Kontingenz (Philosophie)

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Das Substantiv Kontingenz mit dem Adjektiv kontingent (altgriechisch ἐνδεχόμενα endechómena „etwas, was möglich ist“; mittellateinisch contingentia „Möglichkeit, Zufall“) ist ein philosophischer Terminus, der unter anderem in der Modallogik und Ontologie gebraucht wird. Im modallogischen Sinn ist eine Proposition kontingent, wenn sie weder notwendig noch unmöglich ist. Im ontologischen Sinn bezeichnet „Kontingenz“ den Status von Entitäten, deren Existenz oder Nicht-Existenz weder notwendig noch unmöglich ist.[1][2] Daran anknüpfend beziehen sich Redeweisen wie „kontingentes Sein“, auch etwa im Kontext der Religionsphilosophie und Fundamentalphilosophie, auf eine Abhängigkeit von Vorursachen dafür, dass eine Sache bzw. ein Sachverhalt überhaupt ist und so ist, wie diese bzw. dieser ist.

Modallogische Definition[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Sprache der Modallogik erlaubt es, formal über Möglichkeit () und Notwendigkeit () zu sprechen. drückt aus, dass möglicherweise wahr ist.

A heißt nun kontingent (kont), wenn sowohl A als auch nicht-A möglich ist:

Kontingenz kann also als eine besonders offene Form der Möglichkeit angesehen werden.

Zufall[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Da der Begriff der Kontingenz schwer zu fassen ist, wurden in der Philosophiegeschichte Aussagen über das Verhältnis von Zufall, Wahrscheinlichkeit und Kontingenz aufgestellt. Aus Sicht der heutigen Modallogik hat Kontingenz allerdings nichts mit Wahrscheinlichkeit zu tun.

In der neueren Philosophie ist die „Kontingenztheorie der Wahrheit“ des US-amerikanischen Neopragmatikers und Skeptikers Richard Rorty von Bedeutung: Er schließt zwar die Möglichkeit, innerhalb von Begriffsystemen Wahrheit abzubilden, nicht prinzipiell aus. Rorty erklärt jedoch jede Reflexion darauf, wie sich ein solcher Wahrheitsstatus generieren ließe, für müßig. Damit behauptet er in polemischer Stellung gegen insbesondere den klassischen Idealismus und Realismus, dass Wahrheit letztlich nicht nur ein zufälliger, sondern zudem auch ein willkürlicher Modus der Rede sei.

Kontingenz-Gottesbeweis[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einer der Gottesbeweise ist ein Kontingenzbeweis. Dieser ist in der Natürlichen Theologie ausgearbeitet worden. Da nichts Zeitliches, Veränderliches, Abhängiges aus eigener Wesensnotwendigkeit existiere, müsse Gott als einziges absolutes, nicht wesenskontingentes Sein (Aseität) existieren.

Unverfügbarkeit und Widerfahrnis[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der Philosophie und Anthropologie wird Kontingenz als Unverfügbarkeit und Widerfahrnis verstanden. Bestimmte Ereignisse können wir nicht beeinflussen. Sie erscheinen, etwa wie die von Hannah Arendt in Vita activa oder Vom tätigen Leben beschriebene, mühevolle Arbeit, als Widerfahrnisse. Nach Wilhelm Kamlah unterliegen Widerfahrnisse der Kontingenz. In der stoischen Philosophie sind das Unverfügbare sowie das Unbeeinflussbare nicht glücksrelevant.

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Hans Blumenberg: Kontingenz. In: Kurt Galling (Hrg.): Die Religion in Geschichte und Gegenwart. Handwörterbuch für Theologie und Religionswissenschaft. 3. Auflage. Band 3. Mohr, Tübingen 1959, Sp. 1793–1794.
  • Alberto Cevolini (Hrsg.): Die Ordnung des Kontingenten. Beiträge zur zahlenmäßigen Selbstbeschreibung der modernen Gesellschaft. Springer VS, Wiesbaden 2014.
  • Ingolf U. Dalferth, Philipp Stoellger (Hrsg.): Vernunft, Kontingenz und Gott. Konstellationen eines offenen Problems. Mohr Siebeck, Tübingen 2000, ISBN 978-3-16-147365-4.
  • Elena Esposito: Algorithmische Kontingenz. Der Umgang mit Unsicherheit im Web. In: Alberto Cevolini (Hrsg.): Die Ordnung des Kontingenten. Beiträge zur zahlenmäßigen Selbstbeschreibung der modernen Gesellschaft. Springer VS, Wiesbaden 2014.
  • Konrad Goehl, Johannes Gottfried Mayer: Deus in cogitatione existens. Der Appendix zum „Proslogion“ des Anselm von Canterbury – oder: Kann Gaunilos Nicht-Sein gedacht werden? In: Konrad Goehl, Johannes Gottfried Mayer (Hrsg.): Editionen und Studien zur lateinischen und deutschen Fachprosa des Mittelalters. Festgabe für Gundolf Keil zum 65. Geburtstag. Königshausen & Neumann, Würzburg 2000 (= Texte und Wissen. Band 3), ISBN 3-8260-1851-6, S. 339–402, hier: S. 348–397, passim.
  • Arnd Hoffmann: Zufall und Kontingenz in der Geschichtstheorie. Klostermann, Frankfurt 2005, ISBN 978-3-46503369-1
  • Andreas Niederberger: Kontingenz und Vernunft. Grundlagen einer Theorie kommunikativen Handelns im Anschluss an Habermas und Merleau-Ponty. Alber, Freiburg 2007, ISBN 978-3-495-48233-9.
  • Reto Rössler, Tim Sparenberg, Philipp Weber (Hrsg.): Kosmos und Kontingenz. Eine Gegengeschichte. Wilhelm Fink, Paderborn 2016, ISBN 978-3-7705-5885-8.
  • Richard Rorty: Kontingenz, Ironie und Solidarität. Übersetzt von Christa Krüger. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1992, ISBN 3-518-28581-5.
  • Kurt Wuchterl: Kontingenz oder das Andere der Vernunft. Zum Verhältnis von Philosophie, Naturwissenschaft und Religion. Steiner, Stuttgart 2011, ISBN 978-3-51509857-1. (Inhalt und Einleitung; PDF-Datei; 171 kB)

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Peter Schulthess: Kein Zufall: Konzeptionen von Kontingenz in der mittelalterlichen Literatur. Hrsg.: Cornelia Herberichs, Susanne Reichlin. Vandenhoeck & Ruprecht, ISBN 978-3-647-36713-2, Kontingenz: Begriffsanalytisches und grundlegende Positionen in der Philosophie im Mittelalter (uzh.ch [PDF]).
  2. Christopher Menzel: Actualism > Problems with the Actualist Accounts. In: Stanford Encyclopedia of Philosophy. Abgerufen am 12. Mai 2021.