Suone
Van Wikipedia, de gratis encyclopedie
Suonen französisch le bisse), Wasserfuhren (Einzahl Wasserfuhre) oder Wasserleiten (Einzahl Wasserleite), sind historische bzw. noch bestehende Wasserleitungen im Schweizer Kanton Wallis. Thomas Platter aus dem Mattertal spricht in seiner Biografie aus dem 16. Jahrhundert über die Wasserleiten: «… wir uns vernarret hattend by einer wasserleitten, do man das wasser den bergen nach zu den güettren füert.»
(Einzahl Suon oder Suone), auch Bissen (Einzahl Bisse, vonFunktion
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Suonen sind als Freispiegelkanäle ausgeführt und dienen hauptsächlich der Bewässerung landwirtschaftlich genutzter Flächen. An den trockenen Südhängen sind deshalb mehr Suonen angelegt worden als an den Nordhängen. Die meisten Suonen sind 500 m bis 2 km lang, die längste Suone ist die 32 km lange Bisse de Saxon. Neben der Bewässerung wurden die Suonen auch als Trink- und Tränkewasserversorgung, zum Waschen und teilweise zum Ausbringen von Mist genutzt.[1]
- Teilabschnitt der Bisse de Saxon bei Haute-Nendaz
- Bisse de Trient unweit des Col de la Forclaz
- Bisse de Savièse mit dem Tunnel du Moujerin am Talhang der Morge
- Obere Wasserleite bei Niedergampel
Technik
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Da die Suonen als Wasserversorgung für die Kulturen und Dörfer sehr wichtig und deren Bau und Unterhalt sehr gefährlich waren, hatten die daran Arbeitenden eine wichtige Funktion und entsprechendes Ansehen in der Dorfgemeinschaft. Die Suonen überwinden teilweise grössere Hindernisse wie Felswände oder Geröllhalden, wofür über die Jahrhunderte spezielle Techniken entwickelt wurden. In den Felswänden verlaufen die Suonen in Holzkanälen, die zusammen mit einem Laufsteg an Balken aufgehängt sind. Die Balken sind in Löchern verkeilt, die in den Fels geschlagen sind. Zur Überwachung des Wasserflusses werden teilweise kleine Wasserräder verwendet, die einen auf ein Holz schlagenden Hammer antreiben. Die Hammerschläge können über grosse Entfernungen wahrgenommen werden und bestätigen den Wasserfluss.
Geschichte
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Anlage von Bewässerungskanälen dieser Form ist weltweit und seit dem Beginn der Landwirtschaft verbreitet und findet sich in diesem Sinne für funktional ähnliche Anlagen in lokaler Ausprägung, etwa als Fluder im Österreichischen, Wuhr im Südschwarzwald, Fléizen in den luxemburgischen Ardennen, Levada auf den kanarischen Inseln und Madeira, Ru im Aostatal, Bief oder Bisse in den französischen Seealpen[2][3] oder Faladsch in Oman. Acequia (Spanische Aussprache: [aˈθekja]) ist die entsprechende Bezeichnung in Spanien und den ehemaligen spanischen Kolonien.
Künstliche Bewässerungssysteme müssen in den niederschlagsarmen Zonen im Wallis mindestens bis in die römische Zeit zurückreichen.[4] Im Innerwallis (insbesondere im Rhonetal und den direkt angrenzenden Talabschnitten) herrscht ein sehr trockenes Klima, weil die umliegenden Berge der Walliser und Berner Alpen die meisten Niederschläge vom Haupttal abhalten.
Die ältesten nachweislichen Datierungen von Bewässerungssystemen im Wallis stammen von Urkunden aus dem 12. Jahrhundert. Datierungen der alten Holzkonstruktionen (Chännel) mittels Dendrochronologie reichen von 1270 bis in die Neuzeit.
Als früheste Jahrzahl erwähnte Pfarrer Seematter von Mund im Jahr 1929 die in den Felsen eingemeisselte Jahreszahl 930 an der Wasserleite Wyssa. Analog dazu soll sich in der Nachbargemeinde Birgisch an der Restiwasserleite die Jahreszahl 1001 befunden haben. Die Inschriften sind leider durch Renovationsarbeiten an den Suonen verloren gegangen.
Seit dem 15. Jahrhundert sind einzelne Suonen sehr gut dokumentiert.[5]
Seit den 1950er-Jahren wurden viele Suonen wegen des einfacheren Unterhalts in Röhren verlegt oder ganz aufgegeben. Später entdeckte man den touristischen Wert der Suonen, was dazu führte, dass viele heute wieder offen Wasser führen. Die für den Unterhalt genutzten Pfade entlang der Leitung können als Wanderwege genutzt werden, die einfach zu begehen sind und wegen der exponierten Lage der Suonen gute Aussicht bieten.[1]
In den 1980er-Jahren war die gemeinschaftliche Unterhaltung der Walliser Suonen Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen durch die spätere Wirtschaftsnobelpreisträgerin Elinor Ostrom. Nach ihren Studien in der Walliser Gemeinde Törbel und einigen weiteren Gemeinwesen in aller Welt stellte Ostrom die These auf, dass gemeinschaftliches Eigentum die natürlichen Ressourcen auf lange Sicht besser bewirtschaftet als privates oder staatliches Eigentum. Das Ergebnis war Ostroms Hauptwerk Governing the Commons.
Etymologie
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts war der Begriff Suon fast ausschliesslich im Gebiet Raron, Lötschental, Lötschberg Südrampe und in den Rarner Schattenbergen (Eischoll, Unterbäch, Bürchen) sowie in der piemontesischen Walserkolonie Alagna gebräuchlich.[6][7] In der touristischen Vermarktung und in der Literatur setzt sich der Begriff seither jedoch für das gesamte Oberwallis durch. Dialektale Varianten sind Sua (Alagna) sowie Süe, Plural Siene (Lötschberg Südrampe). Das Wort Suone stammt möglicherweise von althochdeutsch suoha ‚Furche‘, ‚Graben‘, ‚Egge‘.[8] Das Schweizerische Idiotikon nimmt allerdings ausserdeutschen Ursprung an.[7] Im gesamten deutschsprachigen Teil des Kantons Wallis kann man auch einfach von Wasserleiten sprechen.
Im frankoprovenzalisch- beziehungsweise französischsprachigen Unterwallis heissen die Suonen bisses (Einzahl bisse). Dieses Wort geht auf gallisch (keltisch) *bĕdu ‚Kanal‘ zurück und ist damit etymologisch mit französisch bièf ‚Kanal, Mühlbach‘ identisch.[9] Es wird als die Bisse manchmal auch in der deutschen Sprache verwendet.
Fast alle Suonen haben Eigennamen, die sich vor allem nach den landschaftlichen Gegebenheiten oder den Ortsnamen richten. So gibt es mehrere Bärgeri, Eggeri oder Obersta.
Bekannte Suonen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Riederi durch die Massaschlucht (heute ausser Betrieb)
- Wyssa oberhalb Mund im Gredetschtal (gebaut eventuell vor 930)
- Niwärch und Gorperi oberhalb Ausserberg im Baltschiedertal
- Manera zwischen Hohtenn und Ausserberg (an der Lötschberg Südrampe)
- Heido im Nanztal, beim Gibidumpass oberhalb von Visperterminen (hochalpin, erste Erwähnung um 1305: que aquaeductu qui dicitur die heydenschu Wasserleyta de Nantz)
- Eggeri, Chilcheri, Drieri und Bineri oberhalb von Gasenried und Grächen
- Bisse de Tsitorret bei Montana-Vermala
- Bisse d’Ayent zwischen Stausee Tseuzier und Ayent (abgebildet auf der ab 12. September 2019 herausgegebenen 100-Franken-Banknote der neunten Serie[10])
- Grand Bisse de Vex zwischen Nendaz und Vex
- Bisse de Saxon zwischen Nendaz und Saxon (mit 32 km die längste Suone, Baujahr 1865–1869)
- Bisse de Sion zwischen Stausee Tseuzier und Anzère
- Bisse du Torrent-Neuf bei Savièse
- Bisse du Ro
- Bisse de Vercorin in Vercorin
Musée des Bisses
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Das Walliser Suonenmuseum wurde im Mai 2012 in Botyre (Gemeinde Ayent, oberhalb von Sitten) eröffnet. Das Museum befindet sich im «Bemalten Haus», einem unter Denkmalschutz stehenden Gebäude aus dem 17. Jahrhundert. Die Ausstellung zur Geschichte der Walliser Suonen erstreckt sich über vier Stockwerke und 270 m² Ausstellungsfläche.[11]
Filme
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- An heiligen Wassern, Schweizer Heimatfilm von Alfred Weidenmann aus dem Jahr 1960
Siehe auch
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Wiesenbewässerung
- Levadas auf Madeira
- Waal in Tirol
Literatur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Werner Bellwald, Stefan Würth: Namen im Umkreis der Oberwalliser Flurbewässerung. In: Geschichtsforschender Verein Oberwallis (Hrsg.): Blätter aus der Walliser Geschichte. Band 35. Geschichtsforschender Verein Oberwallis, 2003, ISSN 2296-0864, S. 171–222 (Online bei doc.rero.ch [abgerufen am 16. April 2016]).
- Werner Bellwald, Stefan Würth: Suän, Zetti, Wüer – Namen im Umkreis der Oberwalliser Flurbewässerung. In: Linguistik online 29, 2006/4, S. 31–64.
- Leopold Blotnitzki: Ueber die Bewässerungskanäle in den Walliser-Alpen. Verfasst im Auftrag des Comité der Landwirthschaftlichen Gesellschaft der Romanischen Schweiz. Rieder & Simmen, Bern 1871.
- Johannes Gerber: Wandern an sagenhaften Suonen. 5. Auflage. Rotten Verlag, Visp 2015, ISBN 978-3-905756-00-5.
- Johannes Gerber: Walliser Suonen. Überarbeitete Neuauflage. Editions monographic, Sierre 2015, ISBN 978-2-88341-235-4.
Weblinks
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- Suonen und Bissen im Wallis. Abgerufen am 25. August 2009 (Allgemeines zu Suonen, Wanderbuch).
- Wandern an Suonen, Broschüre von Wallis Tourismus
- Heilige Wasser
- Suonen Wandervorschläge, Karten
- Land der Suonen auf Website nendaz.ch
- Le Musée des Bisses: Walliser Museum der Suonen
- Suonenwanderung Belalp-Nessel mit zahlreichen Bildern
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ a b Die Suonen und Bissen des Wallis. Abgerufen am 26. August 2009.
- ↑ Gianni Bodini: Antichi sistemi d'irrigazione nell'arco apino. Ru, Bisse, Suonen, Waale. Priuli e Verlucca, Ivrea 2002, ISBN 88-8068-186-9.
- ↑ Robert Luft: Vocabulaires et toponymie des pays de montagne. Club Alpin Francais de Nice - Mercantour, 2006, abgerufen am 7. August 2020 (französisch).
- ↑ Helvetia archaeologica, Nr. 129.
- ↑ Christian Imboden: Berge: Beruf, Berufung, Schicksal. Rotten Verlag, Visp 2013, Kapitel Suon (französisch bisse).
- ↑ Ungedrucktes Material des Sprachatlasses der deutschen Schweiz, online zugänglich über digital.sprachatlas.ch, dort bei «Ortschaften» Wallis und bei «Fragebuch» S. 65 eingeben.
- ↑ a b Schweizerisches Idiotikon, Band VII, Sp. 1109, Artikel Suen II.
- ↑ Peter Glatthard: Vox alemannica – voces romanicae: Etymologische Miszellen zur Walliser Sprachlandschaft. In: Georges Lüdi, Hans Stricker, Jakob Wüest (Hrsg.): Romania ingeniosa. Festschrift für Prof. Dr. Gerold Hilty zum 60. Geburtstag. Bern / Frankfurt am Main 1987, S. 3 ff. Hiernach: Die Suonen und Bissen des Wallis. Das Wort Suone. Abgerufen am 10. Januar 2018.
- ↑ Glossaire des patois de la Suisse romande, Band II, S. 387–390, Artikel bief.
- ↑ Neue 100 Frankennote: Walliser Suone ist jetzt in jedem Portemonnaie. Abgerufen am 5. September 2019.
- ↑ Website von: Le Musée des Bisses