Stadtguerilla

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Die Stadtguerilla ist eine Guerilla, die im städtischen/großstädtischen Umfeld operiert. Sie übernimmt Strategien und Methoden der Guerilla, die vornehmlich in ländlichen Regionen aktiv ist. Als ihr Erfinder gilt der irische Unabhängigkeitskämpfer Michael Collins.

Kennzeichnend für die Guerilla/Stadtguerilla ist, dass sie mit oft militanten Mitteln versucht, aus dem Untergrund oder der Illegalität heraus gegen bestimmte politische Entscheidungen, vielfach jedoch auch gegen ein politisches System insgesamt, und damit gegen eine herrschende Regierung Widerstand zu leisten und die eigenen politischen Konzepte und Ziele durchzusetzen, wo dies mit den Mitteln einer legalen Opposition nach Auffassung der militanten Kämpfer nicht möglich oder wirkungslos ist.

Die Mittel der Stadtguerilla sind vielfältig. Sie reichen von Öffentlichkeitsarbeit wie der Verbreitung von Flugschriften bis hin zu Sabotageakten und anderen gewaltsamen Anschlägen, zu denen auch Entführungen und politische Morde gehören können.

Die Methodik der so verstandenen Stadtguerilla wird von einer herrschenden Regierung in aller Regel mit Terrorismus gleichgesetzt. Die entsprechenden Gruppen gelten als terroristische Vereinigungen. Eine objektive Trennung zwischen illegitimem „Terrorismus“ und legitimem Freiheitskampf ist schwer zu vollziehen und abhängig vom politischen Standpunkt des Betrachters, siehe dazu auch die Darstellung im Artikel Terrorismus.

In der kubanischen Revolution (1953–1959) entstanden zwei unterschiedliche und sich innerhalb der „Bewegung des 26. Juli“ einander ergänzende und teilweise miteinander konkurrierende Widerstandsstrategien, die damals Llano und Sierra genannt wurden. Llano (Ebene oder Flachland) verwies auf den Vorrang und die Leitung des bewaffneten Kampfes in den kubanischen Städten. Sierra (Gebirge) stand hingegen für eine Kriegsführung durch die Kubanische Rebellenarmee, ausgehend vom unwegsamen Berg- und Binnenland.[1]

Ein weiterer Ursprung der Stadtguerilla lag im Uruguay der späten 1960er Jahre. Dort operierten die Tupamaros relativ erfolgreich in der Hauptstadt Montevideo. Sie machten das Konzept der Stadtguerilla weltweit bekannt. Ihr wichtigster Theoretiker war der spanische Staatsangehörige Abraham Guillén.

Auch in Argentinien bildete sich unter der Militärdiktatur eine Stadtguerilla, eine Anzahl von revolutionären Splittergruppen, die in Buenos Aires und auch in kleineren Städten operierten, so der Movimiento Peronista Montonero (Montoneros). Zwischen 1969 und 1971 gab es Massenaufstände in Cordoba, Rosario und Mendoza, die von der gewerkschaftlichen Basis getragen wurden, an denen aber auch die Stadtguerilla teilnahm. 1973 war diese Stadtguerilla schließlich der Träger des militanten Widerstandes gegen den immer reaktionäreren Kurs der neuen Regierung Peron.

In Brasilien entstand 1968 ebenfalls eine Stadtguerilla, die meist aus den kommunistischen Parteien hervorging. Sie trat mit Einzelaktionen in Erscheinung, Entführungen und Banküberfällen; ihr Theoretiker war Carlos Marighella, Mitbegründer der Ação Libertadora Nacional. Eine andere Gruppierung war das Comando de Libertação Nacional. Bekanntester Vertreter war Carlos Lamarca, ein ehemaliger Hauptmann des brasilianischen Heeres.

1965/66 begann die guatemaltekische Guerilla, den Schwerpunkt ihrer Operationen vom Land nach Guatemala-Stadt zu verlegen. Ihre Führer waren Luis Augusto Turcios Lima und El Chino Marco Antonio Yon Sosa.

Die Frente Sandinista de Liberación Nacional operierte bis 1977 nahezu ausschließlich als Stadtguerilla. Ihr wichtigster Theoretiker war Humberto Ortega.

Bereits Anfang der 1950er Jahre entwickelte die Anti-Apartheids-Bewegung den sogenannten Mandela-Plan, der den Untergrundkampf vor allem im urbanen Umfeld der Townships vorbereiten sollte. Später agierte der Umkhonto we Sizwe (MK), der bewaffnete Arm des ANC, teilweise als Stadtguerilla.

Aus losen, informellen, persönlichen und politischen Zusammenhängen, die als „Blues“ bezeichnet wurden,[2] entstanden im Herbst 1969 im Westteil Berlins die Tupamaros West-Berlin. Teile des „Blues“ schlossen sich im Januar 1972 zur Bewegung 2. Juni zusammen.[3] Diese Gruppen und auch die Veröffentlichung Das Konzept Stadtguerilla[4] der Rote Armee Fraktion (RAF) im April 1971 prägten den Begriff in der Bundesrepublik Deutschland. Die Stadtguerillataktik der RAF orientierte sich an Mao Zedongs Buch Theorie und Praxis des Guerillakrieges.[5] Allerdings wurden bei dieser Referenz ebenso wie beim Rekurs auf Lenin und Che Guevara die Vorbedingungen des bewaffneten Kampfes ignoriert: das Ausreizen legaler Möglichkeiten politischer Einflussnahme sowie eine ökonomische Analyse der Lebensbedingungen der Bevölkerung. So spielte etwa der Bezug auf die Bauernschaft, zentral für Guevara und Mao, bei der RAF keine Rolle, ebenso wenig konnte sie ein anderes revolutionäres Subjekt ausmachen, sondern setzte sich schlicht selbst an dessen Stelle. Die Theorie der Stadtguerilla war somit im deutschen Fall von einem enormen Voluntarismus gekennzeichnet, der absehbar zu Isolation und Scheitern beitrug.[6]

Einzelnachweise

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  1. Ernesto Che Guevara: Kubanisches Tagebuch. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008, S. 240.
  2. Michael Bommi Baumann: Wie alles anfing. Trikont Verlag, München 1975 (Reihe: Romane, Reportagen, Autobiographien) ISBN 3-920385-68-3.
  3. Ralf Reinders, Ronald Fritzsch: Die Bewegung 2. Juni. Gespräche über Haschrebellen, Lorenz-Entführung und Knast. Edition ID-Archiv, Berlin 1995, ISBN 3-89408-052-3 Online-Ausgabe (PDF und HTML) S. 38 ff.
  4. Martin Hoffmann (Hrsg.) Rote Armee Fraktion. Texte und Materialien zur Geschichte der RAF. ID-Verlag, Berlin 1997, ISBN 3-89408-065-5, S. 27 Download als PDF, oder: [1]
  5. Friedrich Schneider, Bernhard Hofer, Ursachen und Wirkungen des weltweiten Terrorismus, Springer Verlag 2008, S. 22.
  6. Robert Wolff: Das Konzept Stadtguerilla - Die Entzauberung kommunistischer Guerilla- und Revolutionstheorien?, in: Zauber der Theorie - Geschichte der Neuen Linken in Westdeutschland, Schwerpunktheft von Arbeit – Bewegung – Geschichte, Heft II/2018, S. 105–117.

Das „Standardwerk“ zur Stadtguerilla stammt von Carlos Marighella, der im Juni 1969 das „Handbuch der Stadtguerilla“ (Minimanual of the Urban Guerrilla (English, GFDL)) veröffentlichte.

  • Hans-Joachim Müller-Borchert: Guerilla im Industriestaat. Ziele, Ansatzpunkte und Erfolgsaussichten, Hamburg (Hoffmann und Campe) 1973. ISBN 978-3-455-09094-9
  • Ernesto Che Guevara: Stadt-Guerilla. Eine Methode, in: Joachim Schickel (Hg.): Guerrilleros, Partisanen. Theorie und Praxis, München (Carl Hanser Verlag) 1970, S. 175–177, Originaltext Guerra sub-urbana, in: La guerra de guerrillas, Havanna 1960, S. 52–56.
  • Thomas Fischer: Die Tupamaros in Uruguay. Das Modell der Stadtguerilla. In: Wolfgang Kraushaar (Hrsg.): Die RAF und der linke Terrorismus. Band 2. Hamburger Edition, Hamburg 2006, ISBN 978-3-936096-65-1, S. 736–750.
  • Werner Hahlweg: Stadtguerilla. In: Allgemeine Schweizerische Militärzeitschrift (1973), S. 580 ff., 650 ff.
  • Carlos Marighella: Minihandbuch des Stadtguerilleros in: Sozialistische Politik. Hrsg.: Otto-Suhr-Institut Berlin. 2. Jg., Nr. 6/7 1970, S. 143–166. (deutschsprachige Erstveröffentlichung)
  • Marcio M. Alves, Konrad Detrez, Carlos Marighella (Hrsg.): Zerschlagt die Wohlstandsinseln der Dritten Welt. Mit dem Handbuch der Guerilleros von São Paulo. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 1971 (Reihe: rororo aktuell 1453/1454), ISBN 3-499-11453-4.
  • Friedrich August von der Heydte: Der moderne Kleinkrieg als wehrpolitisches und militärisches Phänomen. Holzner-Verlag, Würzburg 1972.
  • Martin Oppenheimer: Stadt-Guerilla. Ullstein Verlag, Frankfurt am Main, Berlin und Wien 1971.
  • Alex Schubert: Stadtguerilla. Tupamaros in Uruguay - Rote Armee Fraktion in der Bundesrepublik, Berlin (Wagenbach) 1971. ISBN 3-8031-1026-2
  • Antonio Téllez: Sabaté. Stadtguerilla in Spanien nach dem Bürgerkrieg 1945-1960, München (Trikont-Verlag) 1974. ISBN 3-920385-67-5
  • Stichwort Urban guerrilla warfare, in: Ian F. W. Beckett: Encyclopedia of Guerilla Warfare, New York 2001, S. 248–250. ISBN 0-8160-4601-8
  • Robert Moss: Urban Guerrillas. The new face of political violence, London 1972. ISBN 0-85117-024-2
  • James Kohl/John Litt: Urban guerrilla warfare in Latin America, Cambridge, Mass. u. a. 1974. ISBN 0-262-11054-7
  • Jay Mallin: Terror and urban guerrillas. A study of tactics and documents, Coral Gables, Florida (University of Miami Press) 1971. ISBN 0-87024-223-7
  • Unterkapitel 31: Urban Guerrilla Wars, 1963-76, in: Robert L. Scheina: Latin America´s Wars, Vol. II: The Age of the Professional Soldier 1900-2001, Dulles, VA (Brassey´s Inc.) 2003, S. 289–300. ISBN 1-57488-450-6
  • Ernst Halperin: Terrorism in Latin America, Beverly Hills u. a. (Sage) 1976 (The Washington Papers Vol. 4, 33).
  • Oberstleutnant i. G. Elmar Dinter: Der Stadtguerilla. Aspekte des Guerillakampfes in den industrialisierten westlichen Demokratien, in: Truppenpraxis. Zeitschrift für Taktik, Technik und Ausbildung, H. 2 (Februar) 1976, S. 78–83.
  • Willi Baer/Karl-Heinz Dellwo (Hg.): The Weather Underground. Stadtguerilla in den USA, Hamburg 2010. ISBN 978-3-942281-75-1
  • Warren Hinckle: Guerilla-Krieg in USA, Stuttgart (Deutsche Verlags-Anstalt) 1971. ISBN 3-421-01592-9
  • Emile Marenssin: Stadtguerilla und soziale Revolution. Über den bewaffneten Kampf der Roten Armee Fraktion, ça ira-Verlag, Freiburg 2007. ISBN 3-924627-55-X
  • Humberto Ortega: Sobre la insurreccion, Havanna 1981, dt. Übersetzung Über den Aufstand, Frankfurt a. M. 1984 (Zambon-Verlag). ISBN 3-88975-010-9.
  • Walter Laqueur: Voices of terror. Manifestos, writings, and manuals of Al-Qaeda, Hamas and other terrorists from around the world and throughout the ages, New York, NY (Reed Press) 2004. ISBN 978-1-59429-035-0
  • Robert Wolff: Das Konzept Stadtguerilla - Die Entzauberung kommunistischer Guerilla- und Revolutionstheorien?, in: Zauber der Theorie - Geschichte der Neuen Linken in Westdeutschland, Schwerpunktheft von Arbeit – Bewegung – Geschichte, Heft II/2018, S. 105–117.