Mikrofluidik

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Die Mikrofluidik beschäftigt sich mit dem Verhalten von Flüssigkeiten und Gasen auf kleinstem Raum. Dieses kann sich wesentlich von dem Verhalten makroskopischer Fluide unterscheiden, weil in dieser Größenordnung Effekte dominieren können, welche in der klassischen Strömungslehre oft vernachlässigt werden.

Technik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mikrofluidik-Geräte aus Silikon und Glas.
Oben: Bild der Teile
Unten: Foto und Mikroskopische Aufnahme eines Kanals von 15 µm Breite

Kleinste Mengen von Fluiden werden bewegt, gemischt, getrennt oder anderweitig prozessiert.

Besonderheiten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Reibungskräfte dominieren die Trägheitskräfte. Das entspricht einer Strömung bei kleinen Reynoldszahlen, es entsteht eine laminare Strömung ohne nennenswerte Turbulenzen. Dies erschwert das Mischen von Flüssigkeiten, welches ohne Turbulenz nur noch durch Diffusion möglich ist.
  • Die mögliche Dominanz von Kapillarkräften gegenüber der Gewichtskraft. Dies drückt sich in einer kleinen Bond-Zahl aus und führt dazu, dass beim Transport sehr kleiner Flüssigkeitsmengen entgegen der Alltagserfahrung die Schwerkraft vernachlässigt werden kann.

Passive Bewegung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Passive Bewegung kann beispielsweise über kapillare Fluidstrukturen erzeugt werden. Zusätzlich können auch externe Antriebsmechanismen wie z. B. rotierende Systeme zum Einsatz kommen, durch welche die Nutzung der Zentrifugalkraft als Antrieb des Flüssigkeitstransports möglich wird. Damit kann in rein passiven Fluidiksystemen eine gezielte Führung des Medientransports erreicht werden.

Aktive Bewegung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Von einer „aktiven Mikrofluidik“ wird gesprochen, wenn die Manipulation der Arbeitsflüssigkeiten durch aktive (Mikro-)Komponenten wie durch Mikropumpen oder Mikroventile[1] gezielt gesteuert werden. Mikropumpen fördern oder dosieren Flüssigkeiten, Mikroventile bestimmen die Richtung bzw. den Bewegungsmodus von gepumpten Medien.[2] Mikromischer ermöglichen ein gezieltes Vermengen von Fluidvolumina.

Konstruktion[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Entsprechend der Anwendung/ Anforderung kommen unterschiedliche Technologien und Materialgruppen zum Einsatz, wie beispielsweise Glas (auch fotostrukturierbares Glas wie zum Beispiel Foturan), Kunststoff oder Silizium. Durch die fortgeschrittene Technik ist es inzwischen möglich, mikrofluidische Produkte sehr preiswert automatisiert herzustellen[3] und deren Qualität zu sichern.[4]

Prototyping[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Für die Herstellung von Prototypen wird häufig Polydimethylsiloxan (PDMS) mit Glas verbunden (siehe Rapid Prototyping), oder es werden zwei individuelle PDMS Halbteile miteinander verbunden, nachdem die Oberflächen mit reaktivem Sauerstoffplasma aktiviert, bzw. radikalisiert wurden. Eine neue Methode erlaubt auch, PDMS-PDMS Hybride zu machen, welche klare Seitenflächen haben[5] und damit multi-angle imaging ermöglichen. Die schnelle Herstellung von Prototypen für die Mikrofluidik mit einem speziellen Epoxy-Harz (SU-8) ist inzwischen auch mit einem 3D-Drucker möglich. Die Präzision des Verfahrens wird mit einem Musterstück, einem 24-Düsen-Druckkopf mit 100 µm-Düsen unter Beweis gestellt.[6] Generell geht man seit 2016 davon aus, dass die aufwändige, weil mit viel Handarbeit verbundene Konstruktion von Mikrofluidik-Elementen aus PDMS vollständig durch Produkte aus dem 3D-Drucker ersetzt werden wird.[7]

Die technische Dokumentation wesentlicher Bauteile ist inzwischen als Open Science Hardware verfügbar, nutz- und modifizierbar.[8]

Anwendungsgebiete[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Anwendungen finden sich in vielen Gebieten der Biologie, Medizin und Technik, häufig unter dem Label Chip-Labor. Die heute bekannteste Anwendung der Mikrofluidik ist der Druckkopf für Tintendrucker.[9]

Zellkulturen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In mikrofluidischen Bauteilen werden einzelne Zellen, aber auch komplette Gewebe oder Organteile kultiviert und analysiert.

Medikamentenforschung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Bei der Erforschung neuer Medikamente wird Mikrofluidik erfolgreich eingesetzt.[10][11]

Schnelltests[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Technische Anwendungen gibt es in der Biotechnologie, Medizintechnik (speziell für point-of-care Diagnostik)[12]

Weitere Anwendungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weitere technische Anwendungen finden sich in Prozesstechnik, Sensortechnik, Pharma- und Lebensmittelindustrie sowie in der Lebensmittelanalytik[13]

Form der Anwendung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Oft können Verfahren, die sonst in einem Labor durchgeführt werden, zur Steigerung der Effizienz und der Mobilität oder zur Verringerung der benötigten Substanzen auf einem einzelnen Chip, dem sogenannten Chiplabor, durchgeführt werden.

Tropfenbasierte Mikrofluidik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Werden zwei nichtmischbare Flüssigkeiten gezielt durch einen Mikrokanal geschickt, so bilden sich Phasengrenzen aus und eine Flüssigkeit bildet Tropfen innerhalb der anderen. Dies bezeichnet man als tropfenbasierte Mikrofluidik oder digitale Mikrofluidik. Die tropfenbasierte Mikrofluidik stellt eine (teil-)serielle Alternative zu Mikrotiterplatten dar. Üblicherweise werden ganze Sequenzen von Tropfen erzeugt. Diese Tropfen stellen Versuchsgefäße dar, in denen chemische Reaktionen und biologische Prozesse untersucht werden.[14] Auch für die logische Informationsverarbeitung können sie verwendet werden.[15]

Mikrofluidsegmenttechnik[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Mikrofluidsegmenttechnik ist ein Spezialfall der tropfenbasierten Mikrofluidik. Sie wird u. a. für Partikelsynthesen, für kombinatorische Syntheseexperimente, in Durchfluss-Thermocyclern für die Polymerase-Kettenreaktion (PCR), in der Mikrodurchfluss-Kalorimetrie, für die Suche nach unbekannten Mikroorganismen und in der Mikrotoxikologie eingesetzt.[16]

Siehe auch[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Matilda Jordanova-Duda: Ein starkes Gedächtnis: Formgedächnislegierung (FGL) als mini-Aktor. VDI-Nachrichten, 2. Mai 2019, archiviert vom Original am 3. Mai 2019; abgerufen am 12. Januar 2020.
  2. Gerhard Vogel: Mini-Ventile: Spezielle Lösung für kleinste Medizinprodukte. Medizin & Technik, 12. Februar 2018, abgerufen am 11. Juni 2019.
  3. Ryan Pawell, David W. Inglis, Tracie J. Barber: Manufacturing and wetting low-cost microfluidic cell separation devices. In: Biomicrofluidics. 5. Auflage. Nr. 7, 2013, S. 056501, doi:10.1063/1.4821315 (englisch, researchgate.net).
  4. Ryan Pawell, Robert A. Taylor, Kevin V. Morris et al.: Automating microfluidic part verification. In: Microfluidics and Nanofluidics. 4. Auflage. Nr. 18, 2015, S. 657–665, doi:10.1007/s10404-014-1464-1 (englisch).
  5. Axel Hochstetter: Presegmentation Procedure Generates Smooth-Sided Microfluidic Devices: Unlocking Multiangle Imaging for Everyone? In: ACS Omega. 2. Dezember 2019, ISSN 2470-1343, S. 20972–20977, doi:10.1021/acsomega.9b02139 (englisch, acs.org [PDF; 3,9 MB; abgerufen am 11. Dezember 2019]).
  6. Benjamin Bohl, Reinhard Steger, Roland Zengerle, Peter Koltay: Multi-layer SU-8 lift-off technology for microfluidic devices. In: Journal of Micromechanics and Microengineering. 15. Auflage. Nr. 6, April 2005, doi:10.1088/0960-1317/15/6/002 (englisch, iop.org).
  7. Anthony K. Au, Wilson Huynh, Lisa F. Horowitz, Albert Folch: 3D-Printed Microfluidics. (PDF ; 15.148kByte) Februar 2016, abgerufen am 10. Februar 2020 (englisch).
  8. Victoria Guglielmotti, Nicolás Andrés Saffioti, Ana Laura Tohmé, Martín Gambarotta, Gastón Corthey: A portable and affordable aligner for the assembly of microfluidic devices. In: HardwareX. August 2022, S. e00348, doi:10.1016/j.ohx.2022.e00348 (elsevier.com [abgerufen am 30. August 2022]).
  9. Andrew J. deMello: Control and detection of chemical reactions in microfluidic systems. In: Nature. Nr. 442, Juli 2006, S. 394–402, doi:10.1038/nature05062 (englisch).
  10. C. Regnault, D.S. Dheeman, A. Hochstetter: Microfluidic Devices for Drug Assays. In: High-Throughput. 2. Auflage. Nr. 2, 20. Juni 2018, doi:10.3390/ht7020018 (englisch, mdpi.com [abgerufen am 12. Januar 2020]).
  11. Eric W. Esch, Anthony Bahinski, Dongeun Huh: Organs-on-chips at the frontiers of drug discovery. In: Nature Reviews Drug Discovery. Band 14, 2015, S. 248–260, doi:10.1038/nrd4539 (englisch).
  12. Michael P. Barrett, Jonathan M. Cooper et al.: Microfluidics-Based Approaches to the Isolation of African Trypanosomes. In: Pathogens. 4. Auflage. Nr. 6, 5. Oktober 2017, doi:10.3390/pathogens6040047 (englisch, mdpi.com [abgerufen am 12. Januar 2020]).
  13. Gerald Muschiolik (Hrsg.): Multiple Emulsionen-Herstellung und Eigenschaften. 2. Auflage. Behr’s Verlag, Hamburg 2022, ISBN 978-3-95468-865-4.
  14. Karin Martin, Thomas Henkel et al.: Generation of larger numbers of separated microbial populations by cultivation in segmented-flow microdevices. In: Lab on a Chip. Nr. 3, 3. Juni 2003, S. 202–203, doi:10.1039/b301258c (englisch, rsc.org [abgerufen am 12. Januar 2020]).
  15. Manu Prakash, Neil Gershenfeld et al.: Microfluid Bubble Logic. In: Science. 5813. Auflage. Nr. 315, 9. Februar 2007, S. 832–835, doi:10.1126/science.1136907 (englisch, sciencemag.org [abgerufen am 12. Januar 2020]).
  16. Michael J. Köhler, Brian P. Cahill (Hrsg.): Micro-Segmented Flow. Springer, Berlin-Heidelberg 2014, ISBN 978-3-642-38779-1 (englisch).