Selim I.

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سليم شاه بن بايزيد خان المظفر دائما
Selīm-şāh b. Bāyezīd Ḫān el-muẓaffer dāʾimā [1]

Selim I. (سليم شاه بن بايزيد / İA Selīm-şāh b. Bāyezīd; geboren 10. Oktober 1470 in Amasya; gestorben 21. September 1520 bei Çorlu), genannt یاوز / Yavuz[2] / ‚der Gestrenge[3], der Grausame[4], der Grimme[5]‘, war der neunte Sultan des Osmanischen Reiches. Er regierte vom 24. April 1512 bis zu seinem Tod im Jahre 1520. Als erster osmanischer Herrscher führte er den Titel des Kalifen und den des Hüters der heiligen Stätten (خادم الحرمين الشريفين, ḫādim al-ḥaramayn aš-Šarīfayn).

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Schlacht zwischen Selim (links) und seinem Vater Sultan Bayezid II. (rechts) bei Uğraşdere
Schlacht zwischen Selim (rechts) und seinem älteren Halbbruder Ahmed (links)
(Miniaturen aus dem Selīm-nāme)

Selim wurde um 1470[6] als jüngster von acht Söhnen des späteren Sultans Bayezid II. geboren. Seine Mutter war Gülbahar Hatun, eine albanische Konkubine.[7] 1487 wurde Selim als Prinz-Gouverneur (Çelebi Sulṭān) in die 1461 von Mehmed II. eroberte, strategisch wichtige Küstenstadt Trabzon geschickt, wo er über 20 Jahre lang residierte.[8]

Als seine Söhne wegen seiner Krankheit im Alter gegen ihn intrigierten, ließ Bayezid Şehinşah und Mehmed erdrosseln. Er wollte seinen Lieblingssohn Ahmed zum Nachfolger ernennen, doch es gelang ihm nicht, die Janitscharen für ihn zu gewinnen. Vielmehr forderten sie den tatkräftigeren Selim als Herrscher. Dieser wollte die Gelegenheit nutzen und seinen Vater stürzen. Er rückte 1511 mit verbündeten Tatarentruppen in Rumelien ein und griff das Heer seines Vaters bei Uğraşdere in Thrakien an. Obwohl Selim geschlagen wurde und auf die Krim flüchtete, entschieden sich die Janitscharen neuerlich für ihn. So gelang es ihm, seinen Bruder Ahmed zu schlagen und sich zum Oberbefehlshaber der Streitkräfte ernennen zu lassen. Am 24. April 1512 musste Bayezid II. den Thron seinem Sohn überlassen, der als Selim I. die Herrschaft antrat. Bayezid zog sich nach Dimotika zurück; er starb am 26. Mai unter ungeklärten Umständen auf der Reise.[9]

Thronbesteigung (جلوس / cülūs) Selims I.
(Miniatur aus dem Hüner-nāme)

Selims erste Tat als Herrscher war der Befehl, seine Brüder und alle seine Neffen hinzurichten. Dieser Brudermord war im Hause Osman seit Mehmed II. institutionalisiert worden. Um nicht seinen Sohn Süleyman, später Sultan Süleyman I. der Prächtige, ebenfalls dazu zu zwingen, verzichtete Selim auf die Zeugung weiterer Söhne.[10] Nicolae Iorga schreibt dazu:

“[…] mehr Erben wollte der Sultan nicht haben und verzichtete auf jeden weiteren Umgang mit seinen Frauen […]”[11]

Als strenggläubiger Sunnit verfolgte er die Aleviten und die Schiiten im osmanischen Herrschaftsbereich. Das schiitische Persien unter dem Safawidenschah Ismail I. unterstützte die verfolgten Glaubensbrüder massiv. Im nun folgenden Krieg besiegte Selim am 23. August 1514 die Safawiden in der entscheidenden Schlacht bei Tschaldiran (auch Çaldıran, in Ost-Anatolien). Selim nahm die safawidische Hauptstadt Täbris ein und brachte viele hochqualifizierte Handwerker von dort nach Istanbul. Weil die Janitscharen nur ungern gegen Muslime kämpften und wegen des Wintereinbruches brach er den Feldzug ab. Danach wandte er sich gegen die in Ägypten herrschenden Mamluken. In einem groß angelegten Feldzug vertrieb er sie 1516 nach der Schlacht von Marj Dabiq bei Haleb (Aleppo) zunächst aus Syrien und Palästina, um dann das mamlukische Heer bei der Schlacht von Raydaniyya vor Kairo zu schlagen und am 22. Januar 1517 die ägyptische Hauptstadt zu erobern. Der letzte Mamlukensultan Tuman Bay lehnte einen Vasallenstatus ab und wurde hingerichtet.[12]

Damit war die Alleinherrschaft der Mamluken beendet, sie blieben aber weiterhin die regierende Schicht unter Oberhoheit des Sultans. Schnell brachte Selim den Rest Ägyptens unter seine Kontrolle. Kurz darauf unterwarf sich nahezu die gesamte arabische Halbinsel seiner Herrschaft. Selim I. wurde dadurch Herrscher über die heiligen Stätten des Islam, Mekka und Medina (→ Geschichte Ägyptens).

Der letzte Kalif der Abbasiden-Dynastie hatte nach der Eroberung von Bagdad angeblich seinen Sitz in Kairo genommen. Selim holte den amtierenden Kalifen nach Istanbul und seine Nachfolger beriefen sich darauf, dass dieser die Kalifenwürde auf den Padischah übertragen habe. Er soll ihm den Titel und die damit verbundenen Insignien wie das Schwert und den Umhang des Propheten übergeben haben. Seitdem waren die osmanischen Sultane aus späterer osmanischer Sicht zugleich auch die Kalifen.

Selim I. auf dem Sterbebett
(Miniatur aus dem Selīm-nāme)

Nachdem nun ein Großteil der islamischen Welt unter osmanischer Oberhoheit stand, begann Selim, eine Expedition gegen Rhodos vorzubereiten. Er erkrankte aber, vermutlich an der Pest, die in Istanbul ausgebrochen war und derentwegen er vermutlich Istanbul mit dem Ziel Edirne verlassen hatte,[13] und starb im neunten Jahr seiner Regentschaft mit 49 Jahren, unweit des Ortes, an dem er die Truppen seines Vaters angegriffen hatte.

Als Selim Sultan geworden war, umfasste das Osmanische Reich eine Fläche von 2.375.000 Quadratkilometern. Acht Jahre später hatte das Osmanische Reich 6.557.000 Quadratkilometer – die 2,8-fache Fläche. Selims militärische Erfolge basierten auf einer Reform des osmanischen Heeres. So ließ er die Artillerie (Topçu) modernisieren, dämmte die Macht der Janitscharen ein und begann mit dem Aufbau einer Flotte. Mit seinen Eroberungen in Asien und Afrika schuf er seinem Sohn Süleyman Rückenfreiheit und legte so den Grundstein für die osmanischen Erfolge gegen die europäischen Mächte in den folgenden Türkenkriegen.

Selim I. ruht in der Türbe neben der Yavus Selim Camii in Istanbul, die sein Sohn Süleyman errichten ließ.

Der Chronist İdris-i Bitlisî schrieb das Buch Selimname über die Herrschaftszeit Selims I.; er starb Ende 1520. Sein Sohn vervollständigte das Buch.

Persönlichkeit[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Sultan Selim I. in einer abendländischen Chronik

Selim wird als frommer Muslim und als überaus ehrgeiziger Herrscher beschrieben. Er galt als soldatischer, rücksichtsloser Draufgänger, aber auch als klug und systematisch.[10] Seinen viermonatigen Feldzug gegen Persien soll er gegen den Rat seiner Minister begonnen und einige von ihnen wegen ihrer Opposition gegen seine Pläne hinrichten lassen haben. Angebliche Pläne, Indien zu erobern und den Suezkanal zu bauen, können nicht belegt werden.

Selim schrieb unter dem Dichternamen Selimî hauptsächlich auf Persisch Gedichte.

„Ein Teppich hat genug Platz für zwei Muslime, aber die Welt hat nicht genug Platz für zwei Herrscher (Könige, Sultane).“

Yavuz Sultan Selim, Necdet Sakaoğlu, Bu Mülkün Sultanları, S. 127

„Mein Kampf geht solange weiter, bis Gottes Gesetz, die Scharia, auf der ganzen Welt herrscht oder ich sterbe.“

Yavuz Sultan Selim, Necdet Sakaoğlu, Bu Mülkün Sultanları, S. 129

Für Selim schrieb der Dichter Revani eine Gedichtesammlung (Diwan).

Namensgeber[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Zahlreiche Plätze und Gebäude wurden nach ihm benannt, beispielsweise auch die Yavuz-Sultan-Selim-Moschee in Mannheim. Der deutsche Panzerkreuzer Goeben wurde nach der Übergabe an die osmanische Marine am 18. August 1914 Yavuz Sultan Selim genannt. Auch die 3. Bosporus-Brücke in Istanbul ist nach Selim I. benannt.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • H. Erdem Çıpa: The Making of Selim: Succession, Legitimacy and Memory in the Early Modern Ottoman World. Indiana University Press, Bloomington (Indiana) 2017, ISBN 978-0-253-02428-2 (englisch).
  • Nicolae Iorga: Geschichte des Osmanischen Reiches. Nach den Quellen dargestellt. 5 Bände, Verlag Perthes, Gotha 1908–1913, Nachdruck Frankfurt/Main 1990.
  • Richard Franz Kreutel (Übersetzer): Der fromme Sultan Bayezid. Die Geschichte seine Herrschaft [1481–1512] nach den altosmanischen Chroniken des Oruç und des Anonymus Hanivaldanus. (= Osmanische Geschichtsschreiber; Band 9). Verlag Styria, Graz/Wien/Köln 1978, ISBN 3-222-10469-7.
  • Ferenc Majoros, Bernd Rill: Das Osmanische Reich 1300–1922. Die Geschichte einer Großmacht. Pustet, Regensburg / Styria, Graz 1994, ISBN 3-7917-1369-8.
  • Alan Mikhail: Gottes Schatten. Sultan Selim und die Geburt der modernen Welt. C.H. Beck, München 2021, ISBN 978-3-406-76409-7.
  • K. Schwarz: Selim I. Yavuz. In: Biographisches Lexikon zur Geschichte Südosteuropas. Band 4. München 1981, S. 107–109

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Commons: Selim I. – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Anmerkungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Von Nakkaş Osman in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts gemalte Miniatur aus der Şemāʾil-nāme Seyyid Lokman Çelebis. Darunter die Tughra Selims I. mit entflochtenem Schriftzug: „Selīm-şāh, Sohn von Bāyezīd Ḫān, der immer Siegreiche“.
  2. Den Beinamen یاوز / Yavuz trug Selim bereits zu Lebzeiten; siehe Mehmet İpşirli: Lakap. Osmanlılar’da Lakap. In: Türkiye Diyanet Vakfı İslâm Ansiklopedisi. Band 27, TDV Yayını, Ankara 2003, S. 67.
  3. Josef Matuz: Das Osmanische Reich. Grundlinien seiner Geschichte. 6. Auflage. Primus Verlag, Darmstadt 2010, ISBN 978-3-89678-703-3, S. 79.
  4. Franz Babinger: Mehmed der Eroberer. Weltenstürmer einer Zeitenwende. Piper Verlag, München 1987, ISBN 3-492-10621-8, S. 60.
  5. Klaus Kreiser: Der osmanische Staat 1300–1922. 2. Auflage. R. Oldenbourg Verlag, München 2008, ISBN 978-3-486-58588-9, S. 25.
  6. Das genaue Geburtsjahr ist unsicher. Genannt werden 1467, 1468 und 1470.
  7. Vgl. Alan Mikhail: Gottes Schatten Sultan Selim. C. H. Beck, München 2021, ISBN 978-3-406-76409-7, S. 31.
  8. Feridun M. Emecen: Yavuz Sultan Selim. Yitik Hazine Yayınları, Istanbul 2010, ISBN 978-9944-76-624-1, S. 32 ff.
  9. Richard Franz Kreutel (Übersetzer): Der fromme Sultan Bayezid. Die Geschichte seine Herrschaft [1481–1512] nach den altosmanischen Chroniken des Oruç und des Anonymus Hanivaldanus. In der Reihe: Osmanische Geschichtsschreiber. Band 9, Verlag Styria, Graz/Wien/Köln 1978, ISBN 3-222-10469-7, S. 15, 16, 212, 244 ff.
  10. a b Ferenc Majoros, Bernd Rill: Das Osmanische Reich 1300–1922. Die Geschichte einer Großmacht. Weltbild Verlag GmbH, Augsburg 2000, Copyright by Friedrich Pustet Verlag, Regensburg, ISBN 3-8289-0336-3, S. 209.
  11. Nicolae Iorga: Geschichte des Osmanischen Reiches. Nach den Quellen dargestellt. Band 2, Verlag Perthes, Gotha 1908–1913, Nachdruck Frankfurt/Main 1990.
  12. Ferenc Majoros/Bernd Rill: Das Osmanische Reich 1300–1922. Die Geschichte einer Großmacht. Weltbild Verlag GmbH, Augsburg 2000, Copyright by Friedrich Pustet Verlag, Regensburg, ISBN 3-8289-0336-3, S. 210–212.
  13. TDV İslâm Ansiklopedisi, Art. Selim I Online
VorgängerAmtNachfolger
Bayezid II.Sultan und Kalif des Osmanischen Reichs
1512–1520
Süleyman I.