Kandidatenturnier

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Das Kandidatenturnier ist im Schach Teil der Weltmeisterschaft. Der Sieger des Turniers erhält das Recht, den amtierenden Schachweltmeister zum Zweikampf um den Titel herauszufordern. Kandidatenturniere gibt es seit der Weltmeisterschaft 1951. Der Modus, nach dem sich Spieler als „Weltmeister-Kandidaten“ für diese Turnier qualifizieren, wurde im Laufe der Jahre mehrfach geändert. Vereinzelt wurde der Begriff „Kandidatenturnier“ auch für andere Qualifikationsturniere im Schach verwendet, siehe Deutsches Kandidatenturnier.

Geschichte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der Schachgeschichte gab es bis zum Zweiten Weltkrieg mehrere Turniere, denen faktisch die Bedeutung eines Kandidatenturniers zukam. Zu den Vorläufern werden insbesondere das inoffizielle New Yorker Kandidatenturnier von 1927 und das AVRO-Turnier, welches 1938 in den Niederlanden stattfand, gezählt.

Die regulären Kandidatenturniere, für die sich die Teilnehmer über ein Zonen- und Interzonenturnier qualifizieren mussten, führte der Weltschachbund (FIDE) im Jahr 1950 ein. Dem lag der Beschluss zugrunde, den Herausforderer des (von der FIDE gekürten) Weltmeisters in einem Dreijahreszyklus zu ermitteln. Bis 1962 war das Kandidatenturnier ein Rundenturnier, das eine bestimmte Anzahl an Teilnehmern vorsah, die jeweils mehrere Partien gegeneinander spielen mussten.

Der US-amerikanische Großmeister Bobby Fischer rügte nach seiner Teilnahme im Jahr 1962 eine Reihe von vermuteten Manipulationen der sowjetischen Teilnehmer, die angeblich gegeneinander Partieresultate abgesprochen hatten.[1] Danach ließ die FIDE seit 1965 das Kandidatenturnier in Wettkampfform ausspielen. Diese Tradition der Kandidatenwettkämpfe wurde 1995 unterbrochen. Vor dem Hintergrund der Titelspaltung veranstaltete die Firma Braingames im Jahr 2002 wieder ein Kandidatenturnier zur Ermittlung des Herausforderers des „klassischen Weltmeisters“ Wladimir Kramnik, das im Rahmen der Dortmunder Schachtage stattfand und von Péter Lékó gewonnen wurde. Die FIDE schaffte später ihre umstrittenen K.-o.-Weltmeisterschaften wieder ab und kehrte zur klassischen Form der Kandidatenturniere als Rundenturniere zurück.

Kandidatenturniere 1950 bis 1962[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zyklus Turnier Sieger
WM 1951 Budapest 1950 David Bronstein
WM 1954 Zürich 1953 Wassili Smyslow
WM 1957 Amsterdam 1956 Wassili Smyslow
WM 1960 Bled, Zagreb, Belgrad 1959 Michail Tal
WM 1963 Curaçao 1962 Tigran Petrosjan

Kandidatenwettkämpfe 1965 bis 1993[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Nach der Reform von 1962 trugen die Kandidaten Wettkämpfe im K.-o.-System aus. Bis zum Zyklus 1984 waren es acht Kandidaten, danach wurde die Zahl auf 16 erhöht. Freiplätze bekamen der Verlierer des vorherigen WM-Kampfes und der unterlegene Finalist des vorangegangenen Kandidatenwettkampfs; vom Zyklus 1987 an auch die Halbfinalisten. Im Zyklus 1987 und 1990 kam ein vom Veranstalter nominierter Teilnehmer hinzu. Die übrigen Teilnehmer qualifizierten sich in Interzonenturnieren. Ein Sonderfall war der Zyklus 1987: Hier trugen die 16 Teilnehmer zunächst ein Rundenturnier aus, danach traten die vier bestplatzierten im K.-o.-System gegeneinander an. Der Gewinner (Andreï Sokolov) trat in einem „Superfinale“ gegen Anatoli Karpow an, der bei der außerhalb des Dreijahresrhythmus angesetzten WM 1986 unterlegen war.

Zyklus Sieger Finalgegner Halbfinalisten weitere Teilnehmer
WM 1966 Spasski Tal Geller, Larsen Ivkov, Keres, Portisch, Smyslow
WM 1969 Spasski Kortschnoi Larsen, Tal Geller, Gligorić, Portisch, Reshevsky
WM 1972 Fischer Petrosjan Larsen, Kortschnoi Geller, Hübner, Taimanow, Uhlmann
WM 1975 Karpow Kortschnoi Petrosjan, Spasski Byrne, Mecking, Polugajewski, Portisch
WM 1978 Kortschnoi Spasski Polugajewski, Portisch Hort, Larsen, Mecking, Petrosjan
WM 1981 Kortschnoi Hübner Polugajewski, Portisch Adorján, Petrosjan, Spasski, Tal
WM 1984 Kasparow Smyslow Kortschnoi, Ribli Beliavsky, Hübner, Portisch, Torre
WM 1987 Karpow* Sokolov Jussupow Timman, Vaganian; weitere zwölf Teilnehmer im Kandidatenturnier 1985
WM 1990 Karpow** Timman Jussupow, Speelman Viertelfinale: Hjartarson, Portisch, Short, Spraggett
Achtelfinale: Ehlvest, Kortschnoi, Salow, Sax, Seirawan, Sokolov, Vaganian
WM 1993 Short Timman Jussupow, Karpow** Viertelfinale: Anand, Gelfand, Iwantschuk, Kortschnoi
Achtelfinale: Dolmatow, Drejew, Hübner, Judassin, Nikolić, Sax, Speelman
*Karpow wurde direkt ins Finale („Superfinale“) gesetzt.
**Karpow wurde direkt in die zweite Runde (Viertelfinale) gesetzt.

Kandidatenwettkämpfe während der Zweiteilung des Weltmeistertitels 1994 bis 2005[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die als Konkurrenzorganisation zur FIDE neu gegründete Professional Chess Association (PCA), angeführt von Garri Kasparow, dem die FIDE den Weltmeistertitel am grünen Tisch entzog, nahm die Tradition der Kandidatenwettkämpfe wieder auf und veranstaltete zur Ermittlung von Kasparows nächstem Herausforderer in der Schachweltmeisterschaft 1995 ein Wettkampfturnier nach altem Muster. Bei der Schachweltmeisterschaft 2000 gab es keine reguläre Qualifikation; Weltmeister Kasparow wählte seinen Gegner Wladimir Kramnik selber aus. Zur Schachweltmeisterschaft 2004 ermittelte der Sponsor Einstein Group den Herausforderer in einem Kandidatenturnier.

Die FIDE hatte nach Kasparows Disqualifikation eine separate Schachweltmeisterschaft 1993 veranstaltet, bei der die Unterlegenen des Kandidatenturniers Karpow und Timman gegeneinander antraten. Karpow gewann diesen Zweikampf und wurde zum FIDE-Weltmeister erklärt. Zur FIDE-WM 1996 wurde das Reglement geändert: Der amtierende Titelträger Karpow musste selbst am Kandidatenturnier teilnehmen. Allerdings wurde er direkt ins Halbfinale gesetzt. Das, was früher das Kandidatenfinale war, galt nun als Weltmeisterschaftskampf. Bei den folgenden FIDE-Schachweltmeisterschaften gab es überhaupt keine Kandidatenturniere mehr. Es wurden Turniere im K.-o.-System durchgeführt.

Zyklus Sieger Finalgegner Halbfinalisten weitere Teilnehmer
WM 1995 (klassisch) Anand Kamsky Adams, Short Gulko, Kramnik, Romanyschyn, Tiviakov
WM 1996 (FIDE) Karpow* Kamsky Gelfand, Salow Viertelfinale: Anand, Kramnik, Timman
Achtelfinale: Adams, Chalifman, Judassin, Jussupow, Lautier, van der Sterren
WM 2004 (klassisch) Lékó Topalow Barejew, Schirow Adams, Gelfand, Lutz, Morosewitsch
*Karpow wurde direkt ins Halbfinale gesetzt. Das Finale des Turniers war zugleich die Weltmeisterschaft.

Kandidatenwettkämpfe 2007 bis 2011[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Mit der Schachweltmeisterschaft 2006, einem Zweikampf zwischen dem „klassischen“ Weltmeister Kramnik und FIDE-Weltmeister Topalow, wurde die Zweiteilung des Weltmeistertitels beendet. Seither ging die FIDE schrittweise dazu über, wieder die anerkannten Kandidatenkämpfe auszurichten.

Für die Schachweltmeisterschaft 2007, die ein Rundenturnier war, qualifizierten sich vier der acht Teilnehmer über Kandidatenwettkämpfe. Diese vier Teilnehmer wurden im K.-o.-System aus den zehn Bestplatzierten im Schach-Weltpokal 2005 und sechs weiteren Spielern ermittelt.

In der Schachweltmeisterschaft 2010 wurde der Herausforderer in einem so genannten Herausforderermatch (Challenger Match) ermittelt, das einem Kandidatenfinale entsprach. Qualifiziert waren Wesselin Topalow, der dafür entschädigt wurde, dass er nicht wie ursprünglich vorgesehen an der Weltmeisterschaft 2007 teilnehmen konnte, und Gata Kamsky, der Gewinner des Schach-Weltpokals 2007. Topalow setzte sich durch.

Mit der Schachweltmeisterschaft 2012 kehrte die FIDE wieder zur früheren Tradition der Kandidatenwettkämpfe im K.-o.-Modus zurück. In den ersten beiden Runden wurden vier Partien, im Finale sechs Partien ausgetragen. Kritisiert wurde die sehr hohe Remisquote des Kandidatenturniers: Von 30 Partien mit normaler Bedenkzeit endeten 27 mit Remis, teilweise schon nach wenigen Zügen. Die meisten Wettkämpfe wurden daher erst im Tie-Break mit verkürzter Bedenkzeit entschieden. Silvio Danailow, Manager des in der ersten Runde ausgeschiedenen Wesselin Topalow, forderte daraufhin, dass künftig auch im Kandidatenturnier die Sofia-Regel gelten solle. Ihm wurde entgegengehalten, dass das Ziel der Spieler darin bestand, sich für die Weltmeisterschaft zu qualifizieren, und in einem Wettkampf über nur wenige Partien jeder Fehler das Aus bedeuten konnte. Jeder Spieler müsse das Recht haben, die Wettkampfstrategie zu wählen, von der er sich am meisten Erfolg verspreche.[2]

Zyklus Sieger Finalgegner Halbfinalisten weitere Teilnehmer
WM 2010 Topalow Kamsky
WM 2012 Gelfand Grischtschuk Kamsky, Kramnik Aronjan, Məmmədyarov, Rəcəbov, Topalow

Kandidatenturniere seit 2013[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Seit 2013 werden die Kandidatenturniere wieder als Rundenturniere ausgetragen.

Zyklus Turnier Sieger
WM 2013 London 2013 Magnus Carlsen
WM 2014 Chanty-Mansijsk 2014 Viswanathan Anand
WM 2016 Moskau 2016 Sergei Karjakin
WM 2018 Berlin 2018 Fabiano Caruana
WM 2021 Jekaterinburg 2020/2021[3] Jan Nepomnjaschtschi
WM 2023 Madrid 2022 Jan Nepomnjaschtschi
WM 2024 Toronto 2024 D. Gukesh

Kandidatenturniere der Frauen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Im Vorfeld der Schachweltmeisterschaften der Frauen finden seit 1952 ebenfalls meist Kandidatenturniere zur Ermittlung der Herausforderin statt. Im April 2024 fand dieses erstmals zeit- und ortsgleich zum offenen Kandidatenturnier in Toronto statt.

Bis zur Weltmeisterschaft 1969 wurde die Herausforderin durch ein einründiges Rundenturnier ermittelt. Die Teilnehmerzahl schwankte dabei zwischen 15 und 20 Teilnehmerinnen.

Zyklus Turnier Siegerin
WM 1953 Moskau 1952 Jelisaweta Bykowa
WM 1956 Moskau 1955 Olga Rubzowa
WM 1959 Plowdiw 1959 Kira Sworykina
WM 1962 Vrnjačka Banja 1962 Nona Gaprindaschwili
WM 1965 Sochumi 1964 Alla Kuschnir
WM 1969 Subotica 1967 Alla Kuschnir

Zur Weltmeisterschaft 1972 wurde das Format grundlegend verändert. Statt eines einzelnen Rundenturniers wurde ein K.O.-Modus mit mehreren Matches angesetzt, wobei diese an verschiedenen Orten zu unterschiedlichen Zeiten ausgetragen wurden.

Zyklus Orte Siegerin
WM 1972 Kislowodsk (Finale)
Minks, Bladel (Halbfinale)
Alla Kuschnir
WM 1975 Moskau (Finale)
Kislowodsk, Riga (Halbfinale)
Nana Alexandria
WM 1978 Bad Kissingen (Finale)
Tallinn, West-Berlin (Halbfinale)
Sofia, Dortmund, Sotschi, Tiflis (Viertelfinale)
Maia Tschiburdanidse
WM 1981 Tiflis (Finale)
Vilnius, Tiflis (Halbfinale)
Odessa, Kislowodsk, Tiflis, Donji Milanovac (Viertelfinale)
Nana Alexandria
WM 1984 Sotschi (Finale)
Sotschi, Dubna (Halbfinale)
Alicante, Velden am Wörther See, Lwiw, Bad Kissingen (Viertelfinale)
Irina Levitina

In der Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft 1986 kehrte man wieder zu Rundenturnieren zurück. Mit der Änderung des Formats der Weltmeisterschaft 2000 selbst zu einem K.O.-Turnier erübrigten sich Kandidatenturniere zunächst, bis das Format 2019 wieder zum Zweikampf mit vorherigem Kandidatenturnier wechselte. 2022/23 kam abweichend ein K.O.-Modus im Kandidatenturnier zum Einsatz.

Zyklus Turnier Siegerin
WM 1986 Malmö 1986 Jelena Achmilowskaja
WM 1988 Zqaltubo 1988 Nana Iosseliani
WM 1991 Bordschomi 1990 Xie Jun
WM 1993 Shanghai 1992 Nana Iosseliani
WM 1996 Tilburg 1994 Zsuzsa Polgár
WM 1999 Groningen 1997 Alissa Galljamowa
WM 2020 Kasan 2019 Alexandra Gorjatschkina
WM 2023 Monaco/Xiva/Chongqing 2022/23 Alexandra Gorjatschkina
WM 2025 Toronto 2024 Tan Zhongyi

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wiktionary: Kandidatenturnier – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Bobby Fischer: Schacher im Schach. Das abgekartete Spiel der Russen. 10. Oktober 1962. In: Der Spiegel, 41/1962, S. 94–97. Auf Spiegel.de, abgerufen am 4. Februar 2019 (PDF; 520 kB).
  2. Peter Doggers: Kazan: the aftermath. FIDE Candidates Matches 2011. 28. Mai 2011. Auf ChessVibes.com, abgerufen am 4. Februar 2019.
  3. Wegen der COVID-19-Pandemie wurde das Kandidatenturnier 2020 unterbrochen und erst im April 2021 fortgesetzt.