Lazarus-Effekt

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Unter dem Lazarus-Effekt versteht man in der Paläontologie das vorübergehende Nichterscheinen von Taxa (beispielsweise im Rang von Familien) im Fossilbericht, häufig mit Bezug auf die Zeit von Massenaussterben. In der Naturschutzbiologie bezieht sich der Ausdruck auf die Wiederauffindung von Taxa (in der Regel im Rang von Arten oder Unterarten), die bereits als ausgestorben gelistet worden waren, also auf ihre Entfernung von der Liste ausgestorbener Arten.

Namensherkunft[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der naturwissenschaftliche Begriff wurde nach dem biblischen Charakter Lazarus des Neuen Testaments benannt, der nach religiösem Glauben Tage nach seinem Tod eine Auferweckung durchlief,[1] also durch ein Wunder von den Toten wiederauferstand.[2][3]

Begriffsgeschichte und Bedeutung[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Begriff wurde ursprünglich in der Paläontologie für vorübergehend im Fossilbericht fehlende Taxa definiert,[2] nachträglich aber in anderem Sinn auf rezente Arten oder Taxa, die wiederentdeckt wurden, nachdem sie einige Zeit als ausgestorben galten, übertragen.[4]

Die von dem Lazarus-Effekt betroffenen Taxa können auch als „Lazarus-Taxa“ angesprochen werden.[2]

Paläontologische Konzepte[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Lazarus-Effekt im Kontext der großen Massenaussterbeereignisse
Links: Die „großen Fünf“ (auch Big Five) Massenaussterbe-Ereignisse der Erdgeschichte: 1. das Ordovizische Massenaussterben vor 444 Mio. Jahren, 2. das Kellwasser-Ereignis im Oberdevon vor 372 Mio. Jahren, 3. das (bislang dramatischste) Aussterbeereignis, an der Perm-Trias-Grenze vor 252 Mio. Jahren, 4. die Krisenzeit an der Trias-Jura-Grenze vor 201 Mio. Jahren, 5. das (das Verschwinden der Nichtvogeldinosaurier herbeiführende) Massenaussterben an der Kreide-Paläogen-Grenze vor 66 Mio. Jahren.[5]
Rechts: Darstellung des Lazarus-Effekts (im Sinne von Wignall & Benton 1999, hier als graue Fläche markiert) am schematischen Beispiel der Diversitätsänderungen eines Taxons (im Rang einer Klasse) durch das Massenaussterben an der Perm-Trias-Grenze, wie er sich in ähnlicher Form weltweit bei den Gastropoden (Schnecken) ereignet hat.[6][7]

In der Paläontologie bezeichnet der Lazarus-Effekt ein vorübergehendes Verschwinden von Taxa aus dem Fossilbericht.[2] Bei einem Lazarus-Taxon handelt es sich also um ein Taxon, dessen Fossilienbestand eine oder mehrere signifikante Lücken aufweist, ohne dass sich zwischen dem ersten und letzten Exemplar morphologische Veränderungen ergeben haben.[8]

Allerdings ist es im Zusammenhang mit dem „Lazarus-Effekt“ zu einer Vielzahl an Definitionen und Auslegungen gekommen, die zu erheblicher Begriffsverwirrung geführt haben:[2]

  • Viele Wissenschaftler beschränken die Verwendung des Begriffes auf die Zeitspannen während der Massenaussterben-Ereignisse.[2]
  • Einige andere Autoren sprechen dagegen damit ein Muster an, das sich auf bestimmte Zeitspannen bezieht, aber nicht auf Massenaussterben beschränkt ist.[2]
  • Weitere, wiederum abweichende Definitionen fassen die „Lazarus-Taxa“ im Sinne des – erst später – als „Ghost lineage“ beschriebenen Phänomens auf oder umfassen damit sämtliche Taxa, die erhebliche Lücken in ihrem Fossilienbestand aufweisen.[2]

Neben der nicht einheitlich verwendeten Definition des Muster des Ausfalls von Taxa, das als „Lazarus-Effekt“ angesprochen werden soll, hat auch die fehlende Unterscheidung zwischen diesem in der Fachwissenschaft einheitlich zu definierenden Muster und den wissenschaftlich kontrovers interpretierbaren potenziellen Prozessursachen, die zu diesem Ausfall der Taxa geführt haben, maßgeblich zur Begriffsverwirrung beigetragen.[2]

Die Widersprüchlichkeit der in der Literatur bestehenden Konzepte zum „Lazarus-Effekt“ kann zum Teil damit erklärt werden, dass sowohl solche für die beobachteten „Lazarus“-Phänomene verantwortliche Faktoren zu existieren scheinen, die über alle Zeitintervalle – einschließlich der Massenaussterbeereignisse – hinweg wirken, als auch solche, die spezifischer im Rahmen der Massenaussterbeereignisse zur Geltung kommen. Bei ersteren handelt es sich um „stratigraphische Faktoren“, durch die Lücken in den stratigraphischen Verbreitungsgebieten der Taxa entstehen. Bei letzteren handelt es sich um „biologische Faktoren“, die etwa die Abwanderung von Taxa in Refugialräume oder geringe Populationsgrößen nach dem Massenaussterbeereignis betreffen können.[2]

Entscheidend für die Bestimmung, was genau mit dem Begriff „Lazarus-Effekt“ bezeichnet werden soll, ist, ob der Fossilbericht als eine die angesprochenen evolutiven Abläufe angemessen darstellende Quelle angenommen werden soll oder ob der Fossilbericht für den angesprochenen Fall als unvollständig aufzufassen sein soll.[2]

Lazarus-Taxa als stratigraphisches Phänomen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Carpoidea: Beispiel für Lazarus-Taxa im paläontologischen Sinn
Skizze einer fossilen Carpoide aus dem Ordovizium (Fund aus: Schottland)[10]
Fossiliensammler in „Penn Dixie“, wo 2023 Carpoiden-Fossilien aus dem Devon gefunden wurden[10]
Die Evolutionsgeschichte der Carpoiden, einer ausgestorbenen Gruppe der Stachelhäuter (Echinodermata), ist schwer nachzuzeichnen, denn ihre erstmals für das mittlere Kambrium vor rund 500 Millionen Jahren nachgewiesenen Fossilien sind rar und tauchen zwischen ihrem ersten und letzten Auftritt im Fossilbericht selten auf, so dass Lücken im Fossilbericht klaffen, die sich möglicherweise über mehrere Dutzend Millionen Jahre erstrecken. Aufgrund dieses lückenhaften Fossilberichts spricht man bei der Abstammungslinie der Carpoiden von einer Ghost lineage. Im April 2023 wurden im Penn Dixie Fossil Park and Nature Reserve (in Blasdell, New York) Fossilien von Carpoiden gefunden, die zumindest vorläufig zum Stachelhäuter-Taxon der Soluta zugeordnet wurden, einer Untergruppe der Carpoiden, von der man zuvor angenommen hatte, dass sie während des frühen Devonzeitalters vor rund 410 bis 408 Millionen Jahren ausgestorben sei. Wenn sich diese vorläufige Zuordnung erhärten lässt, wären die neuen Penn-Dixie-Fossilien schätzungsweise rund 382 Millionen Jahre alt, womit die Soluten 25 Millionen Jahre länger als bisher gedacht existiert hatten. Bei den Penn-Dixie-Carpoiden handelte es sich dann entsprechend um ein „Lazarus-Taxon“, also um eine Tiergruppe, die zunächst aus dem Fossilbericht „verschwindet“, um aber viel später wieder darin „aufzutauchen“.[10]
Choristodera: Beispiel für Lazarus-Taxa im paläontologischen Sinn
Fossiler Kiefer des Holotyp-Exemplars (VP.001088) von Cteniogenys antiquus
Lebendrekonstruktion von Lazarussuchus inexpectatus
1992 wurde die Gattung Lazarussuchus mit der Art L. inexpectatus aus dem Oligozän erstbeschrieben und der Gruppe der Choristodera zugeordnet, womit die bekannte Langlebigkeit dieser zuvor nur im Fossilbericht bis zum Ende des Paläozän nachgewiesenen Gruppe bis ins mittlere Tertiär verlängert wurde. Das Überleben dieser Gattung bis ins späte Oligozän gilt als eindeutiges Beispiel für den „Lazarus-Effekt“ im Sinne von Jablonski (1986). Die ebenfalls jüngere Entdeckung der Gattung Cteniogenys aus dem Mittel- und Oberjura verschob zudem den Erstnachweis der zuvor erst seit der Oberkreide nachgewiesenen Choristodera im Fossilbericht vor, sodass die aufgezeichnete Langlebigkeit der Gruppe durch die Entdeckung der beiden Gattungen Lazarussuchus und Cteniogenys insgesamt verdoppelt wurde.[11] 1998 wurde ein Fossilfund aus der der Gattung Cteniogenys zugeordnet, der die Langlebigkeit der zuvor nur für den Mitteljura nachgewiesenen Cteniogenidae bis zur späten Kreidezeit erweiterte, während innerhalb des Fossilberichts eine Nachweislücke von 69 Millionen Jahren fortbestand.[12]

Wird von einem unvollständigen Fossilbericht ausgegangen, dann wird mit dem Lazarus-Effekt die Unvollständigkeit der geologischen Überlieferung angesprochen, also ein stratigraphisches Phänomen.[2]

In Anlehnung an frühere Beobachtungen von Batten (1973) prägte David Jablonski 1983 den Begriff Lazarus-Effekt (englisch Lazarus effect, Fessa & Jablonski 1983[13]) am Beispiel einer Anzahl von Familien und vieler Gattungen, die kurz vor der Perm-Trias-Grenze (und dem damit verbundenen Massenaussterben) oder kurz vor der Kreide-Paläogen-Grenze (und dem damit verbundenen Massenaussterben) aus dem Fossilbericht verschwinden, kurz nach der jeweiligen Grenze dann aber wieder im Fossilbericht erscheinen.[13] 1986 entwickelte Jablonski das Konzept der Lazarus-Taxa (englisch Lazarus Taxa, Jablonski 1986) weiter.[2] Er beschrieb damit das Phänomen, dass einige Taxa vor einem Massenaussterbeerereignis aus dem Fossilbericht verschwinden (scheinbar aussterben), später aber wieder im Fossilbericht erscheinen, dass also für diese Taxa „Lücken“ im Fossilbericht während einer Zeit des Massenaussterbens entstehen.[14] Trotz des Nichterscheinens dieser Taxa in einer bestimmten Zeitspanne, also trotz dieser „Lücke“ in der geologischen Überlieferung während eines Massenaussterbens, kann ihr Fortbestehen während der Zeitspanne dieser „Lücke“ aus ihrem Erscheinen im Fossilbericht jüngerer und älterer Schichten geschlossen werden.[2] Der Lararus-Effekt (im Sinne von Jablonski, 1986) bezeichnet also im Fossilbericht das „Verschwinden und scheinbare Aussterben von Taxa, die später unversehrt wieder auftauchen“.[15]

Das Wissen um das Konzept der „Lazarus-Taxa“ erlangt dadurch Bedeutung, dass ihr Vorkommen Hinweise auf die Qualität des Fossilberichts während eines Massenaussterbens geben kann.[16][2] Die „Lazarus-Taxa“ belegen das Fortbestehen vieler Gruppen mit geringen Bestandsgrößen während der Aussterbeereignisse. Sie mahnen zur Vorsicht bei der Deutung des Fossilberichts, indem sie an den oft fragmentarischen Charakter erinnern, den der Fossilbericht in der Erholungsphase nach dem Aussterbeereignis haben kann.[17] Je mehr Lazarus-Taxa vorliegen und je größer die „Lücke“ in der geologischen Überlieferung während eines Massenaussterbens ist, desto unvollständiger ist der Fossilbericht.[16]

Jüngere Entdeckungen von Taxa (beispielsweise die Gattungen Cteniogenys und Lazarussuchus), die den Fossilbericht des übergeordneten Taxons (beispielsweise Choristodera) an seinen beiden Enden verlängern, unterstreichen die Grenzen von Konzepten wie Taxon-Langlebigkeit und Aussterbemuster, bei denen es sich um Verallgemeinerungen und lediglich um minimale Schätzungen handelt, die durch neue Entdeckungen leicht geändert werden können.[11]

Lazarus-Taxa als biologisches Phänomen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wird von einem adäquat vorliegenden Fossilbericht ausgegangen, dann wird mit dem Lazarus-Effekt ein echtes, mit dem Aussterben verbundenes Phänomen angesprochen, also ein biologisches Phänomen.[2] Grund für das Fehlen einiger Taxa während einer bestimmten Zeitspanne der geologischen Überlieferung kann eine tatsächliche Erholung nach einem Beinahe-Aussterben sein.[2] Diese biologische Auslegung ist als der stratigraphischen Interpretation untergeordnet zu betrachten und nur zu bevorzugen, wenn die stratigraphische Auslegung nicht dokumentiert werden kann.[2]

Ekgmowechashala: Lazarus-Effekt im paläontologischen Sinn, aber als Signal für biogeografisches Geschehen
Rekonstruktion des lemuren-ähnlichen adapiden Primaten Ekgmowechashala zancanelli nach im John Day Fossil Beds National Monument (Oregon, USA) gefundenen Fossilien aus dem Oligozän, als Ausmalbild der Geologic Resources Division (GRD) des National Park Service
Präparation von Fossilien in einem Labor des Thomas Condon Paleontology Center, das zum John Day Fossil Beds National Monument gehört (Foto: 2008).
Der nach morphologischen und phylogenetischen Analysen belegte asiatische Ursprung sowohl für die Familie Ekgmowechashalidae als auch für die Gattung Ekgmowechashala unterstreicht die Bedeutung geografischer Refugien in niedrigeren geografischen Breitengraden Asiens für die Primatenentwicklung während der Klimakrise, die den Übergang vom Eozän zum Oligozän markiert.[18]

Zu den „biologische Faktoren“, die anstelle von „stratigraphische Faktoren“ offenbar auch für „Lazarus“-Phänomene verantwortlich sein können, zählt neben geringen Populationsgrößen nach einem Massenaussterbeereignis zum Beispiel auch die Abwanderung von Taxa in Refugialräume.[2] Die Kolonisierung Nordamerikas durch die nur aus der Spätphase des frühen Oligozäns im Westen Nordamerikas bekannte Gattung Ekgmowechashala gilt als ein Beispiel des Lazarus-Effekts, da hiermit ein Taxon – die Ordnung der Primaten – nach einem längeren Hiatus von rund 4,5 Millionen Jahren unvermittelt wieder im Fossilienbericht dieses Kontinents auftaucht, also in Nordamerika nur scheinbar „ausgestorben“ (im Sinne von englisch: extirpated, nicht von: extinct) war.[18] Im Gegensatz zu den modernen Lazarus-Taxa (im neontologischen Konzept der Naturschutzbiologie) wie etwa dem Schwarzbrauen-Mausdrossling (der im Jahr 2020 nach 170 Jahren wiederentdeckt wurde), die in der Regel spätestens nach ein paar Jahrhunderten des vermuteten Aussterbens wieder in Erscheinung treten, taucht die Art Ekgmowechashala philotau (deren Fossilien 30 Millionen Jahre alt und die ältesten der Gattung Ekgmowechashala sind) also erst Jahrmillionen nach den anderen nordamerikanischen Primaten im Fossilienbericht auf (und entspricht damit einem Lazarus-Taxon im paläontologischen Konzept).[19][18] Während aber das Phänomen des Lazarus-Effekts im paläontologischen Kontext sonst oft als Ergebnis eines nur sporadisch (zeitlich lückenhaft) dokumentierten lokalen oder regionalen Fossilienberichts erklärt wird (wie beispielsweise im Fall der Laotischen Felsenratte im Sinne von Dawson und andere, 2006[20]), ist der Fossilienbericht des mittleren Känozoikums in Nordamerika anerkanntermaßen sehr gut belegt, also nicht lückenhaft.[18] – Der Lazarus-Effekt spiegelt daher im Fall von Ekgmowechashala mit dem Fossilbericht der Primatenentwicklung in Nordamerika ein biogeografisches Signal wider und stellt kein Artefakt der Taphonomie (Fossilisationslehre) oder Konservierung (Erhaltung) dar.[18] Die Vorstellung, dass Ekgmowechashala philotau eine Relikt- oder überlebende Art früherer Primaten in Nordamerika ist, wurde in einer 2023 publizierten Studie widerlegt und stattdessen dargelegt, dass es sich um eine eingewanderte Art handelt, die sich in Asien entwickelt hat und in einer auffallend kühlen Phase nach Nordamerika eingewandert ist, möglicherweise über die Beringia.[19]

Abgrenzung zum Konzept der Elvis taxa[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Während das Konzept der Lazarus-Taxa im Rahmen eingehender Studien auf Ebene der Biospezies als sehr nützlich erachtet wird, kann es für Taxa oberhalb des Art-Ranges zu Missverständnissen führen, da bei der Erholung von Taxa unter identischen Umweltbedingungen das Phänomen der Konvergenz zu beachten ist und die in der Erholungsphase nach einem Massenaussterbeereignis beobachtbaren neuen Taxa solchen Taxa in der Gestalt ähneln können, die vor dem Massenaussterben lebten, aber entwicklungsgeschichtlich andere Vorfahren besitzen, deren morphologische Ähnlichkeit also nicht auf evolutionärer Verwandtschaft mit den neuen Taxa beruht, sondern auf Homoplasie. Diese Taxa, die ausgestorbenen Taxa aufgrund von Homoplasie ähneln, aber keine Fortsetzung von deren Entwicklungslinie darstellen, werden Elvis-Taxa (englisch Elvis taxa, Erwin & Droser 1993) genannt.[21][2] Bereits Batten (1973) und Erwin & Droser (1993) haben darauf hingewiesen, dass die verglichenen Taxa exakt und konsistent taxonomisch einander zugeordnet sein müssen, damit entschieden werden kann, ob bei einem Befund tatsächliche Lazarus-Taxa vorliegen oder aber davon zu unterscheidende Elvis-Taxa.[2]

Das paläontologische Konzept der Elvis-Taxa betrifft also Taxa im Fossilbericht, die einander ähnlich im Sinne von morphologisch konvergent, aber nicht miteinander stammesgeschichtlich verwandt sind.[16][2][22] Die Elvis taxa sind als taxonomische Artefakte aufzufassen. Die Bezeichnung leitet sich vom Vornamen Elvis Presleys ab und bezieht sich auf die vielen „Elvis-Imitatoren“, die nach dessen Tod in Erscheinung traten.[16]

Der Begriff Elvis-Taxa wurde ursprünglich eingeführt, um lediglich vermeintliche Abstammungslinien von Gastropoden, articulaten Brachiopoden und Bivalvia zu beschreiben, die nach dem an der Perm-Trias-Grenze stattgefundenen Massenaussterben erschienen.[23][24]

Schinderhannes bartelsi: Elvis-Taxon oder Lazarus-Taxon?
Paläontologisch ungenaue oder umstrittene Rekonstruktion (2012)
Morphologie der Ventralseite auf Grundlage von Neuinterpretationen aus den späten 2010er Jahren

Die Erstbeschreibung von Schinderhannes bartelsi im Jahr 2009 schien auf überraschende Weise die Langlebigkeit der Familie Anomalocarididae, die Ähnlichkeit mit den Arthropoda aufweist,[25] um die beachtliche Spanne von rund 100 Millionen Jahren zu verlängern,[26] doch blieb die tatsächliche stammesgeschichtliche Verwandtschaft von Schinderhannes bartelsi weiter umstritten, sodass es sich hierbei möglicherweise um ein Elvis-Taxon oder aber auch um ein Lazarus-Taxon handeln kann.[26]

Beispiele für Lazarus-Taxa (im paläontologischen Sinn)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Ein Beispiel für Lazarus-Arten im Zusammenhang mit dem Massenaussterben an der Perm-Trias-Grenze sind Seeigel und andere Gruppen, die etwa in der Mitte des Trias, etwa 25 Millionen Jahre nach dem großen Massenaussterben, wieder im Fossilbericht erscheinen und als verhältnismäßig empfindlich auf Umweltveränderungen reagierende Organismen die Normalisierung der marinen Lebensbedingungen kennzeichnen.[27] Während des gleichen Massenaussterbenereignisses gab es auch unter Gastropoden, Bivalvien und articulaten Brachiopoden eine erhebliche Anzahl von Lazarus-Taxa.[23]

Bezahnung von Gurbanodelta kara (aus der Erstbeschreibung)[28]

Sonderfall: Rezent lebende Beispiele für Lazarus-Taxa (im paläontologischen Sinn)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das paläontologische Konzept des „Lazarus-Effekts“, das ursprünglich für Taxa definiert wurde, die nach einer langen Periode scheinbarer Nichtexistenz innerhalb des Fossilberichts wiedererscheinen, wurde nachträglich auf die Entdeckung lebender Vertreter längst ausgestorben geglaubter Taxa erweitert.[30] Die Entdeckung lebender Exemplare ausgestorben geglaubter Taxa stellt nach Dawson somit einen Sonderfall des Lazarus-Effekts im Sinne des Wiedererscheinens von Taxa nach einem längeren Hiatus im Fossilbericht dar (nach Dawson & al., 2006).[20][30]

Beispiele aus dem Tierreich

Solche Entdeckungen wurden bei Säugetieren und anderen Wirbeltieren nur selten dokumentiert.[20]

Quastenflosser: Lazarus-Taxa und lebende Fossilien
Fossiler Quastenflosser aus dem Oberen Jura (Bayern)
Komoren-Quastenflosser (ausgestopftes Präparat, NHMW), erstgefundene rezente Art[30]
Manado-Quastenflosser, zweitgefundene rezente Art
Fundregionen der beiden rezenten Arten
Zur Zuordnung der rezenten zu den fossilen Funden: Die Gattung Latimeria weist unter anderem mit ihren massiv entwickelten Flossen und deren mächtigen Muskelansätzen alle typischen anatomischen Charakteristika der fossilen Quastenflosser auf, deren Flossen anatomisch als eine Art phylogenetische Vorstufe der terrestrischen Wirbeltiere gedeutet wurden.[31] Die Annahme, dass sich aus der auch die rezenten Latimeria-Vertreter einschließenden Gruppe der Hohlstachler im Devon die Landwirbeltiere entwickelt haben, hat sich allerdings nicht bestätigt, da deren Stammform zu den Rhipidistia (im weiteren Sinn) gehörte, also zu einer anderen, bereits im Jungpaläozoikum ausgestorbenen Gruppe innerhalb der „Crossopterygii“ (Quastenflosser).[32] Tatsächlich gelten Vertreter der Ordnung der Osteolepiformes, die bis vor einiger Zeit mit der Ordnung Coelacanthiformes in die Klasse der „Crossopterygii“ (Quastenflosser) zusammengestellt wurden, als Stammgruppe der Landwirbeltiere.[33]
Zum Verbreitungsgebiet der rezenten Quastenflosser: Der Lebensraum der verbliebenen Populationen des Komoren-Quastenflossers liegt im tieferen Gewässer um zwei der vier Komoren-Hauptinseln, während es sich beim Erstfund an der Chalumna-Mündung in Südafrika und bei den vereinzelten Funden an der Ostküste Afrikas offenbar um zufällige „Verdriftungen“ durch die Meeresströmung handelt.[31] Es wird vermutet, dass Indonesien als Verbreitungsgebiet des Manado-Quastenflossers auch das eigentliche Reliktareal der Vorgänger der rezenten Quastenflosser war, von wo sie erst durch Meeresströmungen zu den Komoren „verdriftet“ wurden.[32]
  • Quastenflosser oder Hohlstachlerartige (Coelacanthiformes): Diese zunächst nur aus dem Fossilbericht bekannte Gruppe der Knochenfische mit rezent überlebenden Vertretern innerhalb der Gattung Latimeria gehört zu den aufsehenerregendsten Beispielen von Lazarus-Taxa.[34] Die Ordnung der Quastenflosser galt lange Zeit mangels Funden aus dem Känozoikum als vor 50 oder über 65 Millionen Jahren ausgestorben. Ihre „Wiederentdeckung“ in der Rezentfauna im Jahr 1938 in Form eines in einer Tiefe von 80 Metern nahe der Flussmündung des Chalumna an der Küste Südafrikas gefangenen Exemplars stellte deshalb eine wissenschaftliche Sensation höchsten Ranges als „lebendes Fossil“ dar,[33][31][32] obwohl ihre Existenz in der lebenden Tierwelt zwar neu für die Wissenschaft war, nicht aber für in der Region einheimische Fischer, die die Tiere bereits als Beifang kannten.[31] Eine wissenschaftliche Sensation bestand durch die Entdeckung bereits allein dadurch, dass den Quastenflossern zur Zeit dieser Entdeckung als vermeintliche Vorfahren der Amphibien eine phylogenetisch entscheidende Rolle beim Landgang der Wirbeltiere zugewiesen wurde.[31][32] Die anhand eines bereits fortgeschritten zersetzten Kadavers angefertigte Erstbeschreibung wurde teilweise wissenschaftlich angefochten, konnte aber 1952 durch einen in der Nähe der Komoren getätigten weiteren Fund erhärtet werden.[31] 1988 konnte der Komoren-Quastenflosser (L. chalumnae) durch Tauchboote in so guter Qualität im Lebensraum gefilmt werden, dass erstmals Details der Lebensweise der in einer Tiefe von 120 bis 200 Metern in den Abhängen der vulkanischen Inseln lebenden Art dokumentiert wurden.[35][36] 1998 wurde dann vor der Nordküste der von den Komoren weit entfernt gelegenen und zu Indonesien gehörenden Insel Manado Tua vor Sulawesi (ehemals: Celebes) ein weiterer Quastenflosser gefangen,[35][31][32] der auf Basis seiner von L. chalumnae abweichenden Färbung und genetischen Merkmale als eigenständige Art, Manado-Quastenflosser (L. menadoensis), beschrieben wurde.[35][31][32] – Der Komoren-Quastenflosser wird allerdings inzwischen als „vom Aussterben bedroht“ eingestuft (IUCN, 2000[37]), der Manado-Quastenflosser als „gefährdet“ (IUCN, 2008).[38] Die hauptsächliche Ursache für die massive Gefährdung des Komoren-Quastenflosser soll nicht in der lokalen Fischerei bestehen, sondern in der nach 1952 entbrannten weltweiten Sammelbegierde von Museen, Forschungseinrichtungen, Naturalienhändlern und Kuriösitätensammlern, die hohe Preise für dieses bekannteste „lebende Fossil“ bieten, obwohl der fortlaufende Fang der Tiere aufgrund der bereits an über 200 Exemplaren erfolgten, intensiven Erforschung kaum mehr mit wissenschaftlichem Bedarf zu rechtfertigen ist.[31]
Laotische Felsenratte: Lazarus-Art und lebendes Fossil
Lebendes junges Männchen[39]
Verbreitung anhand von Museumsmaterial
  • Laotische Felsenratte (Laonastes aenigmamus): Die Art gilt als besonders eindrückliches Beispiel für den „Lazarus-Effekt“ in der Gruppe rezenter Säugetiere. In diesem Fall wurde demnach nach einer zeitlichen Nachweis-„Lücke“ von rund 11 Millionen Jahren ein ehemals als ausgestorben betrachtetes Taxon (die sonst zuletzt aus den frühen Oligozän- und späten Miozän-Schichten fossil belegte Nagetier-Familie der Diatomyidae) in der Biota der Gegenwart in der Region Khammuan wiederentdeckt.[40][41][42][32][30] 1996 wurden erstmals Kadaver der Art als angebotenes Nahrungsmittel in Süd-Laos von Wissenschaftlern entdeckt.[43] 2005 wurde anhand des Materials die Familie Laonastidae, die Gattung Laonastes und die Art L. aenigmamus wissenschaftlich beschrieben.[43][41] Lebende Exemplare konnten gefilmt und eingefangen werden.[42] 2006 wurde die Art in die Familie Diatomyidae gestellt.[40][41] 2007 wurde die umstrittene taxonomische Stellung der Art im Stammbaum der Säugetiere und damit die umstrittene Einordnung als Lazarus-Art mit molekularbiologischen Methoden überprüft und die Zugehörigkeit zur Familie Diatomyidae bestätigt. Aufgrund dieser anhand von morphologischen und molekularen Daten vorgenommenen Klassifikation wurde die Hypothese aufgestellt, dass es sich bei der Art um ein lebendes Fossil handelt.[41][40][42] Die Art wird als „nicht gefährdet“ eingestuft (IUCN, 2016).[44]
Chaco-Pekari: Lazarus-Art, aber „stark gefährdet“
Lebendes Individuum in Paraguay (im Nationalpark Teniente Agripino Enciso, 2019)
Verbreitung

Einige Taxa wurden zunächst fossil oder subfossil aus dem Pleistozän beschrieben, dann aber nachträglich auch in der Biota der Gegenwart entdeckt und den aus dem Pleistözän beschriebenen Taxa zugeordnet:

  • Chaco-Pekari (Catagonus wagneri): rezente Individuen der Art wurden in den 1920er Jahren im bolivianischen Teil des Gran Chaco als unbeschriebene dritte und scheinbar neuentdeckte Art der damals bekannten Vertreter der Familie Nabelschweine oder Pekaris entdeckt und konnten später vom Mammalogen Martin Eisentraut gesichtet werden.[45] Erst 1975 wurde diese dritte rezente Pekari-Art dann anhand von 1972 im paraguayischen Teil des Gran Chaco entdeckten rezenten Individuen wissenschaftlich beschrieben, wobei diese Individuen jedoch der in der Paläontologie 1930 bereits erstbeschriebenen Art Catagonus wagneri zugeordnet werden konnten, die anhand von fossil und subfossil im unteren und mittleren Pleistozän Nordargentiniens erhaltenen Knochenresten bekannt war,[46][47][48][45] bereits zum Zeitpunkt ihrer Erstbeschreibung als seit 20.000 Jahren ausgestorben galt[49][30] und nun also in gewissem Sinne in der rezenten Tierwelt „wiederentdeckt“ wurde.[46][47][48][45] 1985 wurde die Art durch Eisentraut auch für ihr zuvor schon gemeldetes Verbreitungsareal in Bolivien bestätigt. – Dieser Fall ist ein aufsehenerregendes Beispiel für den Nachweis einer Säugetierart mit beachtlicher Körpergröße in der rezenten Fauna, die der Wissenschaft zunächst nur fossil bis subfossil bekannt war.[45][48][50] Allerdings reagieren die vereinzelten Freilandpopulationen sehr empfindlich auf anthropogene Eingriffe und der Gesamtbestand der als „stark gefährdet“ eingestuften Art (IUCN, 2015[51]) wird auf nur noch wenige tausend Individuen geschätzt.[52]
Bergbilchbeutler: Lazarus-Art, aber „vom Aussterben bedroht“
Lebendes Exemplar (Zoos Victoria)
Verbreitung (in Australien)
  • Bergbilchbeutler (Burramys parvus): Diese Bilchbeutlerart wurde 1895 anhand von fossilem Material aus New South Wales beschrieben, das als dem Pleistozän zugehörig gedeutet wurde. Sie wurde für eine bis dahin unbekannte und ausgestorbene Beuteltier-Art gehalten. 1966 wurde dann in einer Skihütte auf dem Mount Hotham ein lebendes Individuum entdeckt, womit die fossil bekannte Art als alpines und subalpines Element der Rezentfauna wiederentdeckt wurde. – Kaum als rezent überlebendes Faunenelement „wieder“entdeckt, wurde die Art allerdings als „vom Aussterben bedroht“ (IUCN, 2008[53]) eingestuft. Denn aufgrund fehlender höher gelegener Rückzugsgebiete oder Korridore zum Ausweichen in den klimatisch kälteren Süden der Südhalbkugel wird für den erwarteten Fall des Eintretens der prognostizierten globalen Erwärmung vom sicheren Aussterben dieser in ihrem Verbreitungsgebiet stenök an Hochgebirge gebundenen Art in der Wildbahn ausgegangen.[54]
Mallorca-Geburtshelferkröte: Lazarus-Art, aber „stark gefährdet“
Lebende Individuen
Typisches Habitat
Verbreitung (auf Mallorca)
  • Mallorca-Geburtshelferkröte (Alytes muletensis): 1979 (nominell: 1977) wurde die Art nach auf Mallorca gefundenen Knochenresten aus dem Pleistozän beschrieben und dafür die neue Gattung Baleaphryne in der Familie Scheibenzüngler geschaffen.[45][55] 1980 wurde an sehr unzugänglicher Stelle im Nordosten Mallorcas ein rezent lebender Bestand entdeckt, der als der aus dem Pleistozän beschriebenen Art zugehörig identifiziert wurde. Aufgrund des beobachteten Brutpflegeverhaltens der lebenden Männchen wurde die Art dabei aber in die von festlandbewohnenden Vertretern bekannte Gattung Alytes (Geburtshelferkröten) gestellt.[45] – Dieser Fall ist ein Beispiel für eine Froschlurchart mit Verbreitungsgebiet in Europa, die zunächst paläontologisch beschrieben, dann aber auch rezent nachgewiesen wurde.[45] An diesem Fall der als „stark gefährdet“ eingestuften Art (IUCN, 2020[56]) zeigt sich zudem exemplarisch, wie eingehende wissenschaftliche Studien in eine erfolgreiche Erhaltungszucht mündeten.[45]
La-Gomera-Rieseneidechse: Lazarus-Art, „vom Aussterben bedroht“
Lebendes Individuum in einem Wildtierrehabilitationszentrum für Rieseneidechsen im Valle Gran Rey (Foto: Juli 2007)
  • La-Gomera-Rieseneidechse (Gallotia bravoana): die Art wurde 1985 anhand von auf der Kanarischen Insel La Gomera gefundenen Skelettresten als zwei subfossile Unterarten (Gallotia simonyi bravoana und Gallotia simonyi gomerana) der auf der Kanarischen Insel El Hierro beheimateten El-Hierro-Rieseneidechse erstbeschrieben[45] und für seit langem ausgestorben gehalten.[57] 1999 wurden lebendige Individuen bekannt und damit die beiden Taxa als rezente Form wiederentdeckt,[45][57] die zu dieser Zeit nach Bischoff (1998) als Unterart Gallotia simonyi bravoana zusammengeführt worden waren.[45] Seit 2006 wird die einst auf La Gomera weit verbreitete Art, die heute auf einem weniger als einen Hektar großen Areal lebt, offiziell als „vom Aussterben bedroht“ eingestuft (IUCN, 2009).[57] Neben rund 90 in der Wildbahn lebenden Tieren[57][58] existiert auch eine erfolgreiche Erhaltungszucht in einer Zuchtanlage (2004: 44 Tiere).[57][45][58]
Beispiele aus dem Pflanzenreich
Metasequoia: Lazarus-Taxa und lebende Fossilien
49 Millionen Jahre altes Fossil eines benadelten Kurztriebs der 1941 anhand von Fossilien beschriebenen Gattung[59][60]
Im Herbst abgeworfene, benadelte Kurztriebe vom Urweltmammutbaum (Metasequoia glyptostroboides), der einzigen rezenten Art der Gattung. Die lebende Art wurde wenige Jahre nach Beschreibung der fossilen Gattung entdeckt und später als dieser Gattung zugehörig erkannt.[59]
Urweltmammutbaum im sommergrünen Nadelkleid in Graz (Foto: Mai 2011).
Nach ihrer Entdeckung in den 1940ern wurde die Art auch in Europa angepflanzt.[61]
Wollemia: Lazarus-Taxon, aber „vom Aussterben bedroht“
Eingetopfte junge Wollemien neben Fossilien-Repliken einer ähnlichen Art auf der Euroflora-Ausstellung in Genf (Foto: 2022)
Lage des Wollemi-Nationalparks, dem einzigen natürlichen Standort der rezenten Art
  • Gattung Metasequoia mit der einzigen rezenten Art Urweltmammutbaum (Metasequoia glyptostroboides):[59][61] Nachdem die Erstbeschreibung der Gattung Metasequoia 1941 anhand fossiler Reste aus dem Tertiär (genauer: Pliozän) erfolgt war, wurde einige Jahre später eine ebenfalls in den 1940er Jahren neu entdeckte Baumart aus China, der Urweltmammutbaum, als in allen wesentlichen Merkmalen übereinstimmend mit Metasequoia erkannt und dieser Gattung zugeordnet.[61][59] Ob Metasequoia nicht nur als „Lazarus-Taxon“, sondern auch als ein „lebendes Fossil“ betrachtet werden kann, hängt davon ab, für wie bedeutend die evolutiven Veränderungen dieser Bäume in den letzten rund fünf Millionen Jahren eingeschätzt werden.[59]
  • Gattung Wollemia mit der einzigen rezenten Art Wollemie (Wollemia nobilis): Dieses Lazarus-Taxon wurde zunächst anhand von Fossilien entdeckt und galt als vor 2 Millionen Jahren ausgestorben, bis 1994 in einem etwa 200 Kilometer von Sydney entfernten, abgelegenen Gebiet des Wollemi-Nationalparks ein 20 Altbäume und ähnlich viele Jungbäume umfassender Reliktbestand entdeckt[62][63][64][65] und 1995 die Gattung Wollemia erstbeschrieben wurde.[66] Der Pollen von Wollemia weist praktisch keinen Unterschied zum fossilen Pollen der fossilen Gattung Dilwynites auf, deren Fossilbericht rund 90 Millionen Jahre bis in die Kreidezeit (genauer: Turonium) zurückreicht. Dies wird als Anzeichen dafür gewertet, dass die Gattung – nicht die noch existierende Art – einen sehr langen Fossilbericht besitzt.[66] Heute existieren weniger als 100 Bäume der Wollemie,[64][63] einige davon vermutlich zwischen 500 und 1000 Jahre alt.[63] Die Art hat nur im Wollemi-Nationalpark überlebt und wird als „vom Aussterben bedroht“ eingestuft (IUCN, 2011).[66] – Die Wollemie ist ein Beispiel für ein botanisches Lazarus-Taxon nach dem paläontologischen Konzept, das über die Botanik hinaus weltweit große Berühmtheit erlangt hat.[65] Die Entdeckung der in Form großer Bäume wachsenden Wollemie als rezente Art in weniger als 100 Kilometer Entfernung von Australiens größter Stadt wurde auch als spektakulärer Beleg für das Phänomen herangezogen, dass die relativ geringe Anzahl botanischer Sammler in Australien vor dem 20. Jahrhundert kaum das Spektrum der gesamten Flora der Gefäßpflanzen Australiens erfasst und beschrieben haben dürfte, so dass es möglich erscheint, dass nicht nur eine wahrscheinlich hohe Anzahl wenig bekannter Taxa wie Mikroorganismen, Pilze, Nicht-Gefäßpflanzen oder Wirbellose Tiere bereits im Zuge des modernen Artenschwundes ausgestorben waren, bevor sie gesammelt oder beschrieben wurden, sondern auch eine bedeutende Anzahl besser untersuchter und auffälligerer Taxa wie beispielsweise Gefäßpflanzen.[4]
  • Matoniaceae: diese auch rezent noch vorkommende, zur Klasse der Echten Farne gehörende Familie aus der Ordnung der Gleicheniales erscheint im Fossilbericht erstmals im Perm, verbreitete sich dann weltweit im Jura und in der Kreidezeit, verschwand jedoch am Ende der Kreidezeit auf der Nordhalbkugel. Wegen drei rezent vorkommenden Gattungen der Familie in Südostasien wurde zwischenzeitlich angenommen, dass die Matoniaceae ein Lazarus-Taxon darstellen, doch ist die Familie inzwischen im Fossilbericht in der Antarktis, Argentinien, Australien und Neuseeland auch für das Känozoikum belegt.[67]

Neontologische Konzepte (Naturschutzbiologie)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Lineare Darstellung der Kategorien
Flussdiagramm zur Darstellung der Struktur der Kategorien[68]
Eine noch nicht ausgewertete Art fällt in die Kategorie „nicht ausgewertet“ (NE). Eine ausgewertete Art, für die nicht genügend Daten für eine Einstufung der Bestandsgefährdung verfügbar sind, wird in die Kategorie „unzureichende Datengrundlage“ (DD) eingestuft. Eine ausgewertete Art, für die genügend Daten für eine Einstufung der Bestandsgefährdung verfügbar sind, kann als mit einem geringeren Risiko des Aussterbens behaftet – Kategorien „nicht gefährdet“ (LC) oder „potenziell gefährdet“ (NT) –, als mit einem hohen Risiko des Aussterbens behaftet – also als bedroht: Kategorien „gefährdet“ (VU), „stark gefährdet“ (EN) oder „vom Aussterben bedroht“ (CR) – oder als ausgestorben – Kategorien „in der Natur ausgestorben“ (EW) oder „ausgestorben“ (EX) – eingestuft werden.[68]

Der Begriff „Lazarus-Taxon“ hat auch in der Neontologie, also der Erforschung noch existierender Organismen, ein gewisses Maß an Akzeptanz gefunden, und bezeichnet dort – anders als bei der Verwendung in der Paläontologie – eine wiederentdeckte Gruppe von noch lebenden Organismen, die bereits jahrelang allgemein als ausgestorben gegolten hatte.[65] Der ursprünglich im Kontext der Paläontologie geprägte Begriff „Lazarus-Effekt“ wird heute in der Biologie also häufig verwendet, um das Überleben jedes (rezenten) Taxons anzusprechen, das – unabhängig von der dazwischen liegenden Zeitdauer – zunächst als ausgestorben gilt, dann aber „wieder aufgetaucht“ ist.[30]

Dieses nicht seltene Phänomen vorzeitiger Einstufungen von Arten als ausgestorben hat zu verschiedenen Begriffsbildungen geführt. Neben dem Begriff Lazarus-Effekt (englisch Lazarus effect im Sinne von Keith & Burgman, 2004[4]) existiert auch der Terminus Romeo-Irrtum (englisch Romeo error im Sinne von Collar, 1998[69]).[70] Die Phänomene Lazarus-Effekt und Romeo-Irrtum sind zwar beides Fälle einer irrtümlichen Einordnung in die Gefährdungskategorie „ausgestorben“, behandeln jedoch verschiedene Seiten der Problematik des Datenmangels im Bereich der Biodiversität, denn sie befassen sich mit unterschiedlichen Aspekten dieser Problematik und beschreiben unterschiedliche Folgen, die daraus entstehen.[71]

Lazarus-Effekt als Entfernung eines Taxons aus der Liste der ausgestorbenen Taxa[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Der Lazarus-Effekt bezieht sich auf den Wechsel in der Zusammensetzung von Listen ausgestorbener Arten aufgrund von Änderungen im Wissen über die als ausgestorben geltenden Arten oder Populationen (etwa auf Basis von Verbesserungen im Wissen über ihre Taxonomie oder Verbreitung)[71] und behandelt die Entfernung eines Taxons aus der Liste der ausgestorbenen Taxa.[72][73][71][74]

Häufigkeit der Wiederentdeckungen und Ausmaß des Biodiversitätsverlusts[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In der Literatur sind zahlreiche Fälle dokumentiert.[30] In einer Übersichtsarbeit im Jahr 2011[75] wurde nach Auswertung der wissenschaftlichen Literatur identifiziert, dass mindestens 351 Arten (103 Arten von Säugetieren, 144 Vogelarten und 104 Amphibienarten) nach einem angenommenen Aussterben in den vorangegangenen 122 Jahren wiederentdeckt worden waren,[75][30][76] und seit Veröffentlichung der Übersichtsarbeit steigt die Zahl der wiederentdeckten Arten durch zusätzliche Fälle noch weiter an.[30][76] Im Durchschnitt lagen zwischen der Meldung des Aussterbens und dem Wiederfund etwa 60 Jahre.[75]

Links: Artenschwund der Megafauna auf verschiedenen Landmassen (Afrika, Australien, Nordamerika, Madagaskar) nach Ankunft der Menschen (Homo sapiens) dort: Intensität und Reihenfolge des Aussterbens folgen der kulturellen Entwicklung – Ordinate: Anteil der überlebenden Großsäugerarten (in Prozent); Abszisse: Zeitverlauf in dekadisch logarithmischer Einteilung (in KYA = kiloyears ago = 1000 Jahren); die schwarzen Pfeile markieren die Ankunft des Menschen auf den jeweiligen Landmassen.[78]
Rechts: Anteil der Wirbellosen, Pflanzen, Reptilien und Säugetiere in Sub-Sahara-Afrika, die als seit dem Jahr 1500 oder später „ausgestorben“, „ausgestorben in der Natur“ oder „wahrscheinlich ausgestorben“ eingestuft sind. – Die gestrichelte Linie stellt die natürliche Aussterberate dar, die ohne Einflüsse der Menschen zu erwarten wäre.[79]

Die Rote Liste der IUCN führte im Jahr 2020 878 Arten (755 Tiere und 123 Pflanzen) auf, die seit Beginn der Neuzeit (vor rund 500 Jahren) offiziell als ausgestorben gelten. Tatsächlich ist davon auszugehen, dass die Anzahl der rezent ausgestorbenen Arten, die durch die Kategorie „Ausgestorben“ auf der Roten Liste der IUCN dokumentiert sind, signifikant unterschätzt ist, also eine hohe Dunkelziffer ausgestorbener Arten existiert. Der zu geringe Wissensstand und die Gefahr eines unbemerkten Aussterbens zahlreicher Arten wird daran deutlich, dass in die erst vor wenigen Jahren eingeführte IUCN-Kategorie „Möglicherweise ausgestorben“ bereits 935 Arten fallen, also mehr als in die Kategorie „Ausgestorben“. Nach Ansicht vieler Wissenschaftler und Naturschützer repräsentieren die offiziellen Zahlen der IUCN-Kategorien den dramatischen Biodiversiätsverlust nicht adäquat. Jüngere Schätzungen der Aussterberaten lassen vermuten, dass jedes Jahr Hunderte von Arten an den Rand des Aussterbens geraten.[80]

Viele Wissenschaftler vertreten die Ansicht, dass die Artenvielfalt vermutlich weltweit bedroht ist, weil ein Artensterben enormen Ausmaßes bereits begonnen habe, das als „sechstes Massenaussterben“ (englisch auch: Holocene extinction oder Anthropocene extinction) bekannt ist und im Gegensatz zu den prähistorischen „großen Fünf“ (englisch auch: Big Five) Aussterbeperioden katastrophalen Ausmaßes in der Erdgeschichte anthropogen bedingt, also größtenteils auf menschliche Einflüsse oder Faktoren zurückzuführen sei,[80][76] wie die übermäßige Ausbeutung natürlicher Ressourcen („Übernutzung“), die Fragmentierung von Lebensräumen („Habitattrennung“), die Urbanisierung, der Handel mit Wildtieren, die Einführung invasiver Arten („biologische Invasion“), die Umweltverschmutzung und die Globale Erwärmung im Zuge des anthropogenen Klimawandels.[76][81]

Bedeutung der Wiederentdeckungen für Naturschutz und Biogeographie[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In diesem Zusammenhang haben Wiederentdeckungen für ausgestorben gehaltener Arten sowohl anspornende, als auch alarmierende Wirkung und sind von großem potenziellem Interesse für Naturschützer und Biogeographen.[76][80]

„25 meistgesuchte verlorenen Arten“-Kampagne von re:wild zur Wiederentdeckung von Arten
Die in Brasilien endemische Stechpalmenart Ilex sapiiformis („vom Aussterben bedroht“, IUCN 2020) war 1837 zuletzt gesichtet worden, bis sie 2023 wiederentdeckt wurde.[82][83]
Die in Portugal endemische, 1931 erstbeschriebene und 2021 wiederentdeckte Nemesia berlandi aus der Familie der Braunen Falltürspinnen ist die zwölfte Art auf der über 2000 Arten umfassenden „Lost Species“-Gesamtliste und eine von acht Arten der 25 Arten umfassenden Auswahl, die seit Beginn der Kampagne (2017) wiederentdeckt wurde.[84][82] Der Fortbestand der Art wurde auf die Bewahrung der lokalen Wälder zurückgeführt.[84]

2017 wurde von der Nichtregierungsorganisation Global Wildlife Conservation (GWC, später „re:wíld“) ein Programm mit einer Liste von „25 meistgesuchten verlorenen Arten“ zur Suche und Wiederentdeckung von Arten angestoßen, über die wenig Kenntnisse vorliegen und die seit vielen Jahrzehnten oder seit Jahrhunderten nicht mehr erfasst wurden.[80] Dazu hatte GWC in Zusammenarbeit mit über 100 wissenschaftlichen Experten aus den Fachgruppen der Species Survival Commission (SSC) der IUCN eine Liste von zunächst 1.200 (Stand Winter 2023: über 2.200) Tier- und Pflanzenarten zusammengestellt, die für die Wissenschaft seit mindestens 10 Jahren verschollen geblieben waren und von denen die „25 meistgesuchten verlorenen Arten“ als Teilmenge für die Öffentlichkeitsarbeit herausgesucht wurden.[85][86]

Der Wiederentdeckung „verlorener“ Arten kommt im Naturschutz hohe Bedeutung zu, weil sie zum einen wichtige Daten für Erhaltungsmaßnahmen beisteuern kann[80] und zum andern auch den Motivationsfaktor Hoffnung trotz der im Zusammenhang mit dem „sechsten Massenaussterben“ bestehenden Biodiversitätskrise nährt.[80][76] Die Wiederentdeckung von Arten kann jedoch nicht nur mediales Interesse, Naturschutzanstrengungen und wissenschaftliche Studien zum Verständnis des Bestandsrückgangs für die betroffenen Arten nach sich ziehen, sondern auch eine ungerechtfertigt optimistische Einschätzung zum Überleben der Art.[76]

Die meisten wiederentdeckten Arten leben in abgelegenen Regionen der Tropen.[75] In den meisten Fällen handelt es sich bei der Wiederentdeckung der Art um die erste Gelegenheit seit ihrer Erstbeschreibung, Daten über die Art zu erheben, unter anderem, weil viele Arten anhand von lediglich einem oder wenig mehr als einem Museumsexemplar beschrieben wurden, das Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte zuvor gesammelt worden war. Durch eine verbesserte Charakterisierung ihrer Lebensräume können einige wiederentdeckte Arten nach ihrer Wiederentdeckung häufiger angetroffen werden und es kann zur Anpassung ihres eingeschätzten Gefährdungsgrads kommen.[76]

Fast 90 Prozent der wiederentdeckten Arten waren so selten, dass sie anschließend als vom Aussterben bedroht eingeschätzt werden mussten.[75] Viele wiederentdeckte Arten stellen sich also nach ihrer Wiederentdeckung als tatsächlich vom Aussterben bedroht heraus und benötigen aufeinander abgestimmte Anstrengungen zu ihrer Erhaltung, damit ihr Aussterben abgewendet werden kann. Insbesondere bei den nur unzulänglich ökologisch charakterisierten Fällen stellt die Wiederentdeckung der Art somit nur einen ersten Schritt dar, dem zahlreiche weiter Maßnahmen folgen müssen.[76] Die Wiederentdeckung einer ausgestorben geglaubten Art kann Naturschützer und Naturschutzbehörden vor verschiedene Probleme und Dilemmas stellen, die eine Entscheidung erfordern, welche geeignete Schritte unternommen werden können und in welche Richtung künftige Schutzmaßnahmen gehen sollten.[87][88]

Abgrenzung zum Konzept des Romeo-Irrtums[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Die Bedeutung der Untersuchung von „Lazarus-Arten“ für den Naturschutz wurde von Collar (1998) aufgezeigt, als er den Begriff „Romeo-Irrtum“ prägte.[30] Im Gegensatz zum Lazarus-Effekt bezieht sich das Phänomen des Romeo-Irrtums auf die Auswirkungen auf die Artenschutzbemühungen[71] und behandelt das verfrühte Aufgeben eines Taxons durch den Natur-oder Artenschutz,[72][73][71][74] ist also begrifflich zu trennen sowohl von dem in der Paläontologie als Lazarus-Effekt bekannten Phänomen (im Sinne von Wignall & Benton, 1999[3]),[72][73][71][74] als auch von dem in der Naturschutzbiologie als Lazarus-Effekt bekannten Phänomen (im Sinne von Keith & Burgman 2004[4]).[72]

Beispiele für Tiere[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Beim Lazarus-Effekt im Sinne der Wiederentdeckung von Arten, die in der Roten Liste der IUCN bereits als „ausgestorben“ aufgeführt worden waren, handelt es sich um ein recht häufiges Phänomen[89] mit hunderten beschriebenen Fällen allein im Bereich der Amphibien, Vögel und Säugetiere.[1][75] Die Rote Liste der IUCN gilt als maßgeblichste Grundlage, wie die Arten nach ihrem Aussterberisiko zu klassifizieren sind und welche Arten als rezent „ausgestorben“ einzuordnen sind.[90]

Faktoren für das Aussterben und die Bedrohung von Wildtierarten am Beispiel Afrika
Links: Verortung ausgestorbener (inklusive „in der Natur ausgestorbener“) Wildtierarten in Subsahara-Afrika seit 1500. Bei den meisten Fällen handelt es sich um Arten mit begrenzter Verbreitung, insbesondere inselbewohnende. Die in der Natur ausgestorbene Säbelantilope ist dagegen ein Beispiel für Festlandarten, die trotz ihres großen ursprünglichen Verbreitungsgebiets ausgestorben sind.[91]
Rechts: Die größten Bedrohungen (Habitatverlust, Übernutzung, invasive Arten und Krankheiten, Umweltverschmutzung) für verschiedene Tiergruppen (Säugetiere, Vögel, Knochenfische, Weichtiere) Afrikas. Der Einfluss des Klimawandels wird unterschätzt, da seine Auswirkungen auf die meisten Arten noch abzuschätzen sind[81]

Grundlegend kann zum Verbreitungsspektrum der betroffenen Arten angemerkt werden, dass es sich bei einem Großteil der vom Aussterben bedrohten, im Aussterben befindlichen oder (gegebenenfalls auch nur scheinbar) ausgestorbenen Tierarten um inselbewohnende Endemiten handelt. Weltweit gilt, dass der Hauptgrund für das Aussterben von Tierarten auf Inseln in der Einführung invasiver Neozoen liegt.[92] Allerdings ist beispielsweise von der Avifauna belegt, dass der Anteil der inselbewohnenden an den ausgestorbenen Arten rückläufig ist, während der Anteil der festlandbewohnenden Arten zunimmt, möglicherweise, weil die meisten potenziellen Neozoen auf ursprünglich beutegreiferlosen Inseln bereits eingeführt worden sind und sich nun verstärkt die auch auf dem Festland stark wirkende, anthropogene Lebensraumzerstörung auswirkt.[90] Von aussterbenden inselbewohnenden Reptilientaxa ist mehrfach das Phänomen beobachtet worden, dass sie länger auf einer kleinen Rand- oder Nebeninsel eines Archipels als auf dessen Hauptinsel zu überdauern scheinen.[45]

Die wiederentdeckten Taxa innerhalb der Reptilien und Amphibien leben häufig stärker verborgen und sind oft schwerer aufzuspüren als Vertreter anderer landbewohnender Tiergruppen.[34]

Vögel[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Den besten Grad an Dokumentation auf der Roten Liste weist die Organismen-Klasse der Vögel auf, für deren Erhaltungszustand beziehungsweise Gefährdungsstatus bereits mehrfach vollständige Bewertungen auf weltweiter Ebene von BirdLife International und IUCN veröffentlicht wurden.[90] In der Ornithologie kam es auch zur intensivsten Beschäftigung mit Fragen, die Rückstufungen in der Gefährdungskategorie betreffen, sowie zum Versuch einer differenzierten Behandlung der Thematik, die durch eine Vielzahl spektakulärer Wiederentdeckungen verschollener und als ausgestorben eingestufter Vogeltaxa veranschaulicht werden kann.[93]

Beispiel Elfenbeinspecht, „vom Aussterben bedroht“ (IUCN, 2020)[116]
Weibchen (links) und Männchen
Männchen (unten rechts), gezeigt zusammen mit Präparaten ausgestorbener Arten wie Dodo (Pärchen weiter links) und Wandertaube (Pärchen links oben)
Beide Bilder zeigen Präparate im Natural History Museum in London
  • Elfenbeinspecht (Campephilus principalis): seit den 1920er Jahren mehrfach verloren gegangen geglaubte (1994 und 1996 auf der Roten Liste der IUCN als ausgestorben gelistet[116]) und wiederentdeckte Art. - Die letzte offizielle Sichtung erfolgte 1944, doch wurden erneut Hinweise auf ein mögliches Fortbestehen der Art gemeldet.[238] Die als „vom Aussterben bedroht“ (IUCN, 2020) geführte[116] und möglicherweise ausgestorbene Art gilt als Beispiel der charismatischen Megafauna (Flaggschiffart)[239][240] und hat im Zuge der Frage über ihr Aussterben sowohl im akademischen wie auch im Amateurbereich viel Aufmerksamkeit von Ornithologen erhalten.[239] Ihre zwischenzeitliche Wiederentdeckung war von Umweltskeptikern genutzt worden,[241][242] um die unter Ökologen vorherrschende Ansicht in Frage zu stellen, dass der Erde eine globale anthropogene Massenaussterben-Krise bevorsteht.[242] Ron Rohrbaugh (Cornell Lab of Ornithology), der im April 2004 die Sichtung eines Elfenbeinspechts in Arkansas gemeldet hatte, warnte im Jahr 2010 davor, aus dem Fehlen neuerer erhärtender Belege für seine und andere zurückliegenden Sichtungen der Vogelart voreilig die Ausrottung des Elfenbeinspechts zu schlussfolgern und begründete dies mit den drohenden tiefgreifenden negativen Folgen eines möglichen Romeo-Irrtums.[243] Andererseits wurde der Fall des Elfenbeinspechts, der nach seiner angeblichen Wiederentdeckung im Jahr 2004 trotz fünf Jahre andauernder intensiver Suche nicht mehr entdeckt wurde und für dessen Erhaltung ein hoher finanzieller Aufwand betrieben wurde, in der Wissenschaft aber auch als eindrückliches jüngeres Beispiel dafür genannt, dass aus dem Unterlassen der Aufführung einer ausgestorbenen Art in die Gefährdungskategorie „ausgestorben“ Kosten für den Naturschutz resultieren, insbesondere in Form eines vergeudeten Investierens von Ressourcen für Erhaltungsmaßnahmen in eine bereits ausgestorbene Art. Selbst wenn von diesen Erhaltungsmaßnahmen andere Arten profitieren sollten, könnten die Ressourcen in einem solchen Fall jedoch wohl effizienter eingesetzt werden. Für den Fall, dass die Art nach einiger Zeit doch als ausgestorben bestätigt wird, könnte es – ähnlich wie beim Lazarus-Effekt – zum Reputations- und Glaubwürdigkeitsverlust des Naturschutzes kommen.[89]
Großschnabelweber
  • Großschnabelweber (Ploceus megarhynchus): Die Wiederentdeckung dieser Art geschah 1889 und stellt damit den ersten dokumentierten Fall einer Wiederentdeckung dar.[75] Die Art wird seit 2021 als „stark gefährdet“ eingestuft (IUCN, 2021).[244]
  • Fuertespapagei (Hapalopsittaca fuertesi): Die Art war seit 1911 nur von der Typserie sicher bekannt. Nach möglichen Sichtungen zwischen 1980 und 2000 erfolgte die erste bestätigte Sichtung und somit Wiederentdeckung 2002. Die Art ist seit 1994 als „stark gefährdet“ eingestuft (IUCN, 2021).[155]
  • Gelbscheitelpipra (Lepidothrix vilasboasi): Die Art wurde seit 1957 nur von fünf am Typenfundort gesammelten Exemplaren bekannt, bis 2002 ein Männchen beobachtet und per Japannetz an einem 200 Kilometer entfernten Standort gefangen werden konnte. Seit 2021 als Least Concern („nicht gefährdet“), zuvor ab 1994 als Vulnerable („gefährdet“) und davor (1988) als „Threatened“ eingestuft (IUCN, 2021).[163]
Beispiele für auf Inseln brütende Meeresvögel
  • Bermuda-Sturmvogel (Pterodroma cahow): Die Art wurde 1620 zuletzt beobachtet, bis sie 1906 erneut gesichtet wurde.[45][209] Es dauerte jedoch bis 1951, bis das Brutgebiet entdeckt und damit die Wiederentdeckung gesichert war. Man fand damals 18 Brutpaare auf einer suboptimal geeigneten Felseninsel mit einer Gesamtfläche von einem Hektar in der Bucht Castle Harbour. Durch intensives Schutzmanagement wuchs die Population seitdem stetig an. Die Art wird immer noch als „stark gefährdet“ eingestuft (IUCN, 2018).[209] Im Jahre 2022 gab es 155 Brutpaare, die 77 Jungvögel aufzogen, was eine Gesamtbestand von etwa 550 Vögeln entspricht.[245]
  • Neuseeländische Sturmschwalbe (Oceanites maorianus): Da nach der Sammlung von drei Exemplaren im 19. Jahrhundert keine weiteren Nachweise verzeichnet wurden,[185] galt die Art als seit 1850 ausgestorben[50] und wurde auch von der IUCN seit 1988 bis einschließlich 2000 offiziell als ausgestorben eingeordnet.[185] Seit 2000 wurde sie jedoch wieder verzeichnet[50] und seitdem als „vom Aussterben bedroht“ eingeordnet (IUCN, 2018).[185] – Der Fall gilt als besonders bemerkenswerter Forschungsgegenstand, da die Art möglicherweise dadurch überleben konnte, dass sie andere Nistgewohnheiten angenommen hat, als noch für das 19. Jahrhundert für die Art bekannt waren.[50]

Die über 150 Jahre lang nicht mehr nachgewiesene Neuseeländische Sturmschwalbe ist, wie der über 100 Jahre verschwundene Magentasturmvogel (Pterodroma magentae), der ebenfalls über 100 Jahre verschwundene Macgillivray-Sturmvogel (Pseudobulweria macgillivrayi), der seit 1929 verschollene und möglicherweise 2006 wiederentdeckte Salomonensturmvogel (Pseudobulweria becki) und – besonders spektakulär – der fast 300 Jahre lang verschollene Bermuda-Sturmvogel, zudem ein Beispiel dafür, dass eine Anzahl auf Inseln brütender Meeresvögel vor ihrer Wiederentdeckung auffällig lange nicht mehr nachgewiesen worden waren. Da die Brutplätze auf Inseln von vielen Meeresvogelarten nachts aufgesucht werden und die dafür genutzten Nischen und Höhlen – auch bei sich tagsüber dort aufhaltenden Arten – leicht übersehen werden, bleiben ihre Brutplätze häufig unentdeckt, was auch für manche häufige Arten mit Populationsstärken von bis zu Zehntausenden Tieren gilt.[45]

  • Langbein-Buschsänger (Megalurulus rufus): Diese Singvogel-Art war historisch von vier, in den 1890er Jahren gesammelten Exemplaren bekannt und wurde lange Zeit für ausgestorben gehalten. Nach einer unbestätigten Meldung der Art im Jahr 1973 gelang die erste bestätigte Wiederentdeckung im Jahr 2003 im Wabu Forest Reserve (Fidschi), wo zwölf Pärchen entdeckt wurden. Die Art wird als „stark gefährdet“ eingestuft (IUCN, 2020).[231]
Südinseltakahe
Bild links: Weibchen (links) und Männchen der Südinseltakahe
Mitte: Subfossile und rezente Fundorte der Takahen auf Neuseeland
Rechts: Fundorte der Nordinseltakahe auf der Nordinsel
  • Südinseltakahe (Porphyrio hochstetteri): Die ehemals als eine Art (Porphyrio mantelli) zusammengefassten Takahan galten um 1930 als ausgestorben,[246] nachdem die letzten vier bekannten Exemplare 1898 entnommen worden sein sollen.[247] 1948 wurden diese größten und flugunfähigen Rallen jedoch auf der Südinsel in der Nähe vom Lake Te Anau wiedergefunden.[246][247] Als Hauptfeinde der Bestände in der Wildbahn werden vom Menschen nach Neuseeland eingeführte Arten wie der das Grasland abweidende Rothirsch und das nesträubernde Hermelin genannt.[246] Bei der „Wiederentdeckung“ der Art 1948 war das Vorkommen der Südinseltakahe auf die Murchison Mountains (Fiordland-Nationalpark) begrenzt. In den 1980er Jahren wurde ein Aufzuchtprogramm begonnen und einige Exemplare konnten auf raubtierfreien „Festlandinseln“ freigelassen werden.[204] Der Bestand umfasst über 200 Exemplare.[246][204] Die Art wird als „stark gefährdet“ eingestuft (IUCN, 2020).[204] Im Gegensatz dazu wurde die auf der Nordinsel endemische Nordinseltakahe (P. mantelli) durch anthropogen verursachten Lebensraumverlust ausgerottet und wird von der IUCN seit dem Jahr 2000 als „ausgestorben“ aufgeführt (IUCN, 2016). Von ihr existiert nur ein einziger historischer Nachweis, der aus dem Jahr 1894 stammt.[248]
  • Madagaskar-Schlangenhabicht (Eutriorchis astur): Zwischen 1930 und 1993 konnte die Art nicht sicher nachgewiesen werden. Sie wird als „stark gefährdet“ eingestuft (IUCN, 2016).[144]
  • Banggai-Krähe (Corvus unicolor): Die Art war lange nur von zwei Museumsexemplaren unklarer Herkunft von den Banggai-Inseln bekannt. Ihr Überleben konnte aber nach einer unbestätigten Sichtung auf Peleng (1991) durch Suche auf dieser Insel in den Jahren 2004, 2006 und 2007 auf bestätigt und die Art somit wiederentdeckt werden. Seit 2005 wird die Art als „vom Aussterben bedroht“ eingeordnet (IUCN, 2017).[132]
  • Flores-Zwergohreule (Otus alfredi): Die auf Flores endemische Art wurde nach ihrer ersten Sammlung im Jahr 1896 nicht mehr gesehen, bis im Jahr 1994 Exemplare gefangen wurden. Seit 2000 wird die Art als „stark gefährdet“ eingestuft (IUCN, 2016).[187]
Lazarus-Arten unter Insel-Endemiten auf Cebu
Vierfarben-Mistelfresser auf philippinischer Briefmarke
Cebuschama auf philippinischer Briefmarke
Lage Cebus zwischen benachbarten Inseln
  • Vierfarben-Mistelfresser (Dicaeum quadricolor): Die Art gehört zu mehreren vorzeitig für ausgestorben erklärten Taxa auf der Insel Cebu[89][249][69][250] und wurde seit 1906 für ausgestorben erachtet,[251][252] dann aber 1992 – also nachdem sie seit 86 Jahre nicht nachgewiesen worden war[250][89] und seit mindestens 40 Jahren als ausgestorben galt[89][253] – in einem sehr kleinen Restwaldfragment wiederentdeckt.[251][252][249][69] – Es handelt sich beim Vierfarben-Mistelfresser zudem um den ersten Fall, für den das Phänomen des „Romeo-Irrtums“ beschrieben und verwendet wurde,[89][249][69][250] da die heute vom IUCN als „vom Aussterben bedroht“ (IUCN, 2021) eingestufte Art[135][249] nach Einschätzung der Wissenschaftler einen weitaus besseren Erhaltungszustand zeigen könnte, wenn die Schutzanstrengungen zwischenzeitlich nicht infolge der irrtümlichen Einordnung als „ausgestorben“ aufgegeben worden wären.[249][69][89]
  • Cebuschama (Copsychus cebuensis): Rabor führte die Art 1959 als die einzige von zehn endemischen Vogel-Taxa auf der Insel Cebu auf, die noch vorgefunden wurde.[254] Nach Rabors Veröffentlichung wurde die endemische Avifauna der Insel 1960 von der Ornithologie weitestgehend regelrecht aufgegeben.[255] In den 1970er Jahren wurde der Cebuschama aufgrund der Annahme, dass seine letzte Sichtung 1956 geschehen sei, offiziell als ausgestorben aufgeführt.[256] 1995 führte die Rote Liste die Art dagegen wieder als existent und „gefährdet“ auf.[257]
Lazarus-Arten unter Insel-Endemiten auf São Tomé oder auf Príncipe
Linkes Bild: gesicherte (grün) und mögliche (hellgrün) Verbreitung der Príncipe-Drossel auf Príncipe
Mittleres Bild: Stummelschwanzstelze, Endemit auf São Tomé
Rechtes Bild: São Tomé und Príncipe nebeneinander (links) und getrennt
  • Príncipe-Drossel (Turdus xanthorhynchus): Die auf Príncipe (São Tomé und Príncipe) endemische Art wurde seit den 1920er Jahren nicht mehr verzeichnet, bis sie 1997 wiederentdeckt wurde. Seit 2011 wird die Art als „vom Aussterben bedroht“ eingeordnet (IUCN, 2021).[258]
  • Stummelschwanzstelze (Motacilla bocagii): Die auf São Tomé endemische Art war nur aus sechs vor 1928 erfolgten Nachweisen bekannt, bis sie 1990 wiederentdeckt wurde. Die Art wird als „gefährdet“ eingestuft (IUCN, 2018).[99]
  • Einfarbgirlitz (Crithagra concolor): Diese auf São Tomé endemische Art war nur aus einem verbliebenen von drei zwischen 1888 und 1890 gesammelten Exemplaren bekannt[181][259] und galt deshalb als ausgestorben,[259] bis sie 1991 wiederentdeckt wurde.[259][181] Die Art wird als „vom Aussterben bedroht“ eingestuft (IUCN, 2021).[181]
  • São-Tomé-Würger (Lanius newtoni): Diese auf São Tomé endemische Art war nur aus Aufzeichnungen aus den Jahren 1888 und 1928 bekannt, bis sie 1990 wiederentdeckt wurde.[162][259] Die Art wird seit 1994 als „vom Aussterben bedroht“ eingestuft (IUCN, 2021).[162]

Sowohl der Einfarbgirlitz, als auch der São-Tomé-Würger, sind Beispiele dafür, dass die Wiederentdeckung von Arten, die einst als ausgestorben galten, nicht unbedingt als Zeichen von Fortschritten beim Artenschutz zu werten ist, sondern dass in vielen Fällen Lazarus-Arten schlicht übersehen werden, weil sie äußerst selten und auf isolierte Standorte beschränkt sind. Diese beiden auf dem Inselstaat São Tomé und Príncipe einheimischen Waldvögel weisen eine bemerkenswert ähnliche Entdeckungsgeschichte auf und existieren trotz ihrer jeweiligen Wiederentdeckungen weiterhin lediglich je als sehr kleine Population (mit weniger als 250 Individuen), die aufgrund des anhaltenden Verlusts ihres Lebensraums und der Auswirkungen invasiver Fressfeinde vom Aussterben bedroht sind.[259] Neben der Stummelschwanzstelze, dem Einfarbgirlitz und dem São-Tomé-Würger galt auch der laut IUCN als „vom Aussterben bedroht“ eingestufte Zwergolivenibis (Bostrychia bocagei), eine weitere endemische Vogelart São-Tomés,[112] jahrzehntelang als verschollen.[237]

  • Antioquia-Buschammer (Atlapetes blancae): Die Art war nur von drei 1971 gesammelten Museumsexemplaren bekannt, bis sie 2018 in den kolumbianischen Anden wiederentdeckt wurde. Seit 2009 wird sie als „vom Aussterben bedroht“ eingeordnet (IUCN, 2021).[260]
  • Godavarirennvogel (Rhinoptilus bitorquatus): Die lokal endemische Art war historisch nur aus wenigen Aufzeichnungen bekannt und galt als ausgestorben, bis sie 1986 wiederentdeckt wurde. Seit 2000 wird sie als „vom Aussterben bedroht“ eingeordnet (IUCN, 2017). Es existiert nur eine kleine, abnehmende Population, von der es aber seit 2009 keine bestätigten Sichtungen mehr gibt.[216]
  • Schwarzbrauen-Mausdrossling (Malacocincla perspicillata): Für eine Einstufung in eine Gefährdungskategorie gab die IUCN 2016 und 2020 „ungenügende Datengrundlage“ an, denn die Art war bis dahin nur vom Typusexemplar unklaren Ursprungs bekannt.[261][262] 2020 wurde die Art nach 170 Jahren auf Borneo wiederentdeckt, gefangen und fotografiert[261] und wurde in Medien als Beispiel für Lazarus-Arten angeführt.[19]
Beispiel für nach Jahrzehnten wiederentdeckte Vogelarten in Brasilien (im weitgehend zerstörten Cerrado)
Von Links nach rechts: Bild 1 + 2: Pelzeln-Spateltyrann mit Verbreitung
Bild 3: Lage der WWF-Ökoregion Cerrado laut WWF
Beispiele für nach Jahrzehnten wiederentdeckte Vogelarten in Brasiliens weitgehend zerstörtem Küstenregenwald
Von Links nach rechts: Bild 1 + 2: Rubinkehltangare mit Verbreitung
Bild 3 + 4: Goldhähnchentyrann mit Verbreitung
Bild 5: Ursprüngliche Ausdehnung des Atlantischen Regenwalds laut WWF

In den 1990er und 2000er Jahren wurden ungewöhnlich viele verschollene Vogelarten in Brasilien wiederentdeckt (bis 2007 mindestens 8 Vogelarten, die seit über 40 Jahren verschollen waren),[45] darunter etwa der je nach Angabe 48[45] oder 62[237] Jahre lang verschollen gebliebene Ockerbrust-Todityrann (Hemitriccus kaempferi, auch: „Braunrücken-Spateltyrann“),[45][237] sowie der zur gleichen Gattung gehörende und über 160 Jahre nur von seinem Holotypus bekannte, dann aber in der Nähe von Manaus wiederentdeckte Pelzeln-Spateltyrann (Hemitriccus inornatus).[45][237] Ein weiteres Beispiel ist die Witwentangare (Conothraupis mesoleuca), die trotz rund 65 Jahre nach ihrer Entdeckung in Resthabitaten wiederentdeckt wurde, obwohl ihr Lebensraum, die zentral in Brasilien gelegenen und ursprünglich weitläufigen Cerrado-Landschaften, durch landwirtschaftliche Nutzung weitgehend zerstört worden war.[45][237] Ebenfalls trotz der fast vollständigen Zerstörung seines Lebensraumes, des Regenwaldes an der Atlantikküste Brasiliens, wurde auch das Rubinkehltangare (Nemosia rourei) 1998 überraschend wiederentdeckt (nachdem es nach der Erstbeschreibung nur eine Sichtung, im Jahr 1941, gegeben hatte), sowie über 100 Jahre nach seiner letzten Sichtung der Goldhähnchentyrann (Calyptura cristata, auch: Rubinkrönchen).[45][237]

Säugetiere[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das Aussterben einer Art ist selbst bei gut bekannten Taxa wie Säugetieren schwer nachzuweisen.[263] 70 Prozent der angeblich ausgestorbenen Säugetierarten sind ohnehin von weniger als fünf Sichtungen bekannt.[264] Ähnlich wie bei den Vögeln liegt auch für die Säugetiere eine ganze Anzahl von Beispielen für bereits tot gehaltene und dann doch wiederentdeckte Taxa vor, sowohl im Rang von Arten, als auch im Rang von Unterarten oder auf Ebene von Populationen.[45]

Laut einer zuerst 2010 online veröffentlichten wissenschaftlichen Studie (Fisher & Blomberg, 2011) waren zu diesem Zeitpunkt mindestens 67 von 187 Säugetierarten, die seit dem Jahr 1500 für „ausgestorben“, „in der Natur ausgestorben“ oder „vermutlich ausgestorben“ erklärt worden waren, wiederentdeckt worden.[265][266][263] Die Studie kam zu dem Schluss, dass eine in ihrer Verbreitung nicht sehr stark eingegrenzte Säugetierart verhältnismäßig häufig fälschlicherweise als ausgestorben eingestuft wird oder vermisst bleibt, wenn ihr Bestand durch Lebensraumverlust (Abholzung, landwirtschaftliche Rodung, Fragmentierung, Degradierung, Überweidung) reduziert wurde. Als ausgestorben eingestufte Säugetierarten, die durch biologische Invasion (eingeschleppte Beutegreifer und Krankheiten, vor allem Hausratte, Hauskatze, Rotfuchs, Kleiner Mungo, Haushund, Wildschwein, Wanderratte, Pazifische Ratte und eine von der Hauratte übertragene Trypanosomen-Art) oder „overkill“ (Ausrottung durch Menschen, unter anderem durch Ernte, Jagd, Verfolgung, Beifang) im Bestand reduziert wurden, werden dagegen sehr selten wiederentdeckt, sondern sind häufiger tatsächlich ausgestorben.[263][265] Demnach sei das Aussterben einer Art aufgrund von Lebensraumverlust am schwierigsten zu erkennen und die Auswirkungen des Lebensraumverlusts auf das Aussterben werden laut der Studie insbesondere im Vergleich zu den Auswirkungen durch eingeschleppte invasive Arten möglicherweise überschätzt.[263] Laut der Studie steigt die Aussterberate von Säugetierarten mit der Körpermasse und der Populationsdichte der Art. Leben jedoch noch Exemplare verschollenener Säugetierarten, so wird die Arten mit größerer Körpergröße in der Regel schneller wiederentdeckt als die mit geringerer Körpergröße. Leben noch Exemplare verschollenener Säugetierarten, so kann zudem ein erhöhter Suchaufwand die Wahrscheinlichkeit die Wiederentdeckung bei Arten mit großer Körpergröße steigern, während die Auswirkungen eines erhöhten Suchwaufwandes bei Säugetierarten mit geringer Körpergröße minimal ist und deren Wiederentdeckung in der Regel mehr Zeit in Anspruch nimmt.[263][267] Die Auswirkungen der Körpergröße durch die Erhöhung der Aussterberate einerseits und durch die Erhöhung der Wiederentdeckungswahrscheinlichkeit andererseits könnte bedeuten, dass sich diese Auswirkungen gegenseitig aufheben, sodass die Körpergröße nicht mit der Wiederentdeckungsrate von Säugetieren insgesamt statistisch zusammenhängt.[267]

Ursäuger (Kloakentiere)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Attenborough-Langschnabeligel, „vom Aussterben bedroht“ (IUCN, 2016)[368]
Holotyp (ausgestopftes Präparat; National Museum of Natural History (Naturalis), Leiden, RMNH 17301).[370]
Verbreitung (auf Neuguinea)
  • Attenborough-Langschnabeligel (Zaglossus attenboroughi): Diese Art aus der kleinen Familie der Ameisenigel wurde bisher ausschließlich innerhalb der Zyklopenberge (englisch Cyclops Mountains) (im Norden Papuas) erfasst.[371] Die Art war lange nur aus einem einzigen Exemplar bekannt, das 1961 in den Zyklopenbergen im Norden von Niederländisch-Neuguinea (heute: indonesische Provinz Papua) entnommen und in eine wissenschaftliche Sammlung überführt wurde. Die Art galt daher als äußerst selten und es wurde damit gerechnet, dass sie ausgestorben sein könnte,[372] bis im Mai 2007 in den Zyklopenberge Feldstudien zur Untersuchung des weiteren Überlebens der Art durchgeführt wurden, während derer zwar keine Ameisenigel beobachtet, aber Ameisenigelaktivität (diagnostische Anzeichen von Ameisenigelfraß wie Abdrücke von Nasenstößen oder rezente Grabaktivitäten) festgestellt wurden.[372][368] Zusammen mit Berichten und Beobachtungen bestätigen diese Spuren den Fortbestand von Langschnabeligeln (Ameisenigel der Gattung Zaglossus), wobei Beschreibungen lokaler Informanten stark darauf hindeuteten, dass sich die Berichte auf den Attenborough-Langschnabeligel beziehen.[372][368] Scheffers und Andere (2011) führten die Art bereits als im Jahre 2007 wiederentdeckt auf.[237] Re:wild führte die Art als eine wiedergefundere Art ihrer 25 Arten umfassenden Liste der „Top Most Wanted Lost Species“ auf.[82] Im November 2023 wurde gemeldet, dass die Art in Form von Fotografien und Videoaufnahmen durch Wildkameras in den Zyklopenbergen dokumentiert wurde.[371][373][374] Gegenwärtig wird die Art als „vom Aussterben bedroht“ geführt (IUCN, 2016).[368]
Beuteltiere[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Hörnchenbeutler, „vom Aussterben bedroht“ (IUCN, 2016)[303]
Ausgestopftes Präparat eines Männchens
Verbreitung (in Australien)
  • Hörnchenbeutler (Gymnobelideus leadbeateri): Die 1867 beschriebene Art galt seit Beginn des 20. Jahrhunderts als ausgestorben, wurde 1961 wiederentdeckt[89][237] und später in Australien aufgrund des im 20. Jahrhundert erfolgten und für die Zukunft erwarteten Lebensraumverlustes als gefährdet eingestuft.[89] – Da es als wahrscheinlich gilt, dass die inzwischen zum Erhalt der Art erfolgten Änderungen in der Waldbewirtschaftung früher erfolgt wären, wenn die Art nicht verfrüht als ausgestorben eingestuft worden wäre, handelt es sich bei diesem Fall um ein Beispiel für den Romeo-Irrtum.[89] Gegenwärtig wird die Art als „vom Aussterben bedroht“ geführt (IUCN, 2016).[303]
Parmawallaby, „potenziell gefährdet“ (IUCN, 2019)[311]
Ausgestopftes Präparat (Exemplar 1998 auf Kawau entnommen; Auckland War Memorial Museum, LM828)[375]
Muttertier mit Tragling im Beutel (Zoo Salzburg)
Verbreitung (in Australien)
  • Parmawallaby (Macropus parma): Nachdem 1932 die letzten bekannten Exemplare dieser in Australien endemischen Art in New South Wales entnommen waren, schien die Art dort aufgrund von anthropogener Lebensraumzerstörung verschwunden zu sein. Tatsächlich waren Parmawallabys jedoch bereits 1870 zusammen mit mehreren anderen Wallabys-Arten vom Menschen auf der vor Neuseeland liegenden Insel Kawau eingeführt worden, wo sich ein recht dichter Bestand der Art entwickelte. Aufgrund von Verwechslung mit den anderen dort vorkommenden Wallaby-Arten blieb dieser Bestand auf Kawau jedoch von der Wissenschaft unerkannt bis zum Jahr 1965. Nach Bekanntwerden seiner Zugehörigkeit zum Parmawallaby wurde er 1969 unter Schutz gestellt und es wurden intensive Maßnahmen ergriffen, um Exemplare einzufangen und mit ihnen an anderen Orten Zuchtkolonien zu gründen. 1967 wurde die Art dann auch in New South Wales wiederentdeckt, wo sie an einem langen Küstenstreifen überlebt hatte.[376] Die Art wird als „potenziell gefährdet“ eingestuft (IUCN, 2019).[311]
Gilbert-Kaninchenkänguru, „vom Aussterben bedroht“ (IUCN, 2016)[343]
Illustration aus dem Jahr 1863
Verbreitung (in Westaustralien)
  • Gilbert-Kaninchenkänguru (Potorous gilbertii): Diese Beuteltierart aus der Familie der Rattenkängurus lebte subfossilen und modernen Daten zufolge vermutlich auch in der Vergangenheit geografisch lediglich begrenzt auf die Region der Südküste Westaustraliens nahe Margaret River bis in die Nähe von Albany verbreitet. Nach Nachweisen zwischen 1840 und 1879 in der Region des King George Sound galt die Art trotz gezielter Suche als ausgestorben, bis 1994 eine Population der Art am Mount Gardner im Two Peoples Bay Nature Reserve wiederentdeckt wurde, die aber durch einen Waldbrand im November 2015 nahezu ausgelöscht wurde. Die Einführung der Art im Bald Island Nature Reserve, die Wiederansiedlung auf einer umzäunten Festlandinsel im Waychinicup-Nationalpark und die Zucht einer Kolonie in Gefangenschaft waren nur begrenzt erfolgreich, so dass die IUCN die Art seit 2016 (wie zuvor bereits 1996 und 2008) als „vom Aussterben bedroht“ einstuft.[343]
Wondiwoi-Baumkänguru, „vom Aussterben bedroht“ (IUCN, 2016)[377]
Verbreitung (in Indonesien)
  • Wondiwoi-Baumkänguru (Dendrolagus mayri): Die Art war bisher nur von einem einzigen, 1928 auf der Wandammenhalbinsel (Westneuguinea/Indonesien) gesammelten, adulten Männchen bekannt. Sie wurde 2016 als „vom Aussterben bedroht“ eingestuft (IUCN, 2016), weil ihr Bestand, falls ein solcher noch existieren sollte, nur weniger als 50 Tiere umfassen kann.[377] Es gab Befürchtungen, die Art könne bereits ausgestorben sein. 2018 meldeten Medien, es sei ein Exemplar fotografiert und das Foto von einem Experten als dem Wondiwoi-Baumkänguru zugehörig bestätigt worden.[378]
Höhere Säugetiere (Plazentatiere)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
Java-Nashorn, „vom Aussterben bedroht“ (IUCN, 2020)[379]
Einstige (orange) und heutige (rot) Verbreitung (Ujung Kulon). Der kleine Festlandbestand ist nicht eingezeichnet.
Größe (hellblau), im Vergleich zu Sumatra-, Spitzmaul- (violett), Breitmaul- (rosa) und Panzernashorn (rot). – Das Java-Nashorn ist mit seiner Widerristhöhe (1,6 – 1,7 m) und seiner Masse (1,5 – 2 t) etwas kleiner als das Panzernashorn mit seiner Widerristhöhe von 2 m und seiner Masse von 2 t.[380]
  • Java-Nashorn (Rhinoceros sondaicus): die ursprünglich vom früheren Ostbengalen (heute Bangladesch) im Westen bis nach Südwestchina, Indochina, Sumatra und Java im Osten verbreitete Art ist auch in ihrem heutigen Hauptverbreitungsareal (die dicht menschlich besiedelte Insel Java, bekanntester Zufluchtsort des Nashorns ist das Ujung-Kulon-Reservat) sehr selten (heute rund 50 Individuen) und galt in ihrem einstigen Festlandsareal, wo sie als taxonomisch umstrittene Unterart R. s. inermis geführt worden war, rund 40 Jahre lang als vollständig ausgerottet, bis sie Ende des 20. Jahrhunderts mit großer sensationeller Wirkung im Süden Vietnams in Form eines sehr kleinen Bestands wiederentdeckt wurde,[380][45][381] von dem das letzte Tier dann aber doch 2010 von Wilderern erlegt aufgefunden wurde.[382][383][384] – Dieser Fall gilt als Beispiel dafür, dass auch äußerst aufsehenerregende Großsäuger vom Lazarus-Effekt betroffen sein können.[45] Er steht zudem beispielhaft dafür, dass Ökologen im Falle einer Lazarus-Art oft vor dem Dilemma stehen können, dass die Bekanntmachung einer Entdeckung zwar zur Mobilisierung der öffentlichen Unterstützung für den Schutz der Art beitragen kann, gleichzeitig aber auch die Aufmerksamkeit der Wilderer auf die Art lenken kann, die dadurch in einen selbstverstärkenden Prozess des Aussterbens geraten kann, wenn jede Tötung eines Individuums den Schwarzmarktwert der verbleibenden Tiere und damit den Anreiz zum Wildern erhöht.[382][384]
Sumatra-Nashorn: lebendes Fossil, „vom Aussterben bedroht“[385]
Verbreitung der Art
Junges Exemplar des Borneo-Sumatranashorns
Bislang haben noch zwei Unterarten überlebt, auf Borneo das Borneo-Sumatranashorn (D. s. harrissoni) mit möglicherweise noch rund 40 Tieren und auf der Malaiischen Halbinsel und auf Sumatra das Eigentliche Sumatranashorn (D. s. sumatrensis) mit möglicherweise noch rund 200 Tieren.[386][387] Eine dritte Unterart, das Hinterindische Sumatranashorn (D. s. lasiotis), gilt bereits als ausgerottet.[387] 2015 wurden die Bestände der Art in Malaysia für ausgestorben erklärt. Inzwischen verbleiben ihr nur noch wenige kleine und isolierte Gebiete auf Borneo und Sumatra als Habitat.[388]
  • Sumatra-Nashorn (Dicerorhinus sumatrensis): Die Art war bis ins frühe 20. Jahrhunderts im größten Teil Südostasiens weitverbreitet, bis zu den 1970er Jahren jedoch durch Bejagung auf der Malaiischen Halbinsel, auf Sumatra und auf Borneo mit Ausnahme kleiner Gebiete ausgerottet worden.[384] Weltweit überlebten nach Schätzungen, die auf Daten aus den Jahren 2005 bis 2009 beruhen, noch rund 200 bis 300 Individuen der gesamten Art,[384] nach neueren Schätzungen aus den Jahren 2013 und 2016 noch rund 100.[384][387][388] Es handelt sich bei diesen Tieren zugleich um die letzten lebenden Vertreter der 25 Millionen Jahren zurückreichenden eurasischen zweihörnigen Nashörner, zu denen im Quartär auch das Wollnashorn (Coelodonta antiquitatis) gehörte, und die die wohl ursprünglichste und bei weitem älteste noch existierenden Gruppe aus der im Eozän entstandenen Familie der Nashörner darstellen.[389][380][386][32] Innerhalb der Nashörner kann nur das Sumatranashorn als altertümlichste rezente Art der Familie als „lebendes Fossil“ angesehen werden.[32] Die im indonesischen Teil Borneos beheimatete Teilpopulation der Art galt bereits seit 1986 als ausgestorben, als 2013 Belege für das Überleben von Tieren dieser Population bekannt wurden und weltweit auf große mediale Resonanz stießen.[390][391] 2013 erfolgte dann laut dem WWF die erste bestätigte Sichtung eines Exemplars in diesem Gebiet seit der vorangegangenen 40 Jahre.[388] – Am Beispiel dieses Falls wurde diskutiert, dass das Vorgehen des Artenschutzmanagements im Falle einer Wiederentdeckung sorgfältig erwogen werden muss.[34] Es wurde argumentiert, dass die Population im indonesischen Teil Borneos möglicherweise gerade aufgrund des Mangels an Aufmerksamkeit überleben konnte, der aus der jahrzehntelangen Einschätzung als ausgestorben resultierte.[384] Es wurde vermutet, dass durch die Bekanntmachung der Wiederentdeckung in einem solchen Fall die Aufmerksamkeit der Wilderei für die betroffene Population und damit der Bejagungsdruck erhöht wird, so dass das tatsächliche Aussterben der Population ausgelöst werden könne,[384][392] wenn nicht sofortige Erhaltungsmaßnahmen dagegen ergriffen würden.[384][34]
Zwergwildschwein, „stark gefährdet“ (IUCN, 2019)
Zeichnung des Schädels in der Erstbeschreibung von 1848
  • Zwergwildschwein (Porcula salvania, Syn.: Sus salvania): Diese Art galt seit den 1950er Jahren als durch Lebensraumzerstörung ausgestorben.[393][394][395] 1971 kam es zur Wiederentdeckung, als ein Bekannter Gerald Durrells für dessen Jersey Zoo in Indien vier auf einem Markt zum Verkauf angebotene Zwergwildschweine aus dem Manas-Nationalpark in Assam ausfindig machte.[395][394] Später erfolgten weitere Entdeckungen von Beständen im Barnardi Wildlife Sanctuary. Der Gesamtrestbestand der Art betrug zu jener Zeit rund 150 Individuen.[393] Anfängliche Züchtungsversuche blieben erfolglos.[395] Durrells Engagement führte zu Maßnahmen, die Individuen der Wildbestände aufzufinden, einzufangen und in menschlicher Obhut zu züchten, um die Bestände der Art durch das Zucht- und Auswilderungsprogramm zu sichern.[394] 1995 wurde das Pygmy Hog Research and Breeding Centre bei Guwahati gegründet, das zu erfolgreicher Nachzucht führte, die jedoch auf die sehr begrenzte Anzahl von 2 männlichen und 4 weiblichen Gründertieren aus dem Manas National Park zurückgeht.[393][395] 2005 kam der Balipara Reserve Forest in Potasali nahe dem Nameri National Park als zusätzliche Zuchtstation zur dezentralisierteren Anlage des Arterhaltungsbestandes dazu und es kam in der Folge zu erfolgreichen Auswilderungen von Nachzuchten in verschiedene Reservate.[393] Beim als „stark gefährdet“ (IUCN, 2019) eingestuften[342] Zwergwildschwein handelte oder handelt es sich um die weltweit seltenste Schweineart,[396] dem von seinem ursprünglichen Verbreitungsgebiet südlich des Himalajas von Uttar Pradesh im Westen bis Assam und Sikkim im Osten nur noch Reste in Schutzgebieten in Assam geblieben sind.[393] – Dieser Fall kann als Beispiel dafür genannt werden, dass die Wissenschaft informelle Datenquellen zum Vorkommen ausgestorben geglaubter Arten sorgfältig prüfen und berücksichtigen muss, um gegebenenfalls möglichst schnell Erhaltungsmaßnahmen einleiten zu können, da der Artenschutz sonst im Falle von unerwarteten Wiederentdeckungen unvorbereitet sein kann.[394]
Ehemals ausgestorben geglaubte Südliche-Seebären-Arten
Juan-Fernández-Seebär (19. Jahrhundert) …
… und seine Verbreitung
… und seine Verbreitung
  • Juan-Fernández-Seebär (Arctocephalus philippii): Diese Art ist als „nicht gefährdet“ (IUCN, 2015) eingestuft. Sie galt aber um 1900 und bis Mitte des 20. Jahrhunderts als ausgestorben, bis sie 1965 durch Sichtung kleiner Gruppen von Individuen auf den Inseln Alejandro Selkirk und Robinson Crusoe wiederentdeckt wurde.[271]
  • Guadalupe-Seebär (Arctocephalus townsendi): Diese Art ist als „nicht gefährdet“ (IUCN, 2015) eingestuft. Sie war aber Ende des 19. Jahrhunderts durch Bejagung fast ausgerottet und bis 1926 nicht mehr nachgewiesen worden. Daraufhin wurden alle noch aufgefundenen Tiere zur Pelzgewinnung getötet, das letzte im Jahr 1928, und die Art wurde zum zweiten Mal für ausgestorben erklärt. Nach vereinzelten, unbestätigten Meldungen in den 1930er Jahren wurde die Art 1954 durch eine Expedition nach Guadalupe wieder sicher nachgewiesen und von der Regierung Mexikos unter strengen Schutz gestellt.[272]
  • Bayerische Kurzohrmaus (Microtus bavaricus): Die Art lebt endemisch in den nordöstlichen Alpen und war zunächst nur von einem Standort im Landkreis Garmisch-Partenkirchen bekannt, wo sie zuletzt 1962 nachgewiesen wurde.[316] 1976/1977 wurde ein zweiter Bestand in Nordtirol entdeckt, der aber erst im Jahr 2000 molekularbiologisch der Art zugeordnet wurde, worauf die Art 28 Jahre verschollen blieb, bis dieser Bestand im Jahr 2004 bestätigt werden konnte.[237] Von 1986 bis 2002 wurde die Art von der IUCN als „ausgestorben“ geführt, seit 2008 als „vom Aussterben bedroht“ (IUCN, 2019).[316] – Dieser Fall stellt insofern eine Ausnahme dar, als es in Deutschland nur selten zu einem Lazarus-Effekt kommt. Der Bereichsleiter Artenschutz des WWF Deutschland, Arnulf Köhncke, verwies in diesem Zusammenhang darauf, dass in der Flora und Fauna Deutschlands „nur ganz wenige endemische Arten“ – insbesondere von größerer Körpergröße – vorkommen. Da aber eine Art auch in jedem anderen Land ausgestorben sein muss, um weltweit wiederentdeckt zu werden, begrenzt der Mangel endemischer Arten die Anzahl der möglichen Lazarus-Arten in Deutschland. Als noch ausschlaggebenderen Grund für die geringe Anzahl an Lazarus-Arten in Deutschland nannte Köhncke den Umstand, dass in einer „industriell so flächendeckend überformten Welt“ wie in Deutschland Wiederentdeckungen weit weniger wahrscheinlich seien, als in naturnahen Gebieten, da die Arten in der Regel tatsächlich ausgestorben seien.[397]
  • Dinagat-Borkenratte (Crateromys australis): Diese auf den Philippinen endemische Art wurde anhand eines zwischen 1974 und 1975 gesammelten Exemplars beschrieben und 2012 wiederentdeckt.[398]
  • Kalimantan-Langur (Presbytis canicrus oder Presbytis hosei canicrus): Diese auch als Unterart des Hose-Langurs geführte Art aus der Gattung der Mützenlanguren wird zu den 25 am stärksten gefährdeten Primatentaxa gezählt. 2004 gab es erste Befürchtungen seitens Wissenschaftlern, dass die Unterart ausgestorben sein könnte. Bei 2011 durchgeführten und 2012 veröffentlichten Freilanduntersuchungen konnte dann das Überleben der Unterart auf Borneo sicher nachgewiesen werden.[399] Die Art in ihrer Gesamtheit wird als „stark gefährdet“ eingestuft (IUCN, 2021).[400]
Goldkapuziner, „stark gefährdet“ (IUCN, 2021)[277]
Männchen im Zoo São Paulo (Foto: 2013)
Verbreitungsgebiet (orange)
  • Goldkapuziner (Sapajus flavius, Syn. Cebus flavius): Schreber (1774) beschrieb diese Primatenart anhand einer Abbildung (Tafel 31-b), doch gab es von der Art in wissenschaftlichen Sammlungen keine Exemplare, so dass das von Schreber abgebildete Tier nie richtig von anderen Wissenschaftlern zugeordnet wurde. Schließlich betrachteten Oliveira und Langguth (2006) ein im brasilianischen Bundesstaat Pernambuco gesammeltes Exemplar als Neotyp von Simia flavia (Schreber, 1774) und benannten die Art als Cebus flavius (Schreber, 1774).[277] Damit war die Art nach 232 Jahren wiederentdeckt,[237] wurde 2008 und 2015 von der IUCN als „vom Aussterben bedroht“ und seit 2020 als „stark gefährdet“ eingestuft.[277]
  • Rotschopf-Baumratte (Santamartamys rufodorsalis): Diese Art aus der Familie der Stachelratten war seit 1898 nur von ihrem Holotyp und einem anderen, vor 1919 gesammelten Exemplar unbekannten Sammlungdatums bekannt, die beide in der Sierra Nevada de Santa Marta gefunden worden waren. 2011 konnte die Art dann erstmals bei einer Begegnung mit einem lebenden Exemplar in der Wildbahn (einem Jungtier im kolumbianischen El Dorado Nature Reserve) beobachtet und fotografiert werden, womit die Art erstmals seit 113 Jahren wieder bestätigt nachgewiesen worden war.[401] Die Art wird als „vom Aussterben bedroht“ eingestuft (IUCN, 2017).[358]
  • Neuguinea-Langohr (Pharotis imogene): Diese auf Papua-Neuguinea heimische Fledermausart aus der Familie der Glattnasen wurde seit ihrer ersten Entdeckung im Jahr 1890 nicht mehr nachgewiesen, bis ihr Überleben im Jahr 2012 nachgewiesen wurde, indem ein einzelnes Exemplar gesammelt wurde. Die Art wird als „vom Aussterben bedroht“ eingestuft (IUCN, 2021).[402]
Machu-Picchu-Inkaratte
Laienzeichnung der Art
  • Machu-Picchu-Inkaratte (Cuscomys oblativa): Diese Art aus der Familie der Chinchillaratten wurde 1912 von Hiram Bingham in Machu Picchu (Peru) entdeckt,[403] 1916 auf Grundlage von zwei in einer Inka-Grabstätte entdeckten und auf ein Alter von 400 Jahren geschätzten Schädeln beschrieben,[404][403] war nur von diesem Material bekannt und wurde 2008 von der IUCN als „ausgestorben“ aufgeführt.[404] 2009 soll sie von einem Park-Ranger in der Nähe der archäologischen Fundstätte wiederentdeckt worden sein.[404][405][406][405] Erst Jahre später gelang es schließlich Biologen um Horacio Zeballos (Museum Arequipa), die 2012 mit der Feldforschung begannen, die Art in der Nähe der ebenfalls am Inka-Pfad gelegenen archäologischen Fundstätte Wiñay Wayna aufzuspüren und zu identifizieren.[405][406] 2014 wurde drei Kilometer von Machu Picchu entfernt ein lebendes Exemplar fotografiert.[404] 2016 gab die IUCN für eine Einstufung in eine Gefährdungskategorie „ungenügende Datengrundlage“ an (IUCN, 2016).[404] – Der Fall wurde von Loxdale und anderen (2016) als Säugetier-Beispiel für die Kategorie Unknown Knowns genannt. Bei dieser Kategorie handelt es sich um eine Erweiterung (vierte Kategorie) der ursprünglich dreiteiligen Matrix von Wissensstand und Datenlage (Einteilung in Known Knowns, Known Unknowns und Unknown Unknowns), die Donald Rumsfeld in einer politisch-militärischen Stellungnahme im Jahr 2002[407][408] vorgestellt hat, mit der er sich verdeckt auf den Mangel an Beweisen für den Versuch bezogen hat, die irakische Regierung mit der Lieferung von Massenvernichtungswaffen an terroristische Gruppen in Verbindung zu bringen.[408] Loxdale und andere (2016) sahen diese Matrix als nützliche Einteilung für die biologischen und ökologischen Wissenschaften und für den Naturschutz an und wiesen der Kategorie Unknown Knowns die für Biologie und Ökologie wohl relevanteste Stellung zu. Wie in der Kategorie Unknown Unknowns liegt in dieser vierten Kategorie ein schwache Datengrundlage vor. Doch unterscheidet sich die Kategorie Unknown Knowns von der Kategorie Unknown Unknowns darin, dass die Art nicht schlichtweg unentdeckt und unbekannt ist, sondern unbewiesene Hypothesen vorliegen, die sich auf Daten ähnlicher Systeme oder Arten gründen, der Wissensstand also trotz geringer Datenlage fortgeschrittener ist.[408] Medienberichte stellten die Art im Jahr 2014 zudem mit Berufung auf eine Pressemitteilung des Teams um Zeballos als typisches Beispiel für den Lazarus-Effekt (im Sinne einer vermeintlich ausgestorbenen und dann unerwartet lebend wiederentdeckten Art) vor.[405][406]
  • Vietnam-Kantschil (Tragulus versicolor): Die auf Basis von vier, bei Nha Trang (Vietnam) gefundenen Exemplaren erstbeschriebene Art aus der Familie der Hirschferkel wurde zweimal wiederentdeckt: 1990 wurde das erste Mal seit der Erstbeschreibung ein überprüfter Nachweis durch ein von Jägern getötetes Exemplar erbracht. 2019 erfolgte nach fast 30 Jahren der nächste Nachweis durch Kamerafallen.[409] Für eine Einstufung in eine Gefährdungskategorie gibt die IUCN seit 2008 „ungenügende Datengrundlage“ an (IUCN, 2015).[410]
  • Zypern-Stachelmaus (Acomys nesiotes): Für eine Einstufung dieser auf Zypern endemischen Art in eine Gefährdungskategorie gibt die IUCN seit 2008 „ungenügende Datengrundlage“ an (IUCN, 2019). 2007 wurden vier Exemplare bei Levkosia entdeckt.[269] Ab 1980 galt die Art zuvor als verschollen.[237]
  • Flachkopf-Mausohr (Myotis planiceps): Diese in Mexiko vorkommende Fledermausart aus der Familie Glattnasen wurde 1996 von der IUCN als ausgestorben eingestuft, 2004 aber an drei Standorten wiederentdeckt. Sie wird als „vom Aussterben bedroht“ eingestuft (IUCN, 2016).[320]
Kubanischer Schlitzrüssler, „stark gefährdet“ (IUCN, 2018)[361]
Illustration aus dem Jahr 1863
Verbreitung (auf Ostkuba)
  • Kubanischer Schlitzrüssler (Solenodon cubanus, Syn.: Atopolage cubana): Diese für Ostkuba endemische Art wird von Einheimischen als Fleischlieferant gejagt.[411] Insbesondere wird sie – wie der nur noch inselartig auf Hispaniola (Dominikanische Republik) lebende Dominikanische Schlitzrüssler als zweite rezente Art der Familie Schlitzrüssler – durch anthropogen auf dem karibischen Archipel eingeschleppte Tiere (wie verwilderte Hunde, Hauskatzen, Bisamratten und Mungos) im Bestand bedroht.[411][412] Zwischen 1890 und 1974 sollen keine Exemplare der 1861 erstentdeckten Art gefunden worden sein.[247] Um 1970 wurde die Art von einigen für ausgestorben erachtet,[361] wurde später aber im schwer zugänglichen Gebirgszug Sierra Maestra wiederentdeckt.[411] 2012 und 2013 wurden sieben Exemplare im Gebiet des El-Toldo-Plateaus im Alexander-von-Humboldt-Nationalpark gefangen.[361] Die Art wird seit 1982 als „stark gefährdet“ eingestuft (IUCN, 2018).[361] – Der Kubanische Schlitzrüssler ist eine evolutionär uralte Species, zugleich aber einer der seltensten Inselendemiten unter den Insektenfressern, einer besonders ursprünglichen Säugetierordnung, aus der sich viele andere Säugetierordnungen (so auch die Primaten) entwickelt haben. Inselbewohnende Vertreter der Insektenfresser, die nie in hoher Abundanz vorkamen, gehören allgemein zu den am stärksten bedrohten Insektenfresser-Taxa.[411]
  • De Wintons Goldmull (Cryptochloris wintoni): Das Verbreitungsgebiet dieser bislang kaum erforschten Art aus der Familie der Goldmulle (Chrysochloridae) liegt im westlichen Südafrika (Provinz Nordkap).[413] Die Art wurde nur mit drei Exemplaren – zuletzt 1936 in Südafrika – wissenschaftlich dokumentiert[414] und von der IUCN seit 2006 als „vom Aussterben bedroht“ und seit 2015 zusätzlich mit der Kennzeichnung „möglicherweise ausgestorben“ eingestuft.[413][415] Ende 2023 wurde die Art jedoch nach über 80 Jahren wiederentdeckt.[415][414] – Die Wiederentdeckung der Art wurde als Marker für einen bedeutenden Erfolg in der weltweiten Suche nach verloren geglaubten Arten gewertet, die seit 2017 von der Naturschutzorganisation Re:wild in Zusammenarbeit mit verschiedenen Partnern durchgeführt wird und auch zur Wiederentdeckung anderer Arten wie dem Attenborough-Langschnabeligel, der Pernambuco-Stechpalme und der Wallace-Riesenbiene geführt hatte[414][82] und bei der der De Wintons Goldmull die elfte wiedergefundene Art auf der Liste der „25 meistgesuchte verlorenen Arten“ von re:wild darstellte.[416] Die Wiederentdeckung des De-Wintons-Goldmulls gelang aufgrund gemeinsamer Anstrengungen von Naturschützern und Genetikern des Endangered Wildlife Trust (EWT) und der Universität Pretoria.[414] Die Wiederentdeckung der aufgrund ihres weitgehend unzugänglichen Lebensraums und ihrer im Sand verdeckten Lebensweise schwer nachzuweisenden Art stand vor der besonderen Schwierigkeit, ohne historische Proben, Diffentialdiagnosen zu den anderen naheverwandten Arten und DNA-Nachweise auskommen zu müssen.[417][418] Für die Wiederentdeckung kamen unter anderem Umwelt-DNA (eDNA) und auf die Erkennung der Gerüche anderer, häufiger vorkommender Arten von Goldmullen trainierte Spürhunde zum Einsatz.[417][419][420][416]
Waldbison
Waldbison im Wood-Buffalo-Nationalpark (Foto: 1998). Diese seltene kanadische Unterart[421] oder dieser Ökotyp[422] des Bisons ernährt sich – anders als der grasfressende Präriebison – wie der Europäische Wisent (Bos bonasus) vorwiegend von Blättern, Zweigen und Rinde.[421]
Ursprüngliche Verbreitung der Bisons (die beiden rezenten Unterarten Präriebison und Waldbison und eine ausgestorbene Form) in Nordamerika
öffentliche Herden von Präriebisons und freilaufenden oder in Gefangenschaft züchtenden Waldbisons in Nordamerika (Stand: 2003).
Farblegende zu den Verbreitungskarten:
  • Bison (bison) occidentalis (im mittleren Holozän ausgestorbene Vorform des heutigen Bisons)
  • Bison bison athabascae (Waldbison)
  • Bison bison bison (Präriebison)
    • Waldbison (Bison bison athabascae): Diese 1897 erstmals als eigenständige Subspecies beschriebene,[423] einst besonders im Norden Albertas und im südlichen Mackenzie-Distrikt der Nordwest-Territorien mit (für Anfang des 19. Jahrhunderts) geschätzt rund 170.000 Tieren (für das ursprüngliche Verbreitungsgebiet nördlich des Athabasca River)[424][425][426][427][428] oder mehr[429] zahlreich vertretene[430] Unterart des Amerikanischen Bisons wurde – wie die bekanntere Unterart Präriebison – durch übermäßige Jagd durch weiße Siedler[A 1] im Bestand gefährdet.[431] Ende des 19. Jahrhunderts erließen die kanadische Behörden ein Jagdverbot[432][433] und schließlich schützten sie die einzige bekannte verbliebene Wildpopulation im und um den Wood-Buffalo-Nationalpark (WBNP; im Norden der Provinz Alberta und in den Nordwest-Territorien gelegen[431] und von der Fläche größer als die Schweiz[433]) geschützt[431] (dieses Gebiet, in dem die meisten Waldbisons lebten, erhielt 1922 den Status eines Nationalparks,[423][424][426] um das Habitat und die letzten verbliebenen Waldbisonbestände zu schützen und so das Aussterben des Waldbisons zu verhindern[431][424][426][432][433]). Die genetische Integrität und Gesundheit dieses Bestandes, der im späten 19. Jahrhundert fast ausgerottet worden war,[434][435][432] zu diesem Zeitpunkt einen „Flaschenhals“ (Populationsengpass) von möglicherweise rund 300 bis 500 Individuen durchlaufen hatte[422][424][427][436] und in den frühen 1920er Jahren auf rund 1500 Tiere angestiegen war,[422][431][428] wurde jedoch durch Kreuzung mit der Unterart Präriebison (Bison bison bison) beeinträchtigt,[431] der zwischen 1925 und 1928 mit fast 7000 Tieren von Wildtiermanagern aus amerikanischen Reservaten in den WBNP eingeführt worden war.[431][422][423][425][428][433] Diese Präriebisons waren Träger von zwei Hausrindkrankheiten, der Rindertuberkulose (Erreger: Mycobacterium bovis) und der Rinderbrucellose (Erreger: Brucella abortus),[422][425] sie vermischten und kreuzten sich mit den orstänsässigen Waldbisons (1934: zusammen geschätzt mindestens 12.000 Bisons im WBNP[425][424]) und übertrugen diese Krankheiten offenbar auf die Waldbisons des WBNP,[422][425] so dass viele der wild lebenden Waldbisons diesen ursprünglich über die Hausrinder eingeschleppten Krankheiten ausgesetzt waren.[431] Schließlich war der Waldbison in der Natur in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch die Hybridisierung mit dem eingekreuzten Präriebison,[430][437] durch Krankheiten (vor allem Rindertuberkulose)[437] und durch verschiedene Klimafaktoren[430] fast ausgestorben[437] und diese größte Säugetierart Nordamerikas wurde auch für bereits ausgestorben gehalten.[430][438][439][433] Angaben zufolge soll der Waldbison um 1940 für ausgestorben erklärt worden sein,[440][441] aufgrund der Vermischung und weitgehenden Hybridisierung mit dem Präriebison.[441][428] Der Waldbison wurde für ausgerottet gehalten,[432][433] bis im Jahr 1957[422][423][439][442][428][432][433] 1959[425] oder 1960[437][431][443] wurde dann aber in Kanada in einem unzugänglichen und abgelegenen Bereich (am Nyarling River[422][443]) des WBNP eine kleine, bis dahin unbekannte, offenbar der Hybridisierung entgangene und somit letzte offenbar weitgehend sortenreine Herde entdeckt.[437][431][422][423] die durch Sümpfe von den anderen Tieren abgetrennt war.[433] Tiere diese Herde wurden isoliert und in ihr historisches Verbreitungsgebiet überführt, wo sie unter Schutz gestellt wurden (Bestand 1970: rund 75 Tiere[430]) und als Grundlage für eine Rettungszucht dienten.[423] Einige dieser sortenreinen Waldbisons wurden zur Gründung eines weiteren isolierten Bestandes nordwestlich des Großen Sklavensees (in den Nordwest-Territorien) verwendet[431] (nach Krankheitstests waren 1963 16 Waldbisons in das neu errichtete Mackenzie Bison Sanctuary in den Nordwest-Territorien und 1965 etwa 22 weitere Waldbisons in den Elk-Island-Nationalpark in Alberta überführt,[443][425] wobei die Gründertiere im Elk-Island-Nationalpark allerdings unentdeckt Träger von Tuberkulose waren, also bereits zuvor in dichten Kontakt mit Präriebisons gekommen sein mussten, so dass die adulten Tiere gekeult wurden[425] und nur 11 unerkrankte Kälber verblieben und nach Handaufzucht die Gründerherde bildeten[425][443]). Zur Jahrtausendwende lebte ein Bestand von 1800 Tieren in diesem zweiten Schutzgebiet am Großen Sklavensee.[437] Waldbisons aus dem Elk-Island-Nationalpark wurden für die Etablierung neuer Wildbestände in ihrem historischen Verbreitungsgebiet in Kanada, Alaska und bis nach Sibirien verwendet.[428] 2012 wurde der Gefährdungsstatus des Waldbison von „endangered“ auf „threatened“ herabgestuft.[439] – Die langfristige Überlebensfähigkeit der Population der Waldbisons kann weiterhin als ungesichert gelten.[431] 1989 machten kanadische Behörden den hochumstrittenen Vorschlag, fast alle Bisons in der Umgebung des WBNP – mit Ausnahme der sortenreinen Waldbisons – auszumerzen und diese als „wertlose Hybride“ (Bison bison bison x athabascae) und als Träger von Rindertuberkulose und Brucellose mit von diesen Krankheiten nicht befallenen, sortenreinen Waldbisons zu ersetzen,[422] um so erstens die Ausbreitung von Brucellose und Tuberkulose von Bisons auf die sich in Alberta nach Norden ausbreitenden Hausrindherden zu verhindern und zweitens die genetische Integrität der Waldbison-Unterart zu bewahren.[431]
    Reptilien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
    Schildkröten[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
    Yunnan-Scharnierschildkröte, „vom Aussterben bedroht“
    Männchen
    Plastron eines Weibchens
    • Yunnan-Scharnierschildkröte (Cuora yunnanensis): diese Art galt seit mehr als 100 Jahren als ausgestorben, als sie 2004 lebend auf einem Markt in Kunming für die Wissenschaft unter großer medialer Resonanz wiederentdeckt.[45] Seit dem Jahr 1946 konnten trotz anderthalb Jahrzehnte langer Nachsuche lediglich 3 Individuen (sämtlich seit 2004 gefunden) der Art bestätigt werden (Stand: 1007). Es wird daher davon ausgegangen, dass nur extrem wenig Individuen überlebt haben können und alle verbliebenen Populationen äußerst klein und örtlich begrenzt sind.[444] Aufgrund der sehr hohen Preisgebote von Sammlern im illegalen Heimtierhandel sowie im Konsum sind möglicherweise überlebende Tiere in besonderem Maße vom Sammlern bedroht.[444][45] Die Art ist daher als „vom Aussterben bedroht“ (IUCN, 2010) eingestuft.[444] Die Validität der drei entdeckten Tiere 2007 wurde durch DNA-Analyse bestätigt.
    Fernandina-Riesenschildkröte, „vom Aussterben bedroht (möglicherweise ausgestorben)“ (IUCN, 2017), aber 2019 erneut nachgewiesen (2022 genanalytisch bestätigt)
    1906 und 2019 gefundene Individuen mit ihren Fundorten auf Fernandina, sowie die Lage der Inseln mit ihren Chelonoidis-Arten und Vulkanen[445]
    Satellitenbild der Galapagosinsel Fernandina mit dem aktiven Vulkan La Cumbre aus Sicht der Internationalen Raumstation
    Die Galápagos-Inseln mit ihrer rund 1000 Kilometer im Pazifik vor der Küste Ecuadors abgelegenen Lage beherbergen weltweit eine herausragend hohe Anzahl endemischer Arten, darunter auch ursprünglich 15 Galapagos-Riesenschildkrötenarten (Chelonoidis niger-Artenkomplex), von denen vor der Wiederentdeckung der Fernandina-Riesenschildkröte fünf als ausgestorben galten.[446]
    • Fernandina-Riesenschildkröte (Chelonoidis phantasticus). Nach dem Fund des einzelnen männlichen Exemplars dieser auf Fernandina endemischen Art im Jahr 1906, das als Holotyp für die Erstbeschreibung im Jahr 1907 diente, erfolgte zunächst kein Fund mehr auf der schwer zugänglichen Galapagosinsel. Nach Anzeichen für die Existenz von Schildkröten auf der Insel im Jahr 1964 (wie Kot- und Fraßspuren) sowie nach späteren Indizien ihrer Existenz konnte die Art indirekt als seit 1964 „zuletzt gesehen“ betrachtet werden.[447] In verschiedenen, zwischen 1996 und 2015 veröffentlichten wissenschaftlichen Publikationen wurde die Art als „ausgestorben“ oder „möglicherweise ausgestorben“ aufgeführt,[447] doch konnte das Überleben der Art, für die keine umfassenden Untersuchungen auf dem außerordentlich schwierigen und weitläufigen Gelände der Insel durchgeführt worden waren und deren Vertreter wie für Galapagos-Riesenschildkröten üblich eine individuelle Lebenserwartung von mindestens 100 Jahren besitzen, nicht ausgeschlossen werden, und die Art wurde 2017 offiziell als „vom Aussterben bedroht (möglicherweise ausgestorben)“ eingestuft (IUCN, 2017).[447] Offenbar litten ihre Bestände unter den häufigen vulkanischen Lavaströmen auf der Insel,[447] bei der es sich um einen aktiven Schildvulkan handelt.[448] Im Februar 2019 wurde dann ein einzelnes Weibchen auf Fernandina aufgefunden,[448] dessen Genanalysen der Yale-Universität ergaben, dass es sich um eine Fernandina-Riesenschildkröte handelt, und die Art wurde somit wiederentdeckt.[445][58]
    Schuppenechsen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]
    Kanareneidechsen
    Verbreitung der La-Palma-Rieseneidechse
    Verbreitung der El-Hierro-Rieseneidechse
    Zeichnung des Weibchens einer El-Hierro-Rieseneidechse
    Die Rieseneidechsen der phylogenetisch ursprünglichen Gattung Kanareneidechsen (Gallotia) sind besonders auffällige Endemiten auf den Kanarischen Inseln, auf denen sich bemerkenswerte Fälle insulärer Evolution aufzeigen lassen.[45]
    • La-Palma-Rieseneidechse (Gallotia auaritae): Die La-Palma-Rieseneidechse, ein Endemit auf La Palma,[384] war bereits seit Jahrhunderten nicht mehr auf der Inselgruppe gesichtet worden und wurde daher für seit dieser Zeit ausgestorben erachtet, als sie schließlich doch 2007 fotografiert werden konnte.[34][384] – Die Art ist ein Beispiel für das im Vergleich zu anderen landbewohnenden Taxa oftmals eher verbogene und schwer nachzuweisende Vorkommen von Lazarus-Arten unter den Reptilien und Amphibien.[34] Da ihre Bestände sehr geringe Individuenzahlen aufweisen, wurde sie jedoch nach ihrer Wiederentdeckung als „vom Aussterben bedroht (möglicherweise ausgestorben)“ eingestuft (IUCN, 2009).[449]
    • El-Hierro-Rieseneidechse (Gallotia simonyi): Nachdem die Art zuerst auf der Insel El Hierro und um 1950 auch in ihrem kleinen Refugialraum, auf dem El Hierro im Westen vorgelagerten Salmor-Felsen (Roque Chico de Salmor), nicht mehr nachgewiesen wurde, wurde sie 1971 und 1976 für ausgestorben erklärt, wurde dann aber zeitnah in privatem Betreiben durch den Fund eines Kadavers aus Skelettresten und Hautfetzen wiederentdeckt und dann durch einen Lebendfang eines Pärchens auf El Hierro bestätigt. Der Lebendfang wurde zwar konfisziert, war aber fotografisch belegt, und die Art fand Aufnahme in die Naturschutzgesetzgebung Spaniens. Außer auf El Hierro existieren von dieser Art auch auf La Gomera, Teneriffa und La Palma subfossile und teilweise auch historische Knochenbelege. Für subfossile Skelettreste von La Gomera wurde 1985 die Unterart G. simonyi gomerana aufgestellt.[45] Die Art wird seit 1996 als „vom Aussterben bedroht“ eingestuft (IUCN, 2009).[450]
    Jamaika-Leguan, „vom Aussterben bedroht“
    Lebendes Exemplar
    Verbreitung
    • Jamaika-Leguan (Cyclura collei): die über einen Meter lange Wirtelschwanzleguanart ist endemisch auf der Insel Jamaika[45] und kam einst an der südöstlichen Küste Jamaikas verbreitet in ihrem Habitat vor.[451] Ihre Bestände gingen seit Ende des 19. Jahrhunderts deutlich zurück.[451] Sie wurden durch verschiedene Neozoen dezimiert, bei denen es sich um anthropogen eingeführte Fressfeinde aus der Säugetierordnung der Raubtiere wie Mangusten, Hauskatzen und Haushund handelt, aber auch um eigelegeplündernde Ratten.[45][452] Seit Mitte der 1940er Jahre galten auch die letzten bekannten Jamaika-Leguan-Bestände (auf der Großen Ziegeninsel befindlich, einer kleinen Nebeninsel Jamaikas) als ausgestorben.[45][451] In den 1970er Jahren konnte jedoch ein lebendes Exemplar in den Hellshire Hills auf der Hauptinsel, an der Südküste Jamaikas, bestätigt werden[45][451] und 1990 eine Restpopulation von weniger als 50, hauptsächlich älteren adulten Individuen, entdeckt werden,[451] nachdem der Hund eines örtlichen Jägers ein lebendes Exemplar der Art in einer Gegend bei Kingston erbeutet hatte, wo seit 1940 keine Leguane mehr gesichtet worden waren.[452] 1994 konnten die ersten Exemplare der Art in US-amerikanische Zoos überführt und bis 1997 von Experten über 100 Tiere nachgezüchtet werden, die teilweise in einem speziellen Schutzgebiet ausgesetzt wurden.[452] Die Art bleibt dennoch seit 1996 als „vom Aussterben bedroht“ (IUCN, 2021) eingestuft.[451] – Dieser Fall eines von Neozoen bis an den Rand des Aussterbens dezimierten Inselendemiten gilt als ein Paradebeispiel für ein erfolgreich durchgeführtes Erhaltungszuchtprogramm.[45] 2021 gab die IUCN den Bestand wieder mit dank intensiver Schutzbemühungen auf 500 bis 600 geschätzte adulte Individuen angewachsen an.[451]
    • Contomastix vittata (Departamento Chuquisaca, Cochabamba, Santa Cruz, Potosí (Bolivien); wurde vor über einem Jahrhundert zuletzt gesichtet, bis es in den frühen 2010er-Jahren wenige Exemplare in Gegenden wiederentdeckt wurde, die auf eine abnehmende Population schließen lassen)[453]
    • Pinocchioechse (Anolis proboscis): Die Art galt 50 Jahre lang als ausgestorben, bis sie 2005 wiederentdeckt wurde. Sie wird als „stark gefährdet“ eingestuft (IUCN, 2019).[454]
    Amphibien[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]