Musica ricercata

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Musica ricercata ist ein musikalisches Werk, bestehend aus elf Stücken für Klavier, komponiert von György Ligeti von 1951 bis 1953.[1] Kurz zuvor hatte der Komponist angefangen, an der Franz-Liszt-Musikakademie in Budapest Musik zu lehren.[2]

Unmittelbar nach der Fertigstellung der Suite wählte Ligeti sechs der elf Sätze aus, um sie für Holzbläserquintett neu zu setzen: Six Bagatelles for Wind Quintet (1953). Er reagierte damit auf eine Anfrage des Budapester Jeney-Quintetts. Es handelte sich um die Nummern III, V, VII, VIII, IX und X. Eine öffentliche Aufführung kam jedoch zunächst wegen der repressiven Kulturpolitik im Ostblock nicht infrage. Erst im September 1956 präsentierte das Jeney-Quintett die ersten fünf Bagatellen in einem Konzert an der Liszt-Musikakademie, das sechste hielten sie immer noch für zu riskant. Die erste vollständige Aufführung der Six Bagatelles fand erst am 6. Oktober 1969 in Södertälje (Schweden) statt, am 18. November folgte die Uraufführung der gesamten Musica ricercata für Piano solo in Sundsvall.[3]

In der Musik lässt sich Ligetis Suche nach seinem ganz eigenen Kompositionsstil (quasi ex nihilo) erkennen.[4]

Struktur der Tonhöhenklassen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Besonders ist die Tonstruktur der Musica ricercata, alle Sätze sind auf bestimmte Tonhöhenklassen beschränkt. Jeder Satz beinhaltet immer eine Tonhöhenklasse mehr als die Nummer des jeweiligen Satzes vermuten lassen würde. Ligeti beginnt also mit zwei Tonhöhenklassen im Satz 1.

Satz Tonhöhenklassen
I A, D
II Eis, Fis, G
III C, E, Es, G
IV A, B, Fis, G, Gis
V As, H, Cis, D, F, G
VI A, H, Cis, D, E, Fis, G
VII As, A, B, C, D, Es, F, G
VIII A, H, C, Cis, D, E, Fis, G, Gis
IX A, Ais, H, C, Cis, D, Dis, F, Fis, Gis
X A, Ais, H, Cis, D, Dis, E, F, Ges, G, Gis
XI A, Ais, H, C, Cis, D, Dis, E, F, Fis, G, Gis

Sätze[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Es folgen kurze Beschreibungen (und teilweise Analysen) der Sätze aus Musica ricercata

I. Sostenuto – Misurato – Prestissimo[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

In diesem Satz wird nahezu ausschließlich der Ton A verwendet. Erst als letzte Note kommt ein D hinzu.

II. Mesto, rigido e cerimoniale[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Material und Stimmung dieses Satzes unterscheiden sich deutlich vom vorangegangenen. Hauptsächlich wird zwischen Eis und Fis gewechselt, was einem Halbton entspricht. Etwa in der Mitte des Stücks tritt prägnant der Ton G hinzu und bleibt in Form eines Tremolos bis zum Ende des Stücks präsent, während das Hauptthema aus Eis und Fis wiederkehrt.

Auszüge dieses Satzes sind im Soundtrack von Stanley Kubricks Eyes Wide Shut enthalten.[5]

III. Allegro con spirito[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Dieser muntere Satz zeigt wieder eine andere Farbe von Ligetis Kompositionsstil. Das Hauptthema entwickelt sich entlang einer Gegenüberstellung von C-Dur (C-E-G) und C-Moll (C-Es-G), was an Blues-Tonalität erinnert. Dynamik und Oktavlage der Töne wechseln ebenfalls häufig, manchmal recht abrupt, was die unruhige, aufgeregte Wirkung des Satzes unterstützt. Auch der Schluss bringt keine Entspannung, klingen doch Es und E immer wieder zeitgleich zum tiefen C und lassen so keine eindeutige Bestimmung des Tongeschlechts zu.

Dieser Satz ist eine Überarbeitung des ersten Satzes aus Ligetis Sonatina für vierhändiges Klavier.

IV. Tempo di valse (poco vivace – „à l'orgue de Barbarie“)[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Tempo di valse lässt sich als ungewöhnlicher Walzer beschreiben. Der walzertypische 3/4-Takt wird gelegentlich von 2/4-Takten unterbrochen. Auffällig ist außerdem die gleichzeitige Verwendung eines b- und eines Kreuzvorzeichens am Zeilenbeginn.

Die Komposition bietet einen großen Interpretationsspielraum, wie Ligeti selbst in der Partitur schreibt: „The metronome value refers to the maximum tempo. The piece may be interpreted freely–as well as being slower—with rubati, ritenuti, accelerandi, just as the organ grinder would play his barrel organ.“ Abrupte Pausen, dynamische Wechsel sowie ritardandi und accelerandi sollen also zur Parodie einer Drehorgel beitragen, wie Ligeti es schon der Tempobezeichnung beifügt („à l'orgue de Barbarie“).

Der formale Aufbau lässt sich nach dem Schema AABA gliedern. Der A-Teil ist von Achtelläufen geprägt. Der B-Teil ist insgesamt lauter mit größerem dynamischen und tonalen Umfang und zuvor (im A-Teil) ungehörten Akkorden. In der linken Hand ist fast durchgängig eine typische Walzerbegleitung zu erkennen.

Wie in vorangegangenen Sätzen auch wird etwa in der Mitte des Stücks ein neuer Ton eingeführt: Das Gis in drei Oktaven und im Fortissimo ist besonders auffällig, verschwindet aber bereits nach wenigen Takten wieder, abgelöst durch das Hauptthema.

Inspiriert ist der Walzer von Chopins Minutenwalzer (op. 64 Nr. 1) und von No 2 (Valse) aus den „Three Easy Pieces“ von Strawinsky. Ähnlichkeiten zu Chopins Walzer lassen sich in den sich wiederholenden Formteilen sowie auch den Achtelläufen feststellen, die beide den Ton g‘ mehr oder weniger umkreisen. Außerdem lassen sich oftmals in beiden Stücken Pausen in der Begleitung oder Melodie erkennen, wobei auch eine erweiterte Harmonik in der walzertypischen Begleitung auffällt.

Strawinskys Walzer ist anhand der walzertypischen Begleitung vergleichbar. In dieser wechseln sich zwei Akkorde zweitaktig ab, während in Chopins Minutenwalzer zwei Akkorde taktweise gewechselt werden. Außerdem spielen beide Stücke mit der Assoziation einer Drehorgel, die nicht so recht gefallen will, wie Thomas Bächli feststellt: „Strawinskys Walzer ist eine liebevolle Parodie, virtuos komponiert mit schönen falschen Tönen, als hörte man einen Straßenmusiker, dem schon die einfachsten Harmoniewechsel Mühe bereiten. Man hat den Eindruck, Strawinsky stehe neben der Musik und amüsiere sich über sein eigenes Werk.“[6]

Einspielungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Das gesamte Werk wurde von Pierre-Laurent Aimard (1996), Fredrik Ullén (1998), Noelia Rodiles (2014) und Bruno Vlahek (2020) eingespielt. Eine Auswahl (IV, III, X, IX, V, VII) von Kit Armstrong (2014).[7]

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Márton Kerékfy: ‘A “new music” from nothing’: György Ligeti’s Musica ricercata. In: Studia musicologica, Jg. 49 (2008), H. 3–4, S. 203–230 (music.arts.uci.edu)

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Sound Library – Musica ricercata. Archiviert vom Original am 30. August 2007; abgerufen am 18. September 2007.
  2. Schott Music – Ligeti, György – Chronology
  3. Richard Steinitz: György Ligeti – Music of the Imagination. Northeastern University Press, Boston 2003, S. 59; James M. Keller: György Ligeti: Six Bagatelles for Wind Quintet. In: ders.: Chamber Music. A Listener’s Guide. Oxford University Press, New York 2011, S. 276–280.
  4. Sean Rourke: Ligeti’s early years in the west. In: The Musical Times, Vol. 130, No. 1759 (September 1989), S. 532–535.
  5. Eyes Wide Shut (1999) – Soundtracks
  6. Thomas Bächli: Ich heiße Erik Satie wie alle anderen auch. Verbrecher Verlag, Berlin 2016, ISBN 978-3-658-11700-9, S. 12.
  7. Ligeti: Musica Ricercata for piano (Page 1 of 2).