivvorwurfs möglich. Laut Gericht waren die Rollen der Angeklagten an der Planung und Durchführung der Angriffskriege die von Mitläufern und nicht von Führern.[14]

Anklagepunkt 2: Plünderung und Raub

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Zeuge Hans Wagner wird vor einem Konzernorganigramm vereidigt

Wie im Präzedenzfall Flick bei den Arisierungen sah das Gericht Eigentumsdelikte an öffentlichem oder privatem Besitz nicht als Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach Kontrollratsgesetz Nr. 10 an, sondern sah eine Zuständigkeit nur bei Raub, Plünderung und Ausbeutung nach der Haager Landkriegsordnung. Es sei daher nicht für Straftatbestände im Zusammenhang mit dem Anschluss Österreichs oder der Eingliederung des Sudetenlandes zuständig, da damals kein Kriegsrecht herrschte. In den besetzten und annektierten Gebieten bereicherte sich die I.G. Farben nach einem deutlich ausgearbeiteten Plan mit wechselnden und komplizierten Verträgen und baute ihr chemisches Unternehmen auf Kosten der früheren Eigentümer aus. Insgesamt konnten eine Reihe von Eigentumsdelikten in Polen, Norwegen und Frankreich mit Elsass-Lothringen als Kriegsverbrechen einzelnen Angeklagten nachgewiesen werden. Für schuldig wurden befunden: Schmitz, ter Meer, von Schnitzler, Ilgner, Bürgin, Häflinger, Oster, Jähne und Kugler. Für die Sowjetunion gab es zwar schon weitreichende Pläne zur Plünderung, die aber wegen der militärischen Niederlage nicht mehr realisiert werden konnten, so dass der Angeklagte Ambros freigesprochen wurde.[15]

Anklagepunkt 3: Zyklon B, Menschenversuche, Zwangsarbeit

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Zwangsarbeiter entladen Zement im Lager Monowitz

Das Gericht befand den Nachweis der Anklage überzeugend, dass die I.G. Farben über die Firma Deutsche Gesellschaft für Schädlingsbekämpfung an der Lieferung großer Mengen des Schädlingsbekämpfungsmittels Zyklon B an die SS beteiligt war, und dass das Gas bei der massenhaften Ermordung der Insassen von Konzentrationslagern Verwendung fand. Es betrachtete aber die Annahme der Anklage als ausgeschlossen, dass einer der Angeklagten Kenntnis von dieser bestimmungswidrigen Verwendung des Schädlingsbekämpfungsmittels gehabt hätte. Eine Einschätzung zu der inzwischen auch weite Teile der historischen Forschung gekommen sind.[16]

Medikamente der I.G. Farben wurden zu Menschenversuchen in Konzentrationslagern verwendet und die Testergebnisse dem Konzern zur Verfügung gestellt. Im Prozess konnte nicht zweifelsfrei belegt werden, dass Angeklagte von der rechtswidrigen Verwendung Kenntnis hatten, so dass kein Schuldspruch erfolgte. Nach Einschätzung der historischen Forschung wussten einige Verantwortliche über die Menschenexperimente Bescheid, billigten sie auch und haben sich damit strafbar gemacht.[17]

Anklagepunkt 4: Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Organisation

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher war die SS als verbrecherische Organisation eingestuft worden. Alle drei Angeklagten im I.G.-Farben-Prozess, denen die Mitgliedschaft in dieser Organisation vorgeworfen wurde, wurden in diesem Anklagepunkt freigesprochen. Schneider war nur zahlendes Mitglied. Von der Heyde war nur bei der Reiter-SS, die nicht zu den kriminellen Organisationen gerechnet wurde. Bütefisch war nur Ehrenmitglied, ohne je eine Funktion wahrgenommen und den Eid geleistet zu haben; das Tragen der Uniform hatte er verweigert.[18]

Die Verurteilten wurden, soweit ihre Strafzeit nicht bereits durch die Untersuchungshaft abgebüßt war, in das Landsberger Gefängnis gebracht.

Sämtliche zu Haftstrafen verurteilten Angeklagten wurden vorzeitig aus der Haft entlassen. Wann die letzten Inhaftierten entlassen wurden, ist nicht eindeutig geklärt. In der geläufigen Literatur ist jedoch meist von 1952 oder 1951 die Rede. Die meisten Angeklagten hatten bald wieder Posten in der Industrie inne.

  • Jens Ulrich Heine: Verstand & Schicksal. Die Männer der I.G. Farbenindustrie A.G. (1925–1945) in 161 Kurzbiographien. Verlag Chemie, Weinheim u. a. 1990, ISBN 3-527-28144-4.
  • Florian Jeßberger: Von den Ursprüngen eines „Wirtschaftsvölkerstrafrechts“: Die I. G. Farben vor Gericht. In: Juristenzeitung. 2009, S. 924–932.
  • Stephan H. Lindner: Das Urteil im I.G.-Farben-Prozess. In: Kim C. Priemel, Alexa Stiller (Hrsg.): NMT – Die Nürnberger Militärtribunale zwischen Geschichte, Gerechtigkeit und Rechtschöpfung. Hamburger Edition, Hamburg 2013, ISBN 978-3-86854-577-7, S. 405 ff.
  • Stephan H. Lindner: Aufrüstung – Ausbeutung – Auschwitz. Eine Geschichte des I.G.-Farben-Prozesses. Wallstein, Göttingen 2020, ISBN 978-3-8353-3686-5
  • Udo Walendy (Hrsg.): Auschwitz im IG-Farben-Prozess. Holocaust-Dokumente? Verlag für Volkstum u. Zeitgeschichtsforschung, Vlotho/Weser 1981, ISBN 3-922252-15-X.

Englisch

  • The IG Farben Trial. The United States of America vs. Carl Krauch et al. US Military Tribunal Nuremberg, Judgment of 30 July 1948. Das Urteil im I.G.-Farben-Prozess, englisch (PDF, 181 Seiten; 1,3 MB).
  • Grietje Baars: Capitalism’s Victor’s Justice? The Hidden Stories Behind the Prosecution of Industrialists Post-WWII. In: The Hidden Histories of War Crime Trials. Hrsg.: Heller und Simpson, Oxford University Press 2013, ISBN 978-0-19-967114-4, S. 163 ff.
  • Office of Military Government for Germany, United States (OMGUS): Ermittlungen gegen die I.G. Farbenindustrie AG. September 1945. Übersetzt und bearbeitet von der Dokumentationsstelle zur NS-Sozialpolitik Hamburg. Greno, Nördlingen 1986, ISBN 3-89190-019-8.
  • Mark E. Spicka: The Devil’s Chemists on Trial: The American Prosecution of I. G. Farben at Nuremberg. The Historian, Vol. 61, Nr. 4, S. 865–882.
Commons: I.G.-Farben-Prozess – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
  1. Grietje Baars: Capitalism’s Victor’s Justice? The Hidden Stories Behind the Prosecution of Industrialists Post-WWII. In: The Hidden Histories of War Crime Trials. Hrsg.: Heller und Simpson, Oxford University Press 2013, ISBN 978-0-19-967114-4, S. 163, 169 f.
  2. Florian Jeßberger: Die I. G. Farben vor Gericht, S. 925.
  3. Florian Jeßberger: Die I. G. Farben vor Gericht, S. 925.
  4. Kim Christian Priemel: Flick – Eine Konzerngeschichte vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik. Wallstein 2007. ISBN 978-3-8353-0219-8, S. 616 ff.
  5. Priemel und Stiller: NMT – Die Nürnberger Militärtribunale zwischen Geschichte, Gerechtigkeit und Rechtschöpfung. Hamburger Edition 2013, ISBN 978-3-86854-577-7, S. 773 ff.
  6. Wahl war ab 3. September 1947 Special Counsel für alle Angeklagten für Fragen des internationalen Rechts.
  7. August von Knieriem bei wollheim-memorial.de.
  8. Christian Schneider bei wollheim-memorial.de.
  9. 1945–1955: Nürnberger Prozesse und Entflechtung der I.G. Farben (Memento vom 2. April 2015 im Internet Archive)
  10. Stephan H. Lindner: Das Urteil im I.G.-Farben-Prozess, S. 415.
  11. Stephan H. Lindner: Das Urteil im I.G.-Farben-Prozess, S. 411 f.
  12. Stephan H. Lindner: Das Urteil im I.G.-Farben-Prozess, S. 412 f.
  13. Stephan H. Lindner: Das Urteil im I.G.-Farben-Prozess, S. 408 f.
  14. Florian Jeßberger: Die I. G. Farben vor Gericht, S. 927.
  15. Stephan H. Lindner: Das Urteil im I.G.-Farben-Prozess, S. 418.
  16. Stephan H. Lindner: Das Urteil im I.G.-Farben-Prozess, S. 420.
  17. Stephan H. Lindner: Das Urteil im I.G.-Farben-Prozess, S. 420 f.
  18. Kevin Jon Heller: The Nuremberg Military Tribunals and the Origins of International Criminal Law. Oxford University Press, 2011, ISBN 978-0-19-955431-7, S. 292 ff.