Paul Wühr

Van Wikipedia, de gratis encyclopedie

Paul Wühr (* 10. Juli 1927 in München; † 12. Juli 2016 auf Le Pierle bei Passignano sul Trasimeno) war ein deutscher Schriftsteller.[1] Er wird dem Bereich der experimentellen Gegenwartsliteratur zugerechnet.[2]

Leben[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Paul Wühr wurde als Sohn eines Bäckers geboren. Nach dem Besuch des Wittelsbacher-Gymnasiums in München absolvierte er eine Ausbildung zum Volksschullehrer. Von 1949 bis 1983 war er als Lehrer an einer Volksschule in Gräfelfing tätig. 1973 gründete er in München gemeinsam mit Martin Gregor-Dellin, Jürgen Kolbe, Michael Krüger, Fritz Arnold, Inge Poppe-Wühr[3], Christoph Buggert, Günter Herburger, Tankred Dorst und Peter Laemmle die erste genossenschaftlich organisierte Autorenbuchhandlung.

Seit 1986 lebte Wühr, der sich weigerte Italienisch zu lernen[3], mit seiner Frau in dem Weiler Le Pierle oberhalb von Passignano sul Trasimeno[4], an der Grenze von Umbrien und der Toskana.

Paul Wühr war Mitglied des Verbandes deutscher Schriftsteller und des PEN-Zentrums Deutschland.[5][6]

Werk[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Wühr, der bereits in der Jugend mit dem Schreiben begann, arbeitete seit Ende der 1940er Jahre an einem umfangreichen Werk, das ihn zu einem experimentellen Autor der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur werden ließ. Nach zwei Kinderbuchpublikationen Anfang der 1960er Jahre gelangte er mit Hörspielen für den WDR erstmals an eine breitere Öffentlichkeit. Während Wühr in den 1970er Jahren Aufsehen mit seinen O-Ton-Hörspielen erregte, schrieb er danach vor allem an weiterhin sprachreflexiven und experimentellen Großpoemen und Gedichtzyklen.

Wühr war der Verfasser von Romanen, Hörspielen, Prosapoemen und Lyrik, wobei die Grenzen zwischen den Gattungen angesichts der häufig collagenhaften Technik des Autors fließend sind: „Das Collage-Prinzip, das er in diesen Hörspielen anwandte, also das Ineinanderflechten von Alltagsfloskeln, Dialektbrocken und Bruchstücken aus der hohen Literatur, sollte auch für seine lyrischen Arbeiten und die auf sie reagierenden pseudotheoretisch-poetischen Texte bestimmend werden.“[7] In seinem, damals als eine vermeintliche Beleidigung der Stadt München skandalisierten Buch Gegenmünchen (1970) erweiterte Wühr seine textliche Collage-Technik noch um das Element des (Geo)Grafischen und schuf aus „formalisierten Gedichten, verfremdeten Stadtplänen, zeitlos-poetischem und tagespolitischem Wort-/Baumaterial zehn verschiedene Stadtrundgänge durch und um die Zentren seiner Wörterstadt.“[8]

Seit 1978 arbeitete Wühr an einem Der wirre Zopf betitelten Großprojekt. Trotz aller Anerkennung durch die Literaturkritik und zahlreicher Auszeichnungen galt Wühr als einer der großen Außenseiter der deutschen Literatur, der sich dem Literaturbetrieb weitgehend verweigerte.[9] „Er nahm am Schreibtisch teil an einem grossen Gespräch, das über alle Grenzen, auch und gerade über die Grenze zwischen den Lebenden und den Toten hinweg geführt wurde.“[10]

Auszeichnungen und Ehrungen[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Werke[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Hörspiele[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Das Experiment, Regie: Oswald Döpke, WDR 1963.
  • Wer kann mir sagen, wer Sheila ist? Regie: Oswald Döpke, WDR 1964.
  • Die Rechnung, Regie: Otto Kurth, WDR 1964.
  • Gott heisst Simon Cumascach, Regie: Günther Sauer, WDR 1965.
  • Die Hochzeit verlassen (Funkerzählung zur Eisenhans-Variation), Regie: Dieter Hasselblatt, DLF 1966.
  • Wenn Florich mit Schachter spricht, Regie: Günther Sauer, WDR 1967.
  • Fensterstürze, Regie: Friedhelm Ortmann, WDR 1968.
  • Preislied, Regie: der Autor, Komposition: Enno Dugend, BR/NDR 1971.
  • Verirrhaus, Regie: der Autor, BR/WDR 1972. Als Podcast/Download im BR Hörspiel Pool.[12]
  • Trip Null, Regie: der Autor, BR 1973.
  • Viel Glück, Regie: der Autor, BR/NDR 1976.
  • Soundseeing Metropolis München, Regie: der Autor, BR/NDR 1986.
  • Thisbe und Thisbe, Regie: Peter Fitz, WDR 1987.
  • Faschang Garaus, Regie: der Autor, BR/NDR 1988.
  • So eine Freiheit, Regie: der Autor, BR 1972, Ursendung SFB 1992.

Literatur[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  • Franz Josef Czernin: Dichtung als Erkenntnis. Zur Poesie und Poetik Paul Wührs. Droschl, Graz 1999, ISBN 3-85420-509-0.
  • Jörg Drews: „Ich komm’ vielleicht ein bißchen langsamer zum Kern.“ Zu den Hörspielen von Paul Wühr. In: Katarina Agathos / Herbert Kapfer (Hrsg.): Hörspiel. Autorengespräche und Porträts. Belleville, München 2009, ISBN 978-3-936298-68-0, S. 89–109.
  • Jörg Drews: Lob des krummen Holzes. Über Paul Wühr. Mit drei Beiträgen von Paul Wühr, herausgegeben von Thomas Combrink. Aisthesis, Bielefeld 2016, ISBN 978-3-8498-1174-7.
  • Lutz Hagestedt (Hrsg.): Paul Wühr. Materialien zu seinem Werk. Brehm, München 1987, ISBN 3-921763-94-0.
  • Reinhard Kiefer: Gottesurteil – Paul Wühr und die Theologie. Rimbaud, Aachen 2003, ISBN 3-89086-702-2.
  • Sabine Kyora (Hrsg.): Die poetische Republik. Annäherungen an Paul Wührs. Salve res publica poetica. Aisthesis, Bielefeld 2002, ISBN 3-89528-356-8.
  • Sabine Kyora (Hrsg.): Falsches Lesen. Zu Poesie und Poetik Paul Wührs. Festschrift zum 70. Geburtstag. Aisthesis, Bielefeld 1997, ISBN 3-89528-178-6.
  • Jürgen Nelles: Denk-Spiele der Poesie. Der Hörspielmacher und Schriftsteller Paul Wühr (= Bonner Arbeiten zur deutschen Literatur. Band 47). Bouvier, Bonn 1991 (Dissertation Universität Bonn 1990), ISBN 3-416-02351-X.
  • Jürgen Nelles: Zwischen Hören und Sehen: Vom Lesen im Wörterlabyrinth. Ein Streifzug durch Paul Wührs „Gegenmünchen“. In: Kurt Röttgers und Monika Schmitz-Emans (Hrsg.): Labyrinthe. Philosophische und literarische Modelle. Die blaue Eule, Essen 2000, S. 117–134, ISBN 3-89206-998-0.
  • Christer Petersen: Der postmoderne Text. Rekonstruktion einer zeitgenössischen Ästhetik am Beispiel von Thomas Pynchon, Peter Greenaway und Paul Wühr. Ludwig, Kiel 2003, ISBN 3-933598-67-2.

Weblinks[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

Einzelnachweise[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]

  1. Paul Wühr. In: Kürschners Deutscher Literatur-Kalender 2014/2015: Band I: A-O. Band II: P-Z., Walter De Gruyter Incorporated, 2014, S. 1167–1168, ISBN 978-3-11-033720-4.
  2. Porträt der Paul-Wühr-Gesellschaft. Abgerufen am 28. März 2014.
  3. a b Michael Krüger: Und es kamen alle!, Nachruf Inge Poppe, Süddeutsche Zeitung, 21. Juni 2021, S. 13
  4. Porträt bei lyrikline. Abgerufen am 28. März 2014.
  5. Pen Deutschland Mitgliederliste. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 2. Juni 2016; abgerufen am 28. März 2014.  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.pen-deutschland.de
  6. Porträt bei Nanni Cagnone. Archiviert vom Original (nicht mehr online verfügbar) am 28. März 2014; abgerufen am 28. März 2014.
  7. Gottfried Knapp: Zum Tod von Paul Wühr. In: Süddeutsche Zeitung. 13. Juli 2016, abgerufen am 1. August 2018.
  8. Patrick Thor: "Buch und Bewusstsein decken sich" – Zur Bewusstseinskonstitution in Paul Wührs 'Gegenmünchen'. In: PhiN. Philologie im Netz. Nr. 54 (2010). S. 36–52. Abgerufen am 1. August 2018.
  9. Paul Wühr im Literaturportal Bayern (Projekt der Bayerischen Staatsbibliothek)
  10. Roman Bucheli: Das Gespräch mit den Toten. Der Lyriker Paul Wühr ist gestorben. In: Neue Zürcher Zeitung. 15. Juli 2016, S. 36.
  11. Deutscher Autor Paul Wühr bekommt Heimrad-Bäcker-Preis. In: standard.at, 13. Mai 2014.
  12. BR Hörspiel Pool – Wühr, Verirrhaus